Читать книгу Kreuzweg vieler Welten : Science Fiction Sammelband: 1000 Seiten Roman Paket - Alfred Bekker - Страница 42
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Professor Maria Tobiasi mochte es nicht, wenn man sie Professor nannte. Das erinnerte sie unwillkürlich an einen alten Mann mit wallendem, weißem Bart. Sie hatte keine Ahnung, wie diese Assoziation jedesmal in ihrem Innersten zustande kam. Jedenfalls reagierte sie in der Regel negativ darauf.
So auch diesmal: „Professor, ich...“ Der sie so angesprochen hatte, kam aus zweierlei Gründen ins Stocken. Erstens, weil sich Maria ruckartig zu ihm umwandte und bereits zu einer scharfen Attacke gegen den Ärmsten anhub (ihre Nerven waren dank der Ereignisse der letzten Stunden sowieso ziemlich blank) – und zweitens, weil ihn das offensichtlich erschütterte, was er in den Händen hielt.
Und Maria vergaß sogleich ihre Attacke. Der Mann drehte und wendete das Ding.
„Ein Artefakt, aber es scheint sich nicht um etwas Vollständiges zu handeln, sondern irgendwie... um ein Fragment.“
„Wo haben Sie es her, Wentz?“ Sie streckte die Hand danach aus, aber Erich Wentz machte keinerlei Anstalten, es ihr zu übergeben.
Erich Wentz gehörte als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu ihrem eigenen Mini-Team. „Ich habe eine Art Inschrift entdeckt. Altairisch. Ich konnte es gut entziffern. Allerdings habe ich den Eindruck, als wäre diese Inschrift – oder vielleicht so eine Art Niederschrift sogar? – nur eine grobe Zusammenfassung. Irgendwie erscheint es mir... Nun, es scheint die Möglichkeit gegeben zu haben, weitere Informationen, abgerufen über einzelne Satz- und sogar Wortfragmente, zu gewinnen."
„Zeigen Sie mal her!“ Es war eher ein Befehl als eine Bitte.
Maria Tobiasi war dafür bekannt, dass sie sehr gut mit ihren Leuten umgehen konnte. Ihre beiden Mitarbeiter hielten große Stücke auf sie. Aber sie konnte sich auf beide auch stets ohne Vorbehalt verlassen. So einen Ton jedenfalls kannte Erich Wentz gar nicht von ihr. Deshalb zeigte er sich ein wenig erschrocken. Und endlich übergab er das Fragment, wie er es nannte.
Während sie es drehte und wendete, um es von allen Seiten zu betrachten, wurde sie aus schmalen Augen gemustert.
Erich Wentz war ziemlich hager. Ein hochaufgeschossener Mann mit kurzgeschorenen, roten Haaren, einer Menge Sommersprossen nicht nur um die Nase, blonde, fast weiße Augenbrauen und in gleicher Farbe für einen Mann ungewöhnlich lange Augenwimpern, die seine großen, blass wirkenden Augen wirkungsvoll umrahmten. Keine Schönheit, aber durchaus ein Mann, der kaum Schwierigkeiten beim sogenannten schwachen Geschlecht hatte. Leider bei seiner Chefin schon, wie er bedauerte. Denn seine Chefin gefiel ihm nicht nur, und wenn er ehrlich zu sich selber gewesen wäre, hätte er sogar zugeben müssen, dass er sich in sie „unsterblich“ verliebt hatte. Nun, zumindest ein wenig. Aber – wie gesagt - er hätte es niemals zugegeben. Noch nicht einmal sich selbst gegenüber eben. Deshalb hielt er sich stets zurück in ihrer Gegenwart.
Doch wenn sie so hart mit ihm umsprang, kränkte ihn das sogar doppelt. Auch wenn ihm klar war, dass sie erheblich unter Druck stand. Sie witterte sozusagen eine Katastrophe, die durch die Inbetriebnahme der Produktionsanlage vielleicht sogar schon begonnen hatte – und andererseits war sie genauso ohnmächtig wie alle, die gegen die Inbetriebnahme eingestellt gewesen waren.
Jetzt ist es zu spät. Zu allem wahrscheinlich. Und das setzt ihr arg zu. Aber nicht nur ihr. Schließlich uns auch, die wir ihrer Meinung sind.
Sie schaute gerade auf und ihn an. „Wo haben Sie das eigentlich her, Wentz?“
„Nun, Professor...“
„He, wie oft habe ich Ihnen denn schon gesagt, Sie sollen mich nicht so nennen? - Nun, Erich, was ist jetzt?“
„Schon gut, Prof... äh, Maria. Ich - äh – habe mich gelangweilt. Vor allem, weil wir ja hier regelrecht festgehalten werden. Und deshalb habe ich überall im Gebäude herumgestöbert. Auf das Ding stieß ich eher zufällig. Sie wissen ja, dass viele Gebäude hier so aussehen, als müssten ihre Bewohner jederzeit zurückkehren, und in diesem Zustand befinden sie sich schon ziemlich lange. Während die Straßen inzwischen mehr und mehr von der Natur erobert werden – nach dieser langen Zeit ja wohl kein Wunder...“
„Kommen Sie irgendwann auch mal zur Sache, Erich?“
Er verstummt beleidigt, und dieses Beleidigtsein hielt immerhin einige Sekunden lang an, die Maria ungewöhnlich lange vorkamen. Zeit genug jedenfalls für sie, um sich darüber bewusst zu werden, dass ihre Art gegenüber Erich Wentz nicht gerade positiv genannt werden konnte. Ja, schlimmer noch: Sie ließ sozusagen arg zu wünschen übrig!
