Читать книгу DAS AJAX-PROTOKOLL (Project 7) - Alex Lukeman - Страница 14
Kapitel 9
ОглавлениеDie Küche in Nicks Appartement in Washington war ein gemütlicher Raum, groß genug für einen Tisch und vier Stühle. Ein breiter Tresen trennte sie von dem Wohnbereich ab, der gleichzeitig als Bar fungierte. Der Druck eines Paul Klees hing über der modernen dänischen Couch im Wohnzimmer. Nick mochte den klaren, schnörkellosen Look europäischer Möbel mindestens genauso sehr, wie er Paul Klees Bilder liebte. Ein echter Klee hing in seinem Schlafzimmer, ein Geschenk von Selena. Sie saß am Tisch, blätterte in einem Magazin und summte vor sich hin. Nick stand am Herd und kochte ihnen etwas zu essen.
Er sah zu ihr hinüber und musste an die Akte in der obersten Schublade seiner Kommode denken, jene Akte, die Adam ihm gegeben hatte. Er hatte beschlossen, dass es an der Zeit war, sie ihr zu zeigen.
Nick kannte Adam nur als körperlose, elektronisch verzerrte Stimme hinter der Trennwand auf dem Rücksitz des gepanzerten Cadillacs. Er hatte ihn nie wirklich zu Gesicht bekommen, wusste nicht einmal, ob Adam ein Mann oder eine Frau war.
Hin und wieder, wenn Nick aus seinem Haus kam, wartete Adams schwarzer Cadillac am Straßenrand auf ihn. Dann stieg er in den Wagen und sie fuhren damit eine Weile herum, während Adam über unangenehme Dinge sprach, von denen er glaubte, dass sie Nick interessieren würden, oder über unangenehme Menschen, die Dinge planten, die einen Krieg auslösen könnten. Das Problem dabei war, dass er stets recht behielt. Nick betrachtete ihn mittlerweile als eine Art persönlichen Boten der Götter der Spionage.
Erst vor einer Woche hatte Adam ihm eine geheime CIA-Akte aus den Tagen des Kalten Krieges übergeben, als Aufnahmen und Berichte noch auf Papier festgehalten und in verschlossenen Schränken anstatt Computern aufbewahrt wurden. Er hatte Nick wissen lassen, dass es seine Beziehung zu Selena beeinflussen könnte. Und nachdem er sie gelesen hatte, wünschte er, er hätte die verdammte Akte nie zu Gesicht bekommen. Er wusste nicht, wann der geeignete Zeitpunkt gekommen sein würde, ihr davon zu erzählen. Der Inhalt würde sie beunruhigen und unglücklich machen. Es ging um die Morde an Selenas Familie, als sie zehn Jahre alt gewesen war. Der Wagen ihrer Eltern war in der Nähe des Big Sur von einer Klippe gestürzt.
Ein Unfall, wie die Polizei damals feststellte. Nur, dass es kein Unfall gewesen war. Die Akte enthüllte, dass ihre Eltern vielmehr vom KGB umgebracht worden waren. Und was noch schlimmer war – sie bewies, dass Selenas Vater ein Spion gewesen war. Ein Verräter. Wie sollte er ihr das erklären?
Nick rührte das Gemüse und das Fleisch um, die auf dem Herd köchelten, und gab etwas Cayenne-Pfeffer und Salz hinzu.
»Bist du hungrig?«, fragte er.
Selena lächelte. »Und wie. Was immer du da kochst, es riecht wundervoll.«
»Ich rühre nur was zusammen. Nichts Großartiges.«
Nick schöpfte die Mahlzeit aus der Pfanne und gab sie in eine Schüssel. Die dampfende Schüssel trug er zum Tisch, gab etwas auf Selenas und seinen eigenen Teller und setzte sich. Sie begannen zu essen.
»Eine Menge Leute beten für Rice«, sagte Selena.
»Er ist zäh. Er wird es schaffen.«
»Was glaubst du, wer war hinter Elizabeth her?« Selena nahm einen Schluck von ihrem Weißwein, dann stellte sie das Glas wieder auf dem Tisch ab.
