Читать книгу Kreuzweg vieler Welten : Science Fiction Sammelband: 1000 Seiten Roman Paket - Alfred Bekker - Страница 29
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Leslie J. Wood war ein Mann um die Fünfzig. Sein Gesicht war kantig und zerfurcht.
Das Kinn sprang hervor, was durch den Knebelbart, den er trug, noch verstärkt wurde.
Ein Gesicht wie aus Stein gemeißelt, so hatte Maria Tobiasi immer gedacht.
Ein Monument.
Mit seinen grauen, aufmerksamen Augen beobachtete er die Anwesenden, wartete geduldig ab, bis alle Leitenden in dem Konferenzraum der AVALON Platz genommen hatten.
Commander Nurreddine war darunter. Sein erster Offizier Joe Zachary hatte neben ihm Platz genommen.
„Es gibt Meinungsverschiedenheiten über das weitere Vorgehen“, begann Leslie J. Wood gedehnt, nachdem das Gemurmel verstummt war.
Meinungsverschiedenheiten ist gut!, dachte Maria Tobiasi. Das ist sehr harmlos ausgedrückt.
Aber der verbindliche Ton entsprach Woods Wesen.
Das harte Durchgreifen lag ihm nicht.
Tobiasi dachte: Ein exzellenter Wissenschaftler, wahrscheinlich ausgestattet mit dem mit Abstand höchsten Intelligenzquotienten hier im Raum. Aber er denkt, dass man Probleme aussitzen kann. Und diese Sitzung wird deshalb auch keine Entscheidung bringen...
„Es geht im Kern darum, wie mit den unterirdischen Produktionsanlagen weiter verfahren wird“, erklärte Leslie J. Wood. „Bislang sind wir mit vorsichtigen, sehr behutsamen Untersuchungen vorangekommen, aber einigen im Team reichen die Fortschritte nicht aus. Darüber müssen wir diskutieren.“ Er wandte sich an einen Mann mit kurzen, blonden Haaren und nickte ihm zu. „Bitte, Professor Tamsor.“
John D. Tamsor war ein Spezialist für extraterristrische Technologie.
Er war noch ziemlich jung im Verhältnis zu den wissenschaftlichen Meriten, die er bereits vorweisen konnte. Ein kometenhafter Aufstieg lag hinter ihm.
Tamsor sah sich um, vergewisserte sich der Aufmerksamkeit aller.
„Es geht um die Produktionsstraßen zur Herstellung von Titans, die wir in den unterirdischen Anlagen entdeckt haben. Die Altairer waren Meister der genetischen Manipulation. Bio-Techniker könnte man sagen, die quasi biologische Maschinen zu erschaffen wussten. Aber der größte Teil ihrer Methoden ist uns nach wie vor unbekannt. Nun haben wir anhand dieser Produktionsstraße die einmalige Gelegenheit, hinter die Kulissen zu schauen... Und die sollten wir nicht ungenutzt verstreichen lassen. Das wäre ein Unrecht an der gesamten Menschheit, der dieses Wissen letztlich gehört... Wir forschen hier schließlich nicht zum Selbstzweck oder zur persönlichen Bebauchpinselung oder um unsere Kollegen schlecht aussehen zu lassen - sondern, weil wir einen Auftrag haben!“
Maria Tobiasi sagte: „Kommen Sie bitte auf den Punkt, John.“
John D. Tamsor verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
„Verehrte Professorin Tobiasi, das ist der Punkt!“, wies er sie zurecht. Dass er sie mit ihrem akademischen Titel anredete, war eine Form von subtiler Ironie.
Du willst mich wie eine dumme Studentin aussehen lassen!, erkannte Tobiasi. Aber da bist du schief gewickelt. Das wird dir nicht gelingen...
Tamsor fuhr gedehnt fort: „Unsere Untersuchungen treten auf der Stelle. Wir haben den Mechanismus der Produktionsstraße rudimentär erfasst, aber viel weiter können wir nicht kommen. Es sei denn...“ Tamsor lehnte sich zurück. Er machte eine rhetorische Pause.
Eins kann man dir wirklich nicht vorwerfen, dachte Maria Tobiasi. Nämlich, dass du ein Langweiler bist... Aber das hier ist kein Hörsaal! Hier geht um wichtige Sachfragen, von denen sehr viel abhängen kann!
„...es sei denn, wir gehen das Wagnis ein und versuchen, die Titan-Produktionsstraße in Betrieb zu nehmen“, vollendete Tamsor seinen Satz schließlich.
