Читать книгу DAS AJAX-PROTOKOLL (Project 7) - Alex Lukeman - Страница 16
Kapitel 11
ОглавлениеSarah McLachlans eindringliche Stimme hallte durch die eleganten Räume von Selenas Luxusappartement. Ihr Drink stand unangerührt auf dem Beistelltisch neben der Couch. Seit beinahe einer Stunde starrte sie aus dem Fenster hinaus und versuchte sich einen Reim auf die widersprüchlichen Gedanken und Gefühle zu machen, die ihr durch den Kopf gingen.
Selenas Zuhause befand sich in der obersten Etage einer der exklusivsten Wohnhäuser Washingtons. Die Wand ihres Wohnzimmers bestand vom Boden bis zur Decke aus Fenstern. Direkt dahinter befand sich ein breiter, privater Balkon mit einem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer. Die Fenster boten einen spektakulären Ausblick auf das ländliche Virginia jenseits des Potomac. Topfpflanzen und eine Vielzahl bunt blühender Gewächse waren in zufälligen Abständen entlang des Balkons verteilt. Es war die Art von Stadtwohnung, die man auf den Titelseiten von Architekturmagazinen finden konnte.
Normalerweise beruhigte sie dieser Anblick und bestärkte sie darin, dass es noch Stabilität und Ordnung in der Welt gab. Aber nicht heute. Heute war das Fundament dieser Ordnung ins Wanken geraten.
Ihr Vater war ein Verräter.
Das Wort Verräter hallte durch ihren Kopf. Sie erinnerte sich noch an das letzte Mal, als sie ihren Vater gesehen hatte. Da war sie zehn Jahre alt gewesen. Ihre Mutter, ihr Vater und ihr älterer Bruder wollten an diesem Wochenende an die Big Sur fahren. Sie alle hatten sich sehr auf diesen Ausflug gefreut. Aber dann hatte sie sich erkältet und Fieber bekommen und sie nicht begleiten können. Ihr Vater war in ihr Zimmer gekommen. Sie hatte aufrecht gegen ihre Kissen gelehnt in ihrem Bett gesessen und mit ihrer Lieblingspuppe gespielt. Sie erinnerte sich, dass er nach Rasierwasser und Zigaretten gerochen hatte.
»Wie geht es meinem kleinen Mädchen?«
»Schon viel besser, Daddy. Kann ich mitkommen?«
»Dieses Mal nicht, Spätzchen.«
»Joe«, rief ihre Mutter die Treppen hinauf. »Wir müssen los.«
»Onkel William wird hier bei dir bleiben. Wir sind Sonntagabend wieder zurück, ehe du dich versiehst. Dann geht es dir sicher schon viel besser. Und nächstes Wochenende fahren wir zum Strand.«
Er beugte sich über sie und küsste ihre Stirn.
»Bye, Daddy.«
»Mach’s gut, Spätzchen.«
Dann war er zur Tür hinaus. Das war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen hatte.
Es hatte über ein Jahr gedauert und viel Liebe ihres Onkels William bedurft, um sie nach dem Tod ihrer Familie wieder aus ihrem Schneckenhaus zu bekommen.
Der Inhalt dieser Akte hatte eine Reihe von Schocks für sie bereitgehalten. Der erste Schock war, dass ihr Vater für die CIA gearbeitet hatte. Sie hätte ihn nie für einen Spion gehalten. Laut der Akte hatte er beinahe die letzten drei Jahre vor seinem Tod unter Beobachtung gestanden. Das war eine lange Zeit, um jemanden ungehindert Geheimnisse in die Welt tragen zu lassen. Das bestärkte ihren Glauben daran, dass die Akte gefälscht und dafür gedacht sein musste, die Spuren von jemand anderes zu verwischen.
Die Akte enthielt zudem Zeitpunkte von geheimen Treffen mit feindlichen Agenten. Aufzeichnungen über verdächtige Geldeingänge auf seinem Konto. Alte Schwarzweiß-Fotografien, die Übergabeorte und Treffen in San Francisco und Washington zeigten. Mitschriften von Telefonanrufen. Eine belastende Beweiskette, die scheinbar nur zu einer logischen Schlussfolgerung führte, nämlich der, dass ihr Vater vertrauliches Material an den Feind verkauft hatte.
Langley wusste, dass ihr Vater mit den Russen zusammenarbeitete, und hatte ihn gewähren lassen. Das Einzige, was für sie einen Sinn ergab, war, dass sein Austausch mit dem KGB eine von der CIA genehmigte Geheimoperation war. Wenn das stimmte, war er kein Verräter, sondern ein unbesungener Held. Und nur, weil die Akte Joseph Connor des Verrats beschuldigte, musste es noch nicht der Wahrheit entsprechen.
Nick hatte gesagt, dass die Akte der einzige bestätigte Hinweis auf die Aktivitäten ihres Vaters darstellte. Wenn das der Wahrheit entsprach, gab es keinen anderen Weg, die Unschuld oder Schuld ihres Vaters zu beweisen. Schlimmer noch, es gab niemanden, den sie bitten konnte, weiter nachzuforschen. Außer Nick.
Nick.
Selena griff nach ihrem Drink. Das Eis war geschmolzen. Sie stand auf, lief in die Küche, kippte ihren alten Drink in den Ausguss, nahm sich etwas Eis aus der Kühlschranktür und goss sich einen Irish Whiskey ein. Nick hatte sie auf den Geschmack gebracht. Sie lief zu den Fenstern zurück, starrte auf die Stadt hinaus und nippte an ihrem Glas.
Nick hatte ihr die Akte vorenthalten. Sie wusste nicht, ob sie deswegen sauer oder dankbar sein sollte. Wie hatte sie sich in einen Mann verlieben können, der unfähig schien, sich zu entscheiden, welche Art von Beziehung er mit ihr führen wollte? Sie wusste, dass er sie liebte, dessen war sie sich sicher. Zumindest die meiste Zeit über.
Und sie liebte ihn, oder etwa nicht? Vielleicht musste vielmehr sie selbst sich die Frage stellen, welche Art von Beziehung sie mit ihm wollte, als andersherum.
In letzter Zeit musste sie oft über Kinder nachdenken. Wenn sie noch eigene Kinder haben wollte, musste sie sich damit beeilen. Mit fünfunddreißig wurde es dafür langsam Zeit. Weniger aus körperlichen als aus persönlichen Gründen. Sie war es gewohnt, im Prinzip das zu tun, was sie wollte. Man konnte nicht unbedingt sagen, dass sie ihre Arbeit beim PROJECT liebte, aber es ließ sich nicht abstreiten, dass sie die Aufregung und die Unberechenbarkeit liebte. Wie könnte sie das aufgeben? Kinder würden ihr gesamtes Leben verändern.
Außerdem konnte sie sich Nick nur schwer als Vater vorstellen. Und sich selbst als Mutter, was das betraf. Wenn sie sich für Kinder entschied, würde das bedeuten, das PROJECT verlassen zu müssen. Mit Kindern, um die sie sich sorgen müsste, würde sie die mit ihrem Beruf zusammenhängenden Risiken niemals eingehen.
Ihre Gedanken kehrten zu der Akte zurück.
Der KGB hat meine Familie getötet.
Ihre Hand schloss sich fester um das Glas. Es ist noch nicht so lange her, dachte sie. Wenn die Leute, die dafür verantwortlich sind, noch am Leben sind, werde ich sie finden.
Sie trank den Rest ihres Drinks aus und goss sich einen weiteren ein.