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Was bedeutet Lesedidaktik?
ОглавлениеZielsetzung auch der fremd- und zweitsprachlichen Lesedidaktik ist die Förderung von Lesekompetenz. Diese richtet sich einerseits auf die Förderung von grundlegenden Fertigkeiten wie z. B. das Erkennen von (längeren) Wörtern oder Sätzen, andererseits auf die Förderung von Strategien, die die Bedeutungskonstruktion auf der Textebene und die bewusste Gestaltung von Leseprozessen unterstützen.
An das interaktive Modell von Lesekompetenz schließt das Modell ihrer integrierten Förderung an (Kruse 2007: 177f.). In ihm werden folgende Konzepte einer Förderung von Lesekompetenz miteinander verbunden:
LeseförderungDas in den 1980er und 1990er Jahren im deutschsprachigen Raum populär gewordene Konzept ist besonders auf motivationale Aspekte ausgerichtet. Es will die Lust zu Lesen fördern, positive Leseerfahrungen in vielfältig anregenden Lesesituationen und -umgebungen vermitteln und eine stabile Lesehaltung aufbauen. So werden Lesenächte, Lesewettbewerbe und Autor*innenlesungen veranstaltet; im (Lese-)Unterricht können von den Lernenden Lieblingsbücher vorgestellt werden; in Leseecken in Unterrichtsräumen kann frei gelesen werden, eventuell begleitet von Notizen in Lesetagebüchern.
Unterrichtsidee
Auch mit größeren Projekten kann die Lesemotivation gefördert werden – etwa unter der Zielsetzung, dass Schüler*innen einer Stadt so viele Bücher lesen, dass diese aufeinandergestapelt eine Höhe erreichen würden wie das Rathaus, ein Kirchturm oder ein anderes hohes Gebäude einer Stadt. Swantje Ehlers (2010: 1541) ergänzt mit Blick auf den Unterricht Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in diesem Zusammenhang Besuche von Bibliotheken und Buchhandlungen (mit Arbeitsaufträgen), das Angebot von Lesekisten, das Erstellen einer Schüler*innenzeitung, das Vorbereiten einer Buchausstellung, das Anfertigen eines Literaturkalenders oder das Veranstalten einer Jugendbuchwoche.
LesetrainingDas Konzept steht in der Tradition der angloamerikanischen Leseforschung der 1980er und 1990er Jahre, in der große empirische, vergleichende Lesestudien durchgeführt und Trainingsprogramme aufgelegt und evaluiert wurden. Es wird erst in jüngerer Zeit – besonders nach den PISA-Tests – auch im deutschsprachigen Raum verstärkt rezipiert. In seinem Mittelpunkt steht das Trainieren des Lesens, orientiert am Modell einer reading literacy: Basale Lesefertigkeiten sollen anhand spezifisch erstellter Materialien auf- und ausgebaut, Lesegeläufigkeit und strategische Lesefähigkeiten entwickelt werden.
Literarische BildungDas Konzept begann im deutschsprachigen Raum am Ende des 19. Jahrhunderts Wirkung zu entfalten und prägt(e) die Diskussion um den schulischen Deutschunterricht mindestens bis in die 1970er Jahre hinein. Es fokussiert das Lesen, Analysieren und Vergleichen (‚kanonischer‘) literarischer Texte und zielt neben der literarischen auf die persönliche Bildung der Lernenden: In der diskursiven Auseinandersetzung mit dem Gelesenen sollen auch Wertebildung und Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden.
Unterrichtsidee
Ein gelungenes Beispiel für eine integrierte Förderung vorrangig der Lesekompetenz von Grundschulkindern im Bereich Deutsch als Zweitsprache ist das Hamburger Projekt eines TheaterSprachCamps und nachfolgenden TheaterSprachKurses (→ Kap. 21). Es wird seit 2007 wiederholt durchgeführt. Im Mittelpunkt des SprachCamps in den Sommerferien steht die Sprach- und Theaterarbeit anhand eines Kinderbuchs wie z. B. Michael Morpurgos Die schwarze Hexe (dt. 2001) in fast täglichen Werkstätten mit kleinen Gruppen von Kindern. Das Buch wird in den Werkstätten in einzelnen Teilen szenisch interpretiert (→ Kap. 20), begleitet von sprachlichen Entdeckungen und Übungen. Es werden kleine Inszenierungen von ca. drei Minuten Länge vorbereitet, die in einer großen Abschlussveranstaltung Eltern und anderen Gästen gezeigt werden. In abendlichen Vorlesestunden wird das Buch nach und nach im Ganzen vorgelesen, gefolgt von anderen Büchern. Ziel der Vorlesestunden ist es besonders, die Fähigkeit der Kinder zum Zuhören und gespannten Genießen sowie ihre Lesemotivation und Bereitschaft zum selbstständigen Lesen zu fördern. Jedes Kind führt ein Camp-Buch als Portfolio, in dem es Arbeitsprodukte sammeln und selbst reflektieren kann; für die Erstellung des Camp-Buchs werden eingangs orientierende gemeinsame Ziele und Kriterien formuliert.