„Das ist nicht Ihr Ernst“, entfuhr es der entsetzten Maria Tobiasi.
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sachlich bleiben könnten“, kanzelte Tamsor sie ab. Seine Stimme klirrte wie Eis.
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nur Vorschläge machten, die ernst gemeint sind.“
„Dieser ist ernst gemeint.“
„Umso schlimmer. Sie scheinen die Konsequenzen überhaupt nicht zu bedenken.“
Tamsors Gesicht verzog sich.
„Haben Sie denn die Konsequenzen bedacht, die es haben könnte, wenn wir weiterhin Ihrem bevorzugten Weg folgen und auf der Stelle treten? Ich glaube kaum...“
„Die Schrecken, die die Titans in der Vergangenheit verbreitet haben, sind unvergessen“, stellte Wood fest. „Die Inbetriebnahme der Produktionsanlage wäre ein Risiko.“
„Nicht, wenn alles kontrolliert abläuft!“, stellte Bentor klar.
„Außerdem möchte ich auf einige technische Probleme hinweisen“, steuerte nun seinerseits Wood bei. „Probleme, die durchaus noch nicht gelöst sind. Der Steuermechanismus der Anlage ist hochkompliziert, und wir verstehen erst einen Teil davon. Das sollten wir uns immer ins Gedächtnis rufen!“
„Umso wichtiger, dass wir jetzt endlich einen Schritt weiter kommen“, erklärte Tamsor.
„Und was tun wir mit den Titans, die bei diesem Prozess erzeugt werden?“, stellte Maria Tobiasi eine unbequeme Frage.
„Es spricht viel dafür, dass die Bandstraße eine Möglichkeit der Zwischenlagerung besitzt“, erklärte Tamsor. Er wandte sich an Tobiasi. „Es kann ab und zu nicht schaden, die Arbeitsergebnisse der Kollegen zur Kenntnis zu nehmen!“
„Keine Sorge, das habe ich alles zur Kenntnis genommen.“
„Dann verstehe ich Ihre Einwände nicht. Oder sehen Sie irgendein Sicherheitsproblem?“ Mit den letzten Worten wandte er sich an Captain Nurreddine.
„Schwer zu sagen... Auf eine Horde wild durch die Gegend marodierender Titans bin ich nicht scharf. Andererseits sind wir gut ausgerüstet. Wir könnten damit fertig werden.“
Zwischenlagerung.
Fertig werden.
Wörter, die in Maria Tobiasis Verständnis unpassend waren, wenn man sie auf Lebewesen bezog.
Werkzeuge.
Noch so ein Wort.
Aber traf es das nicht in erschreckender Weise?
Was waren die Titans denn anderes gewesen als biologische Werkzeuge der Altairer, mit deren Hilfe sie ihre Feinde bekämpft hatten? Lebendige Kampfwerkzeuge aus der Retorte.
„Wir müssten die entstandenen Titans unter Kontrolle halten", sagte Leslie J. Wood. "Wenn das garantiert werden könnte...“
„Wir vermuten, dass die entstandenen Titans zunächst einmal inaktiv sind und erst durch einen entsprechenden Impuls ins Leben gerufen werden, wenn man das so ausdrücken will“, erklärte jetzt Saul Bentor im Ton kühler Sachlichkeit.
Hätte ich mir ja denken können, dass du auch auf Tamsors Seite bist!, ging es Maria Tobiasi durch den Kopf.
Sie ahnte, dass sie sich letztlich nicht würde durchsetzen können. Die Neugier, die Wissenschaftler wie Bentor und Tamsor antrieb, war einfach zu stark.
Auch Wood würde dem Reiz schließlich erliegen. Und dem starken Einfluss, den Tamsor ausübte.
Hat es je eine Entscheidung gegen Tamsor gegeben, bei der seine Meinung zum Zuge kam?, überlegte Tobiasi. Jedenfalls nicht, solange Wood das Team geleitet hat. Das steht fest.
„Ich denke, wir sollten nichts übereilen“, sagte Tem Ulfson, ein eher introvertierter Mann mit dünnem Haar und schmalem Gesicht.
Maria Tobiasi hatte kaum zu hoffen gewagt, dass Ulfson sich überhaupt zu Wort melden würde.
Normalerweise hielt er sich immer sehr zurück. Konflikten ging er aus dem Weg.
Alles, was für ihn zählte, war seine Arbeit, sonst nichts. Ihr hatte er sich mit Leib und Seele verschrieben. Er konnte regelrecht in ihr aufgehen.