»Keine Ahnung.«
Nick schob sein Essen auf dem Teller herum.
»Dich bedrückt etwas, oder?«
Nach zwei Jahren, die sie nun zusammen waren, war Selena ziemlich gut darin, ihn zu durchschauen.
Sag es ihr, ermunterte ihn irgendwo in seinem Kopf eine leise Stimme. Er war den mentalen Drahtseilakt leid. Sie würde es verkraften, oder auch nicht. Aber es war an der Zeit, die Sache aus der Welt zu schaffen.
»Als ich das letzte Mal Adam traf, gab er mir etwas.«
Selena wusste von Adam, so wie jeder andere bei PROJECT. Sie wartete.
»Eine Akte«, fuhr er fort.
»Eine Akte? Was für eine Akte?«
»Eine Geheimakte aus Langley. Aus den Achtzigern. Adam sagte, es wäre die einzige Kopie.«
»Worum geht es?«
Nick seufzte. »Um deinen Vater.«
»Adam hat dir eine Akte über meinen Vater gegeben? Wann hattest du denn vor, mir davon zu erzählen?«
»Das tue ich doch gerade.«
»Wieso sollte er so etwas tun? Sie dir geben, meine ich.«
»Ich schätze, er wollte, dass ich erfahre, was darin steht.«
Sie legte ihre Gabel ab. »Wo ist sie?«
»Nebenan.«
»Dann solltest du sie mir vielleicht besser zeigen.«
Nick seufzte erneut. Er stand auf, lief ins Schlafzimmer und holte die Akte aus der Schublade. Dann legte er sie vor ihr auf den Tisch und lief zur Hausbar. Wenn sie den Inhalt erst gelesen hatte, würde er etwas Stärkeres als Wein brauchen. Nick goss sich einen Irish Whiskey ein, kehrte zum Esstisch zurück und setzte sich. Dann schob er seinen Teller von sich. Ihm war der Appetit vergangen.
Selena studierte schweigend die Akte. Er sah dabei zu, wie ihr die Bedeutung dessen, was sie las, langsam bewusst wurde. Als sie fertig war, blätterte sie zurück und begann von vorn. Nach einer Weile sah sie auf. Ihre Augen waren voller Tränen.
»Wieso hast du mir das nicht schon eher gezeigt?«
»Weil ich nicht wusste, wie du es aufnehmen würdest. Aber ich wusste, dass ich es dir früher oder später zeigen muss.«
»Du dachtest, ich würde es nicht verkraften.« Ihre Stimme klang leer und emotionslos.
»Das habe ich nicht gesagt.«
»In der Akte heißt es, dass mein Vater ein Doppelagent war, der für den KGB arbeitete.«
Nick fühlte sich hilflos. Was konnte man erwidern, wenn die Geliebte herausfand, dass ihr Vater ein Verräter gewesen war?
»Es tut mir leid, Selena.«
»Ich glaube das nicht«, sagte sie. »Mein Vater war kein Verräter.«
»Adam hat keinen Grund, es zu erfinden.«
»Das weißt du nicht.«
»Ich weiß nur, dass sich bisher alles, was er uns mitteilte, als wahr erwies. Wieso sollte er so etwas dann erfinden? Die Akte ist echt«, sagte Nick. »Das Papier hat das richtige Alter. Sie riecht sogar nach den Achtzigern.«
»Vielleicht ist sie gefälscht? Ein Trick?«
»Wieso sollte er das tun?«
»Ich weiß nicht.«
Sie nahm die Akte in die Hand und legte sie wieder ab.
»Laut der Akte kamen sie nicht bei einem Autounfall ums Leben.«
»Ja.«
»Der KGB ließ sie töten. Ihn, meine Mutter und meinen Bruder.«
»Sie hätten auch dich getötet, wenn du in dem Wagen gewesen wärst.«
»Diese Bastarde«, entfuhr es ihr.
»Es tut mir leid«, wiederholte er. Er wusste nicht, was er sonst sagen sollte.
