Читать книгу Die große Halloween Horror Sammlung November 2021 - Alfred Bekker - Страница 37

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Es war brechend voll in der Thomas Jefferson Memorial Hall, einem Kongress-Zentrum in Yonkers, das von Moses Jordans Management offenbar für die Totenerweckung des heutigen Abends angemietet worden war.

Die Kontrollen am Eingang waren ziemlich streng. Es wäre unmöglich gewesen, irgendwelche Waffen mit ins Innere zu nehmen. Fred musste also sein ganzes Arsenal im Hummer zurücklassen.

Chase sah trotz des frischen T-Shirts nicht gerade wie ein frommer Kirchgänger aus.

"Friede und Erlösung deiner armen Seele!", sagte der Türsteher. Erst dachte Chase, dass sei speziell auf ihn gemünzt. Aber dann bemerkte er, dass alle Gäste so begrüßt wurden.

Chase und seine beiden Begleiter gehörten zu den Letzten, die sich in die Halle drängten. Etwa fünftausend Besucher waren gekommen. Der Saal glich einem riesigen Kino.

"Ich bin mal gespannt, was da auf uns zukommt!", meinte Joe Carlito.

"Wir sind nicht zum Spaß hier!", mahnte Chase.

"Aber ein bisschen Fun muss doch auch dabei sein!"

"Haltet die Augen auf. Dieser Jordan hat etwas mit der Beschwörung der Komori zu tun, das liegt auf der Hand..."

Fred meldete sich zu Wort. "Wie wär's, wenn wir uns den Kerl in der Garderobe vorknöpfen und richtig ausquetschen?"

"Machen wir!", versprach Chase. "Aber nicht jetzt."

"Wieso nicht?"

"Ist schon zu spät. Das Ding hier fängt jeden Augenblick an. Aber vielleicht gibt's ja 'ne Pause. Oder wir nehmen ihn uns hinterher vor."

Fred Lazarre zuckte die Achseln.

"Du bist der Boss!", meinte er in Anspielung auf Chase' hohe Position in der Organisation der New Yorker Vampire. Chase hatte Joe und Fred schon gekannt, als er noch nicht so weit oben gewesen war. Ihr Umgangston hatte sich seitdem nicht geändert. Aber wenn es hart auf hart ging, war allen klar, dass Chase das Kommando hatte.

Und Chase wusste, dass er sich bei aller Flapsigkeit auf die beiden verlassen konnte.

Andernfalls hätte er sie auch nicht auf eine so wichtige Mission wie diese mitgenommen.

Eine Mission, bei der ihre Gegner keineswegs nur schwächliche Sterbliche waren, die ihren Kräften nichts entgegenzusetzen hatten, sondern Wesen, die ihnen mindestens ebenbürtig und sehr schwer zu töten waren, wie Chase inzwischen erfahren hatte.

Chase ließ den Blick über das Publikum schweifen. Ein Mann im weißen Anzug fiel ihm auf. Sein leicht gelocktes, blondes Haar und die ebenmäßigen Gesichtszüge gaben ihm ein fast engelhaftes Aussehen. Der Mann in Weiß wirkte auf Chase wie jemand, der etwas mit der Organisation dieser Veranstaltung zu tun hatte. Der Mann stand ruhig da, betrachtete das Publikum und lächelte überlegen. Zwischendurch kam einer der Saalangestellten auf ihn zu, schien ihn etwas zu fragen.

Auf der Bühne wurden derweil letzte Vorbereitungen getroffen.

Vom Band wurde im Hintergrund 'I saw the Light' von Johnny Cash gespielt.

Dann wandte der Mann in Weiß mit einer ruckartigen Bewegung den Kopf in Chase' Richtung.

Er sah den Vampir direkt an.

Unter all den vielen Menschen hatte er sich gerade die Nummer zwei des Imperiums herausgefischt. Er fixierte Chase regelrecht mit seinem intensiven Blick. Eine Falte erschien auf der glatten Stirn des Engelsgesichts.

"Was ist das denn für einer?", murmelte Chase vor sich hin.

"Der Kerl in der Marine-Uniform dahinten?", witzelte Joe Carlito. "Sieht aus wie der Oberkellner vom Dienst!"

In diesem Moment ging das Licht aus. Johnny Cash's sonore Stimme wurde leiser und schließlich blendete man sie ganz aus. Scheinwerfer beleuchteten die Bühne. Chase' Augen suchten in der Dunkelheit nach dem Mann in Weiß. Aber er fand ihn nicht. Irgend etwas stimmt mit dem Kerl nicht!, dachte er. Es war eine Art Instinkt, der ihm das sagte. Er fühlte Unbehagen. Die Art und Weise, in der der Kerl ihn mit seinem Blick fixiert hatte gefiel ihm ganz und gar nicht.

