Читать книгу Kommissar jagt Killer: 7 Strand Krimis - Alfred Bekker - Страница 23
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Wir fuhren noch einmal zum Polizeipräsidium.
Ladberger war noch dort. Wir fanden ihn im Dienstzimmer von Hauptkommissar Gustavv. Beide wirkten ziemlich ratlos.
„Ich soll Ihnen von Ihrem Kollegen Kommissar Nesch etwas ausrichten”, sagte Herr Gustavv an uns gerichtet.
Ich goss mir einen Kaffee ein. „Und was?”
„Ein Informant hat sich bei ihm gemeldet. Er will ihn treffen und meint, das könnte die Wende bringen.”
„Was für eine Wende?”
„Na im Hinblick auf Kerimov! Dass wir den Sack endlich zumachen und den Kerl aus dem Verkehr ziehen können.”
„Wissen Sie, was das für ein Informant ist?”, fragte Rudi.
Sowohl Ladberger als auch der Kollege Gustavv schüttelten unisono den Kopf.
„Das soll jemand sein, den Nesch von früher kennt und der darauf besteht, sich nur mit ihm zu treffen”, sagte Herr Gustavv.
„Er hätte uns darüber informieren müssen”, sagte ich.
„Das hat er doch”, gab Gustavv zurück. „Durch uns. Er hat gesagt, er hätte versucht, Sie beide anzurufen, aber anscheinend waren Sie nicht erreichbar.”
Ich sah auf mein Smartphone. Es war keine eingegangenen Nachrichten und kein verpasster Anruf verzeichnet. Rudi sah mich an. Er hatte denselben Gedanken wie ich.
„Der wollte uns nicht erreichen”, meinte er. „Wahrscheinlich hat es ihm von Anfang an nicht gepasst, dass die Ermittlungen durch zwei BKA Kriminalinspektoren von außen geleitet werden.”
„Warten wir einfach mal ab, was dabei herauskommt”, meinte ich.
„Ganz so locker würde ich das nicht sehen”, ermahnte mich Rudi. „Wir werden mit Kommissar Nesch ein paar Takte reden müssen, nachdem er sich mit seinem Informanten getroffen hat.”
Mein Smartphone klingelte. Ich nahm das Gerät ans Ohr.
„Hallo Harry”, meldete sich Dr. Lin-Tai Gansenbrink, die Mathematikerin und IT-Spezialistin unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg. „Ich will jetzt zwar nicht behaupten, dass ich den Fall für Sie gelöst habe, aber ich bin auf ein paar Zusammenhänge gestoßen, die Sie vielleicht in Ihre Überlegungen mit einbeziehen sollten.”
„Dann schießen Sie los, was haben Sie herausgefunden?”
„Ich möchte Ihnen zunächst erklären, was ich überhaupt gemacht habe. Man könnte es mit einer Art Aktenstudium der bisherigen Todesfälle nennen. Allerdings eine spezielle Art von Aktenstudium, die sich von der Vorgehensweise jedes BKA-Ermittlers und jedes Polizisten auf der ganzen Welt mit Sicherheit ganz erheblich unterscheidet.”
Eigentlich interessierten mich mehr die Ergebnisse, zu denen Lin-Tai gelangt war und weniger der Weg dorthin. Aber Lin-Tai war und blieb eben Wissenschaftlerin. Und da ist die Gewichtung der Interessen manchmal eben genau umgekehrt.
„Vielleicht können Sie es kurz auf einen Nenner bringen”, schlug ich vorsichtig vor.
„Natürlich kann ich das. Aber ich glaube, um die Ergebnisse einzuschätzen, ist es absolut notwendig, dass Sie verstehen, was ich gemacht habe, Harry.”
„Verstehen ist in diesem Zusammenhang für einen Normalbegabten wie mich vielleicht etwas zuviel verlangt.”
„Es reicht, wenn Sie die Richtung erahnen, Harry!”
Es war anscheinend sinnlos, Lin-Tai von ihrem Konzept abbringen zu wollen. Aber genau in dieser Beharrlichkeit lag ja unter anderem auch eine ihrer Stärken.
„Also gut”, sagte ich.
„Wenn ein Ermittler normalerweise an einen Fall herangeht, dann hat er meistens sein vorgefasstes Urteil schon im Kopf. Und entsprechend wird dann nur noch in diese Richtung ermittelt. Manchmal bleiben dadurch wesentliche Fakten unbeachtet. Sie werden mir zustimmen, dass sich das mitunter verhängnisvoll auswirkt.”