„He, Erich, entschuldigen Sie, wenn ich ein wenig... Aber...“
Er lächelte breit. „Schon gut, Maria, schon gut. Wir stehen hier alle ziemlich unter Druck. Es war ja nicht nur Langeweile, die mich hier umtrieb. Es war auch, um überhaupt was zu tun – in einer solchen Situation. - Jedenfalls fand ich das Ding eher durch Zufall.“
„Und Sie haben offensichtlich recht. Das Ding ist irgend so eine Art von Datenspeicher, wenn ich das recht verstehe.“ Sie schüttelte halbwegs fassungslos den Kopf. „Ich dachte eigentlich, alles zu kennen, was die Altairer zurückgelassen haben - wenigstens die hauptsächlichen Dinge. Aber das hier... Wieso sind wir niemals auf etwas gestoßen, was dem hier auch nur ähnlich ist?“
Er zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich, weil wir uns halt eben nur einbilden, alles Wichtige zu kennen, ihre Technik betreffend. Es stammt jedenfalls aus den Anfangstagen dieser Stadt, wenn ich recht vermute, und sein damaliger Besitzer hat es zu einer Art Tagebuch benutzt, wenn ich das richtig verstehe.“
„Damit haben Sie möglicherweise ebenfalls recht...“
Sie wurden in ihren gemeinsamen Überlegungen gestört, denn dies war der Zeitpunkt, als Professor Dr. Leslie J. Wood zurückkehrte. Er sah ziemlich zuversichtlich aus, aber als Maria auf ihn zusteuerte – eigentlich, um über den seltsamen Fund zu berichten –, zeigte er deutliche Fluchttendenzen. Er vermutete natürlich eine erneute Attacke wegen seiner Haltung von wegen Produktionsanlage.
Maria ließ seine Flucht allerdings nicht zu, und sie hielt das gefundene Fragment hoch, damit er es sehen konnte.
Auch Professor Tem Ulfson kam neugierig näher.
„Schade, dass das Tamsor nicht sehen kann, denn er ist schließlich der Experte für extraterrestrische Technologie. Ich habe jedenfalls so etwas noch nie zuvor gesehen.“
Erich Wentz trat hinzu.
„Er hat es gefunden - eher zufällig“, berichtete Maria. „Eine Art Datenträger, wenn man so will, aber offensichtlich ist die Inschrift oder Niederschrift – wie man sie in diesem Fall auch nennen mag – nur eine Zusammenfassung von einer Art Bericht oder Tagebuchaufzeichnung. Man konnte mittels einzelner Satz- und teilweise sogar Wortsegmente in das eigentliche Datenprogramm hinein steigen. Möglicherweise wurden die Daten dann direkt in die Gedanken des Betrachters projiziert.“
„Und woran erkennen Sie das alles eigentlich?“, fragte Ulfson interessiert. „Ich jedenfalls sehe nichts dergleichen.“
Sie schürzte ein wenig unschlüssig die Lippen. „Eher eine Vermutung, insgesamt gesehen - will ich mal sagen. Jedenfalls funktioniert der Mechanismus nicht mehr. Das ist offensichtlich.“
„Kaputt?“, wunderte sich Ulfson.
„Oder hat der Besitzer dieses Dinges selber dafür gesorgt, dass keine Einzelheiten erhalten bleiben?“, überlegte der Alte.
„Das könnte bedeuten...“, meldete sich Erich Wentz zu Wort, der ja eigentlich in dieser kleinen Runde der Experte war, das Ding betreffend. Wenn man das überhaupt so bezeichnen konnte. Jedenfalls hatte er sich von allen am längsten damit beschäftigt bisher. Er hub erneut an, seine Meinung zum Besten zu geben: „Es könnte bedeuten, dass die letzte Eintragung ganz unmittelbar zu einem Zeitpunkt gemacht wurde... unmittelbar bevor die Altairer sozusagen ausstarben. Der Besitzer hat dann nicht mehr die Zeit gehabt, alles zu löschen oder gar das Ding völlig zu zerstören.“
„Aber warum hätte er das überhaupt tun sollen – alles löschen?“
„Warum haben wir niemals etwas auch nur ähnliches gefunden?“, stellte Maria die Gegenfrage. „Könnte es nicht sein, dass die sterbenden Altairer jeden im Ungewissen halten wollten, der ihren Spuren folgte? Wir wissen eigentlich recht wenig über ihre Geschichte. Vielleicht hat das seinen Grund darin, dass die Altairer eben nicht wollten, dass andere etwas darüber erfuhren.“
„Ich habe die Niederschrift vollständig gelesen“, sagte Wentz. „Es ist tatsächlich so etwas wie die Geschichte der Altairer, beginnend in den frühen Tagen dieser Stadt. Also haben die Produktionsanlagen unterhalb der Stadt nur gegen Ende eine wirkliche Rolle gespielt. Wenn überhaupt... Das steht da zwar nicht eindeutig, aber es bleibt zu vermuten...“
Und dann las der Alte es selber – und an seiner Seite Tem Ulfson und Maria Tobiasi...