In nachfolgenden schuljahresbegleitenden TheaterSprachKursen wird mit den geförderten Kindern unter ähnlichen Zielsetzungen anhand der bereits im TheaterSprachCamp erprobten Methoden weitergearbeitet. Sie nehmen wöchentlich an 90minütigen Theater-AGs teil, die sich wiederum aus integrierter Sprach- und Theaterarbeit, einer Vorlesezeit und der Arbeit am Kursbuch, einer Fortsetzung des Camp-Buchs, zusammensetzen. Arbeitsgrundlage ist ein weiteres Kinderbuch wie z. B. Brigitte Schärs Dinosaurier im Mond (2009). Stärkere Aufmerksamkeit gegenüber dem Camp erfährt die Förderung von Schreibkompetenz sowohl in der Sprach- und Theaterarbeit wie auch in der Arbeit am Kursbuch. Mit der Methode des generativen Schreibens (→ Kap. 6, 20) werden Gedichte und Geschichten entwickelt, die neben eigenen Gedanken, Notizen zu Leseinhalten und zum persönlichen Verhältnis zu Mehrsprachigkeit auch in das Kursbuch aufgenommen werden können. Aufführungen für die Eltern und die Schulgemeinschaft finden jeweils am Ende eines Schulhalbjahres statt. (vgl. Neumann et. al 2011)
Besondere Bedeutung in der aktuellen Lesedidaktik gewinnt das Lesetraining und hier besonders das Training von Lesestrategien.
Strategien allgemein werden als optionale Prozesse bei der Bearbeitung von Aufgaben bzw. Verfahren zum Erreichen eines Zieles oder zur Lösung eines Problems verstanden (vgl. Grotjahn 1997: 51, Bimmel 2002: 117). In der Regel gelten Strategien als bewusste Prozesse bzw. bewusst eingesetzte Verfahren; in einem sehr weit gefassten Strategiebegriff werden mitunter aber auch hochautomatisierte, nicht bewusst ablaufende Prozesse als Strategien bezeichnet.
Lesestrategien betreffen einerseits die kognitive Fähigkeit, strategische Lesehandlungen (z. B. Textinhalte vorhersagen, Wortbedeutungen ableiten, Wichtiges unterstreichen) adäquat auszuführen und andererseits die metakognitive Fähigkeit, Leseprozesse selbst zu steuern und zu reflektieren (z. B. Leseaufgaben analysieren, Leseziele bestimmen und Lesestrategien entwickeln, mit denen sich diese Ziele erreichen lassen) (vgl. Bimmel 2002: 122).5
Beim Training von Lesestrategien sind beide Ebenen zu berücksichtigen. So ergeben sich folgende Komponenten:
Orientierung auf die Anwendung von LesestrategienLernenden sollten vielfältige Informationen darüber zur Verfügung gestellt werden, welche Funktionen Lesestrategien haben, wann und warum ihre jeweilige Anwendung sinnvoll sein kann, wie sie ausgeführt werden können und wie ihre Effektivität zu überprüfen und zu bewerten ist. Ziel ist dabei, ihr metakognitives Wissen über Leseziele, Leseprozesse und strategische Lesehandlungen zu entwickeln.
Übung in der Anwendung strategischer LesehandlungenLernende sollten eine breite Palette unterschiedlicher strategischer Lesehandlungen kennenlernen und sie gemeinsam mit der Lehrkraft erproben. Die Lesehandlungen gehören zu den drei Hauptgruppen „Sprachliches und nichtsprachliches Vorwissen verwenden“, „Textelemente mit einem hohen Informationswert verwenden“ und „Strukturmarkierende Textelemente verwenden“.
Bewusstmachung des strategischen VorgehensLernende sollten zur Entwicklung der Fähigkeit, die eigenen Leseprozesse zu steuern, vielfältige auch interaktive Aktivitäten kennenlernen, die zur Bewusstmachung des Einsatzes von (effektiven) Lesestrategien beitragen. (vgl. Bimmel 2002: 123ff.)
Um diese Komponenten als Lehrkraft im Blick behalten zu können, haben Duke/Pearson (2002) eine Checkliste für den Leseunterricht erstellt, die in der aktuellen Lesedidaktik häufig Verwendung findet (hier zitiert in Anlehnung an Badel/Valtin 2005: 68f.). Die Empfehlungen für den Unterricht allgemein zielen auf das extensive Lesen, das für die einzelnen Lernenden bedeutet, möglichst oft (längere) Texte individuell zu lesen und diese aus einer Fülle von Textmaterial auswählen zu können, das in verschiedenen sprachlichen Schwierigkeitsgraden zur Verfügung steht.