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DER URIN

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»Meine alte Heimat riecht nach Benzin, meine neue nach Urin«, sage ich und reiche meinem Freund, dem Computerfachmann, und meiner Freundin jeweils ein Bier.

Das Kneipenkollektiv hat die Schicht ausfallen lassen. Deshalb haben wir unser Bier im Kiosk gegenüber gekauft und stehen damit nun vor einem leerstehenden Supermarkt.

»Wir sind in der Gosse gelandet«, stellt der Computerfachmann fest und legt einen kleinen Stepptanz hin.

»Das ist ein Zeichen«, sagt meine Freundin. Er fragt sie, wofür das ein Zeichen sein soll.

»Dafür, dass wir es uns lieber auf dem Sofa bequem machen sollten.«

Es stinkt wirklich erbärmlich hier. Aber so ist es halt, wenn weit und breit keine öffentliche Toilette in Sicht ist. In Irakisch-Kurdistan ist an jeder Ecke eine Moschee mit Waschgelegenheit und Klo. Aber vermutlich gibt es in jedem anderen Land mehr öffentliche Toiletten als in Deutschland.

»Ob die Überwachungskamera wohl noch aufzeichnet?«, fragt der Computerfachmann und zeigt auf ein Gerät oben am verrammelten Eingang.

»Das ist mir wurscht«, entgegne ich und baue einen Joint direkt vor der Kamera.

»Du hast echt einen Sockenschuss«, meckert meine Freundin.

Mein deutscher Wortschatz besteht aus einer eigentümlichen Mischung aus komplizierten Fachbegriffen und seltsamen Schimpfwörtern. Das passiert, wenn man sein Deutsch von angetrunkenen Linksintellektuellen lernt.

»Sockenschuss ist kein schönes Wort«, entgegne ich und reiche dem Computerfachmann den Joint.

Meine Freundin stapft derweil missmutig in Richtung Innenstadt. Wir gehen ihr nach und stehen in wenigen Minuten in der Fußgängerzone. Hewlêr hat etwa zehn Mal so viele Einwohner wie das Provinzkaff, in dem ich am Ende meiner Flucht gelandet bin. Man ist hier irgendwie immer im Zentrum.

»Ich gehe nach Hause«, meine Freundin dreht sich um und schaut mich an. »Kommst du mit?«

»Hey, so kenne ich dich ja gar nicht!« Wie so oft rettet der Computerfachmann die Situation. »Lass uns tanzen gehen.« Er hakt sie unter und schleift sie durch eine kleine Seitenstraße in Richtung unserer Lieblingsbar.

Wir manövrieren uns durch den überfüllten Eingangsbereich vor der Theke nach hinten. Unterwegs bleiben die beiden auf der Tanzfläche hängen und hüpfen begeistert los.

Ich schlendere weiter zum Kicker und plaudere auf Arabisch mit einigen der Jungs, die zum festen Inventar gehören.

»Was machst du denn noch hier, Habibi?«, frage ich meinen Kumpel, den Spieler, der seit Wochen davon redet, dass er Deutschland verlassen will.

»Ich gehe nächsten Monat in die Türkei zu meinen Eltern«, sagt er. »Hast du was zu kiffen?«

»Nein, aber willst du ein Bier?«, biete ich ihm an.

»Nein, ich trinke nicht mehr. Das ist harām.«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst. Wolltest du nicht gerade kiffen?«

»Von Cannabis hat der Prophet nicht gesprochen«, sagt er ernst.

»Seit wann interessierst du dich für den Koran? Außerdem sind alle Drogen harām«, ich klopfe ihm auf die Schulter. »Glücksspiel übrigens auch, Habibi!«

Früher ist Basketball seine große Leidenschaft gewesen, nun sucht er offensichtlich Halt in der Religion. Das werde ich nicht mit ihm diskutieren. Ich gehe zurück zur Tanzfläche und geselle mich zu meiner Freundin und dem Computerfachmann. Sie singen lautstark ein Lied mit, das ich noch nie gehört habe.

»Ich gehe mal ein bisschen vor die Tür, oder wollen wir nach Hause?«, frage ich meine Freundin.

»Du bist gut«, sie lacht. »Nun bleibe ich erst mal hier.«

Ich stehe vor der Bar. Drei blonde Typen mit zerzausten Bärten taumeln an mir vorbei, klettern in ein schrottreifes Auto, fahren los und hinterlassen eine Fahne Dieselgeruch.

Kafir

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