„Die größte Fehlerquelle bei unser Arbeit.”
„Ich habe es deswegen anders gemacht. Ich habe die vorliegenden Daten über sämtliche Fälle, die wir dieser ‘Heroin-statt-Koks’-Serie zuordnen unter rein mathematischen und statistischen Gesichtspunkten analysiert. Das geht bis zur Häufigkeit bestimmter Wörter in den Vernehmungsprotokollen und ihre statistische Verteilung. Und ich habe natürlich auch die Angaben zur Person in ganz besonderer Weise in diese Analyse mit einbezogen und auf Gemeinsamkeiten unter den Opfern hin geprüft.”
„Und?”
„Kalt, mathematisch-korrekt und vielleicht auch bedeutungslos - das lässt sich über meine Vorgehensweise und über die Ergebnisse sagen. Die Schlüsse müssen Sie ziehen, Harry.”
„Schlüsse woraus?”
„Zum Beispiel daraus, dass sämtliche Opfer dieser ‘Heroin-statt-Koks’-Anschläge Kinder hatten. Das trifft zu hundert Prozent zu. Nimmt man die Vergleichswerte der Drogenkonsumenten insgesamt, so sieht man, dass Eltern offenbar unter den Opfern erheblich überrepräsentiert sind, würde ich sagen. Man kann das noch weiter spezifizieren: Alle Opfer hatten Kinder, die noch minderjährig waren. Und bei immerhin 80 Prozent der Opfer waren die Kinder noch nicht im Teenageralter.”
Ich schwieg. Einen Augenblick lang sagte auch Lin-Tai kein Wort. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie in solchen Momenten ihrem Gesprächspartner einfach höflicherweise die Gelegenheit zum Nachdenken geben wollte.
„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was ich damit jetzt anfangen soll, Lin-Tai”, gestand ich.
„Ich auch nicht”, gab Lin-Tai zurück. „Aber ich sagte Ihnen ja: Die Schlüsse aus den Ergebnissen sind Ihre Sache.”
„Tja, ob ich überhaupt damit etwas anfangen kann, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht.”
„Die Opfer sind - abgesehen von der Tatsache, dass sie alle langjährige Kokain-Konsumenten waren, ansonsten sehr heterogen. Vermögen, Bildung, Geschlecht, durchschnittliches Jahreseinkommen, was auch immer man betrachtet, es lassen sich da statistisch keine Gemeinsamkeiten mehr finden, die so stark ins Auge springen. Die Analyse der Vernehmungsprotokolle hat übrigens auch etwas Interessantes ergeben. Es gibt in allen Fällen Aussagen, die besagen, dass die Opfer zuvor von jemandem beobachtet wurden.”
„Wirklich alle?”, fragte ich. Denn mir kam es eigenartig vor, dass so etwas übersehen worden und bisher nicht angemessen bewertet worden war.
„Bei allen. Allerdings kommt das nur zu Tage, wenn man wirklich sämtliche Protokolle analysiert. Also auch die Aussagen, die als nicht so wichtig oder wenig glaubhaft eingestuft wurden.”
„Auch Friedhelm Nöllemeyer soll laut seiner Frau geglaubt haben, dass er beobachtet wird. Allerdings...”
„...stuft man so etwas häufig als Hirngespinst ein”, vollendete Lin-Tai meinen Satz. „Außerdem gehören Verfolgungswahn und ähnliche Krankheitsbilder mitunter zu den Nebenwirkungen des Drogenmissbrauchs. Schon deswegen kann es ein, dass solche Hinweise bei den Ermittlungen unter den Tisch gefallen sind.”
„Gibt es irgendwelche Aussagen dazu, wer die Betreffenden verfolgt hat?”
„Dazu gibt es keine spezifischen Aussagen. Die Frau von Bernhard Deggenbusch aus Hamburg hat ausgesagt, ihr Mann sei von einem Mann mit dunklem Vollbart beobachtet worden. Aber das ist das einzige Mal, dass der vernehmende Beamte genauer nachgefragt und diese Einzelheit aufgezeichnet hat. Ansonsten gibt es keine Angaben dazu.”
„Wie auch immer. Vielen Dank, Lin-Tai.”
„Gern geschehen. Ich hoffe, Sie machen was daraus.”
Genau in diesem Punkt hatte ich allerdings im Moment noch arge Zweifel. Irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, dass die Dinge relevant waren, die sie herausgefunden hatte. Mathematische Spielereien. So sah das auf den ersten Blick aus. Aber da sollte ich mich täuschen.