So als ob er alles über dich wüsste!, ging es ihm durch den Kopf.

Im nächsten Moment wurde Chase' Aufmerksamkeit durch etwas anderes abgelenkt.

Auf der Bühne erschien ein von einem Spotlight angeleuchteter Conferencier. Er trug einen dunklen Anzug. Am Revers blinkte ein silbernes Kreuz, das auf Chase einen ziemlich protzigen Eindruck machte.

"Ladies and Gentlemen - Brüder und Schwestern im Glauben! Ich habe die Ehre Ihnen heute einen Mann zu präsentieren, der als unerschrockener Prediger überall in den USA bekannt geworden ist! Von Kalifornien bis Chicago, von Miami bis New York City trat er auf, um verdammte Seelen zu erlösen und für die Sache des Herrn Jesus Christus zu gewinnen, um ihnen die Botschaft der Liebe zu bringen, aber auch jene Botschaft, die von der Gewissheit des Gerichtes spricht. Er bringt uns die Botschaft vom Krieg gegen das Böse und der Verdammnis - und man nennt ihn den daher auch den 'Sturmtank Gottes'! Halleluja!"

"Amen!", antwortete das Publikum wie ein Mann.

Leicht swingende Gospelmusik erklang im Hintergrund.

"Brüder und Schwestern! Ich habe die Ehre Ihnen einen Mann vorzustellen, der vermutlich das Leben von mehr Menschen veränderte, als die letzten drei Präsidenten der Vereinigten Staaten! Ein Mann, den Gott Wunder tun und sogar den Tod überwinden lässt! Ladies and Gentlemen, begrüßen wir gemeinsam den Superstar des Gebets: MOOOOSES JORDAN!"

Das Spotlight schwenkte herum.

Moses Jordan erschien auf der Bühne.

Beifall brandete auf. Die Gospel-Musik im Hintergrund schwoll zu einem Crescendo an.

Jordan hob die Arme, nahm die Huldigungen des Publikums entgegen.

Chase sah voller Erstaunen auf den dunkelhaarigen, bärtigen Prediger. Auf den Polizeifotos, kurz nach seiner Festnahme aufgenommen, hatte dieser Mann noch wie ein Greis gewirkt. Doch die Lebenskraft schien in seinen Körper zurückgekehrt zu sein. Jedenfalls wirkte Jordan wieder wie ein fünfundvierzigjähriger.

Nur beiläufig hörte Chase den salbungsvollen Worten des Predigers zu, in denen er zum Kampf gegen das Böse aufrief und die Sünder zur Umkehr mahnte.

Ein Sarg wurde hereingefahren.

Moses Jordan trat an den Sag heran, legte die Hand auf das dunkel gemaserte Holz. "Hier liegt Elizabeth Jenkins, eine verführte Sünderin, die für Geld ihren Körper verkaufte und insgesamt sogar dreimal unschuldiges Leben abtreiben ließ, dass in ihrem Bauch heranreifte!"

Ein Raunen ging durch das Publikum.

Moses Jordan atmete tief durch.

Er schüttelte den Kopf.

"Elizabeth, du bist tief gefallen. Du hast einen Stoff genommen, der sich Crack nennt und der dich schließlich körperlich zu Grunde richtete. Der Herr hat dich zu sich genommen, aber wäre es nicht gut gewesen, wenn du deine Sünden vor all den Menschen, die dich kannten, noch hättest bereuen können?" Er machte eine kurze Pause. Dann fuhr der Prediger emphatisch fort: "Der Herr und die Gebete deiner Brüder und Schwestern werden dich retten, Elizabeth! Hallelujah!"

"Amen!", antwortete das Publikum.

Die Gospelmusik im Hintergrund schwoll dramatisch an.

"Der Herr ist wunderbar! Er wird durch meine Hände ein Wunder tun und dir ermöglichen, was eigentlich nicht möglich ist, Elizabeth! Er wird dir für Augenblicke das Leben zurückgeben, damit du deine Sünden bereuen kannst! Es gibt ein paar Menschen in deinem Leben, denen das sehr wichtig ist! Sie haben dafür gesorgt, dass dein Leichnam hier her gelangte - allen Vorschriften zum Trotz! Aber heißt es nicht: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und gebt Gott, was Gottes ist?" Ein Augenblick der Stille entstand. Der Gospelchor setzte aus.

Moses Jordan deutete auf den Sarg. "Dein Fleisch, Elizabeth, gehört Gott! Und ER wird von den Toten erwecken und wiederauferstehen lassen, wenn es IHM gefällt!"

