Читать книгу Von Gangstern, Diven und Langweilern - Allan Guggenbühl - Страница 6
1 — Klassen als heterogene Gebilde
ОглавлениеAus psychologischer Sicht betrachtet, gibt es kaum Institutionen, die schwieriger zu führen sind als Schulen. Die Beteiligten kommen gewissermaßen zufällig zueinander, sie werden nicht speziell ausgewählt und rekrutieren sich auch nicht aus einem bestimmten sozialen Kreis. Vor allem die Volksschule ist offen für Menschen aus allen sozialen Schichten, mit unterschiedlichsten Prägungen, Persönlichkeitsprofilen, Biografien und ethnischen Hintergründen. Die Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in ihren Werten, Interessen, Einstellungen und Motivationen. Einzelne Lernende sehen in der Schule eine Zwangsinstitution, würden lieber gamen oder herumhängen, andere freuen sich auf die Schulstunden, wieder andere interessieren sich vor allem für ihre Kolleginnen und Kollegen. Die Temperamente sind verschieden: Einzelne Lernende fallen durch eine hohe Aggressionsbereitschaft auf, andere können sich schlecht konzentrieren, und wieder andere würden mehr lernen, wenn sie sich den Schulstoff selbstständig und allein aneignen könnten. Unterschiede gibt es auch auf der Seite der Lehrpersonen. Selbst nach einer fundierten Ausbildung und mit stetigen Qualitätskontrollen unterrichten Lehrpersonen unterschiedlich und je nach ihrem Persönlichkeitstyp anders. Weil die Zusammensetzung einer Klasse immer einzigartig ist, entwickelt jede Schulklasse ein spezifisches Profil. In der einen Klasse sind alle auf Draht, Spannungen und Animositäten prägen das Klima. Eine andere Schulklasse unterrichtet sich fast von allein, da positiv eingestellte Lernende den Ton angeben.
Als Reaktion auf die spezifischen Profile entwickeln sich in jeder Klasse eigene Umgangsformen und Regeln. Da die Mehrzahl der Lernenden wie auch der Lehrpersonen heftige Auseinandersetzungen, Fehltritte und Streitigkeiten vermeiden, passt man sich dem jeweiligen Klassengeist an. Man verhält sich nicht wie im Privatleben oder in der Freizeit, sondern es entwickeln sich Codes, ungeschriebene Vorgaben, wie man sich in der betreffenden Klasse zu verhalten hat.
Codes definieren, was erlaubt ist, welche Themen angesprochen werden dürfen und wie man miteinander umgeht. Solche Codes werden nicht bewusst aufgestellt, sondern sie entwickeln sich unbewusst als Antwort auf wahrgenommene Differenzen. Man realisiert, dass Differenzen sich negativ auswirken oder Probleme verursachen können. Sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrpersonen bewegen sich auf einem Minenfeld. Viele Lernende verstehen sich gegenseitig nicht, unterschiedliche biografische oder ethnische Hintergründe können zu Konflikten führen, die eskalieren können. Deshalb entwickelt eine Schulklasse solche Codes, damit man zivilisiert miteinander umgeht und die persönliche Integrität geschützt wird.