»DIESE BASTARDE!«, schrie sie, stand auf und warf ihr Weinglas durch den Raum. Es zerschellte an der Wand. Dann legte sie ihre Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
Nick lief zu ihr, legte seine Arme um sie und drückte sie schweigend an sich. Er konnte den sauberen Geruch ihrer Haare riechen. Nach einer Weile beruhigte sie sich, wischte sich die Tränen ab, schnäuzte in ein Taschentuch und setzte sich danach wieder an den Tisch.
»Ich will einen Drink«, sagte sie. »Einen starken.«
Nick goss ihr einen doppelten Whiskey ein und einen weiteren für sich selbst. Er reichte ihr das Glas und setzte sich ihr gegenüber. Sie trank ihn mit einem Schluck aus.
»Mein Onkel wusste es«, sagte sie. »Er wusste es die ganze Zeit über. Sein Name stand in den Dokumenten. Er hat sie unterzeichnet. Ich wusste, dass er Verbindungen zur CIA hatte, aber nicht, dass er auch für sie arbeitete. Er hatte Freunde in Langley. Einer von ihnen kümmerte sich um die Alarmanlage in meinem Loft in San Francisco.«
»Muss ein verdammter Schock für ihn gewesen sein, als er das über deinen Vater herausfand«, sagte Nick.
»Wie konnte mein Vater so etwas tun? Wie konnte er sein Land verraten? Er war ein wunderbarer Mensch, ein wunderbarer Vater. Was bringt jemanden dazu, sich gegen das Land zu wenden, das einem alles gegeben hat?«
»Ich weiß es nicht. Ich schätze, dass Langley nicht genau wusste, für welche Seite er wirklich arbeitete. Allem Anschein nach fütterte er die Russen mit falschen wie mit richtigen Informationen. Für den KGB Grund genug, ihn zu eliminieren. Vielleicht hatte er Befehle, ihnen falsche Informationen zuzuspielen.«
»Aber wenn er falsche Informationen weitergab und Langley darüber Bescheid wusste, wieso lassen diese Berichte es dann so aussehen, als wäre er ein Verräter gewesen, ein weiterer verdammter Doppelagent?«
»Dafür könnte es unzählige Gründe geben. Vielleicht wollte jemand weiter oben seinen Arsch retten. Oder jemand wollte zum eigenen Vorteil die Wahrheit manipulieren. Wenn man sich Langley in den Achtzigerjahren ansieht, war vieles nur Blendwerk.«
»Bastarde«, sagte sie noch einmal.
Nick war nicht sicher, ob sie damit die Russen oder die CIA meinte.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte sie.
»Was meinst du?«
»Wirst du damit zu Harker gehen?«
»Ich wüsste nicht, wieso«, antwortete Nick.
»Glaubst du nicht, dass das meine Befugnisse beeinflussen könnte? Ob sie mir noch vertrauen kann oder nicht?«
»Willst du mir jetzt mit der Bibel kommen?«
»Was meinst du?«
»Dass die Sünden der Väter auch noch ihre Kinder heimsuchen und all so was. Du bist nicht dein Vater.«
»Aber glaubst du nicht, dass sie davon wissen sollte?«
»Was sollte das bringen?«
Selena hob die Akte. »Ich will sie genauer studieren«, sagte sie. »Vielleicht findet sich etwas, das den Namen meines Vaters reinwäscht. Ein Detail, ein Name. Irgendetwas.«
»Vielleicht.« Oder vielleicht auch nicht, dachte Nick. Aber das behielt er für sich.
»Ich werde nach Hause gehen«, sagte sie. »Ich muss nachdenken.«
Nick war nicht sicher, wie er reagieren sollte. Also verhielt er sich neutral.
»Wir haben morgen um 0900 ein Briefing«, begann er. »Holst du mich ab?«
»Sei um acht Uhr unten an der Straße.«
»Ruf mich an, falls du reden willst.«
»Ich muss nachdenken«, wiederholte sie.
Er sah zu, wie sie die Tür hinter sich schloss.