Zwei Männer kamen auf die Bühne, nahmen den Sargdeckel ab, trugen ihn von der Bühne. Ein Spotlight leuchtete das Innere aus, so dass man von den erhöhten Plätzen im Auditorium aus die tote Elizabeth Jenkins sehen konnte. Eine bleiche junge Frau mit eingefallenem Gesicht.

"Cool, Mann! Der Typ hat's echt drauf!", meinte Joe Carlito an Chase gewandt.

"Jedenfalls weiß er, wie man die Leute bei der Stange hält!", murmelte Chase.

Jetzt ließ der Prediger die arme Elizabeth sich hinsetzen. Seine Hand auf ihrer Stirn. Der entstehende Schatten sorgte dafür, dass man das Gesicht der jungen Frau nicht sehen konnte. Wenn es sich wirklich um die Leiche einer Crack-süchtigen handelt - um so besser!, ging es Chase durch den Kopf. Aber vielleicht ging der ganze Zauber auch nicht mit rechten Dingen zu.

"Elizabeth! Hörst du mich! Deine Brüder und Schwestern hier im Publikum beten für dich und deiner verdorbenen Seele, der hier und heute und vor aller Öffentlichkeit, im Angesicht Gottes und der Menschen, die einmalige Chance zuteil wird, reinen Tisch zu machen. Reinen Tisch, um guten Gewissens vor den Schöpfer treten zu können, der deine Seele dann wägen wird."

Der Prediger wandte den Kopf in Richtung der Gemeinde. "Betet, Brüder und Schwestern! Fasst euch bei den Händen und betet! Euer Glaube ist es, die die Kraft des Herrn herbeiruft!"

Die Menschen fassten sich bei den Händen.

Chase sah sich befremdet um.

Da waren eiskalte Yuppies aus der Wall Street, für die sonst nur Chartanalysen und Renditen zählten. Hier wurden sie zu gläubigen Kindern und standen neben Leuten, die vielleicht Bauarbeiter oder Kindergärtnerin waren. Alle vereint in dem Glauben, dass Moses Jordan Tote erwecken konnte. Durch die Kraft Gottes. Die Wiederauferstehung des Fleisches.

"Komm, lasst uns gehen", meinte Chase und musste sich dabei Mühe geben, den wieder zum Crescendo anschwellenden Gospel-Chor zu übertönen.

"Hey, Mann! Wieso denn?", maulte Fred Lazarre. "Ich will jetzt sehen, ob die Leiche wirklich redet!"

"Und ich will wissen, wo die Garderobe dieses Moses-Verschnitts da unten ist, damit wir ihn abpassen können!"

"Moment noch!" Auch Joe Carlito war von dem Geschehen auf der Bühne vollkommen fasziniert. "Die Lady da unten ist genauso tot wie wir! Vielleicht sollten wir uns auch mal eine Spezialbehandlung von Mr. Jordan gönnen!"

"Sehr witzig, Joe!"

Von den Leuten in der Sitzreihe vor ihnen ernteten sie ein paar vernichtende Blicke. Wie konnte jemand nur im Angesicht eines Wunders so wenig Andacht zeigen. Sie warteten noch ab, bis die tote Lady ihr Reuebekenntnis abgelegt hatte. Dann verließen sie das Auditorium.

Es war nicht schwer, den Weg zur Garderobe des Star-Predigers zu finden.

Zwei Security Guards bewachten den Weg dort hin.

"Hey, was wollt ihr hier!"

Einer der beiden zog seinen Revolver.

Joe Carlito stürzte sich auf ihn, verpasste ihm einen Schlag, der ihn tödlich getroffen zu Boden gehen ließ. Fred Lazarre nahm sich den anderen vor und schaltete ihn aus.

"Das war knapp!", meinte Joe. "Wenn der Kerl einen Schuss abgegeben hätte, wär's eng für uns drei geworden."

Chase nickte.

"Scheint so, als könnte man sich immer noch auf euch verlassen!"

"Was hast du denn gedacht!"

"Jetzt seht mal zu, dass ihr ein unauffälliges Plätzchen für die Leichen findet! Und dann..."

Joe und Fred sahen Chase mit gerunzelter Stirn an.

"Was - und dann?", hakte Joe Carlito nach.

"Dann zwängt ihr euch in diese Uniformen! Sicher ist sicher..."

Joe seufzte schwer. "Schon lange her, dass ich das letzte Mal eine Hose mit Bügelfalte getragen habe!"

"Na, dann wird's ja wieder mal Zeit!", war Chase' Erwiderung.


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