Der Umgang mit Menschen war für ihn bedeutend schwieriger als der mit Maschinen. Seine Karriere hatte das etwas behindert.
„Was heißt hier übereilen?“, erwiderte Tamsor unwirsch. „Wir können natürlich auch noch eine Ewigkeit warten...“
„Die Anlagen sind sehr groß. Wir können noch gar nicht genau ermessen, wozu sie im einzelnen gebraucht wurden und in welcher Weise sie zu Zeiten des Altairer-Imperiums vernetzt gewesen sind.“
„Ja, und wenn wir Ihrer und Marias Ansicht folgen, werden wir auch nie soweit kommen!“, unterbrach ihn Tamsor.
„Vielleicht lassen Sie Ulfson seine Einwände einfach mal vorbringen“, forderte Leslie J. Wood.
Wie gewohnt, der Vermittler. Er wird sich auf keine der beiden Seiten stellen, sondern versuchen, einen Kompromiss zustande zu bringen. Diese Gedanken jagten durch Maria Tobiasis Hirn. Es war alles so vorhersehbar. Sie hasste das. Warum überhaupt noch etwas sagen, sich dazu äußern? Es nützte nichts. Es lief auf dasselbe hinaus.
„Nun, vielleicht bin ich etwas befangen“, meinte Ulfson. „Einige Angehörige meiner Familie kamen während der Titan-Invasion der Erde ums Leben, und daher habe ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber diesen Monstren...“
„Das kann ich gut verstehen“, sagte Wood. „Andererseits geht es nicht nur Ihnen so.“
„Das ist mir bewusst.“
Der braucht keinen Widerpart in einer Diskussion!, ging es Maria Tobiasi ärgerlich durch den Kopf. Tem Ulfson schafft es schon ganz allein, seine eigenen Argumente zu entkräften...
Das nenne ich dialektische Schulung!
Zum Kotzen ist das!
„Nun, mein Stichwort war Vernetzung. Wir haben - wie im übrigen von keinem am Tisch bestritten wird - einige Probleme mit der Gedankenkontrolle der Systeme.“
„Hängt immer davon ab, was man unter Problemen versteht“, mischte sich Tamsor ein und verdrehte die Augen.
„Jedenfalls wissen wir nicht, welche Mechanismen wir in dieser Anlage vielleicht zusätzlich noch auslösen, wenn wir die Produktionsstraße für die Titans in Betrieb nehmen. Dessen müssen wir uns ganz klar bewusst sein.“
„Soweit mir bekannt ist, gibt es nur eine Vernetzung zu den Energiesystemen“, erwiderte Saul Bentor.
Tem Ulfson hob die Augenbrauen.
„Soweit Ihnen bekannt ist - ja!“
„Wir sind Forscher, verdammt noch mal! Wir beschäftigen uns idealtypischer Weise nun einmal mit dem Unbekannten!“ Das war Tamsor. Und er wirkte sehr zornig, während er diese Worte sprach. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen.
Leslie J. Wood machte ein nachdenkliches Gesicht.
„Ich bin dafür, endlich Nägel mit Köpfen zu machen“, sagte Bentor.
„Ich ebenfalls - wie ja wohl jedem klar sein dürfte“, stimmte Tamsor zu.
Nurreddine nickte. „Das Sicherheitsrisiko halte ich für vertretbar.“
„Und wie ist Ihre Einschätzung?“, wandte sich Wood an Zachary.
„Gleichlautend.“
„Dann werden wir einen streng kontrollierten Test mit der Produktionsstraße durchführen“, bestimmte Leslie J. Wood.
„Ich hoffe, Ihnen ist dabei klar, welche Verantwortung Sie sich damit aufladen!“ Maria Tobiasi beherrschte sich nur mühsam. Sie fühlte sich ohnmächtig. Ein scheußliches Gefühl.
Wood lächelte dünn.
„Ich denke, wir haben das Für und Wider sorgfältig abgewogen!“
„Und sind trotzdem zur falschen Entscheidung gekommen!“ Diese Bemerkung ließ sie sich nicht nehmen.
„Ich fürchte, Sie werden das akzeptieren müssen!“
„Und ich fürchte, das kann ich nicht!“
Mit diesen Worten stand Maria Tobiasi auf und verließ den Raum.
Zwei volle Sekunden lang, nachdem sich die Schiebetür hinter ihr geschlossen hatte, herrschte Schweigen.
Dann meinte Saul Bentor schließlich: „Von mir aus können wir mit den Vorbereitungen sofort beginnen!“