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AHMED
Оглавление»Allahu akbar, Gott ist groß.« Meine Mutter wurde nicht müde zu betonen, dass es ein Wunder Gottes sei, dass ich das Licht der Welt überhaupt erblickt hatte.
Während die Geburten meiner Geschwister völlig unkompliziert verliefen, ging bei mir alles schief. Schon die Schwangerschaft war anstrengend und die Geburt schmerzhaft. Und als mein Körper dann endlich rauskam, war er leblos. Die Ärzte erklärten mich zum Entsetzen meiner Mutter für tot. Doch entgegen der ersten Prognosen war es nach langen, bangen Minuten gelungen, mich wieder zum Leben zu erwecken. Nach einigen Tagen konnte sie mich mit nach Hause nehmen, Ahmed, das dritte Kind der Familie.
»Alhamdulillah, gelobt sei Gott«, erklärte sie und schaute mich mit ihren ernsten braunen Augen besorgt an.
Möglicherweise hatte dieses Wunder des wiedergeborenen Sohnes ihre Religiosität erst wirklich entfacht. Denn wenn ich die Schachtel mit den Familienbildern rauskramte, entdeckte ich auf den Fotos eine Frau, die keine Ähnlichkeit hatte mit der strenggläubigen Muslimin, die ich als meine Mutter kannte.
Auf den Fotos sah ich eine lachende junge Frau ohne Kopftuch. Sie hatte meinen Vater ganz dreist aus Liebe und ohne Einwilligung ihrer Eltern geheiratet, hatte sie mir mal mit schelmischem Blick erzählt.
Rebellisch kam mir meine Mutter überhaupt nicht vor. Ich sah sie den ganzen Tag im Haushalt arbeiten, während die Fernsehprediger von Makkah Live vom Bildschirm auf sie einredeten. Sie ließ kein Gebet ausfallen, verhüllte ihre Haare in Anwesenheit aller anderen Männer außer meinem Vater und ging nie ohne den langen Mantel aus dem Haus. Und Irakisch-Kurdistan hatte sie bisher nur für die Haddsch verlassen.
Bei Entscheidungen ordnete sie sich meinem Vater fast immer unter. Nur wenn er uns Kindern gegenüber zu streng auftrat, blitzte Trotz in ihren Augen auf. Niemand sollte ihren Kindern etwas zuleide tun. Sie nahm mich immer in Schutz und ich dankte es ihr, indem ich ihr im Haushalt zur Hand ging.
»Du musst das nicht tun, Kúřim, mein Sohn, das kann deine Schwester machen«, sagte meine Mutter oft, wenn ich ihr das Gemüse klein schnitt oder beim Putzen half.
»Daya, ich mache das gern«, antwortete ich dann immer, und es stimmte.
Ich hatte keine Geduld, stundenlang für die Schule zu lernen wie mein älterer Bruder und verlor schnell den Spaß an den Spielen meiner großen Schwester und meines kleinen Bruders. Ich war am liebsten in Bewegung und fragte meine Eltern ständig nach Aufgaben.
Ich putzte gern und ich genoss es, meiner Mutter beim Kochen zuzugucken. Meine Mutter machte die besten Dolma der Stadt. Wir höhlten das Gemüse aus, schnitten das Fruchtfleisch klein und mischten es mit Reis, um die Mischung anschließend in die ausgehöhlten Teile oder Weinblätter zu füllen.
»Ist es so genug oder soll ich noch mehr Reis einfüllen?«, fragte ich und zeigte meiner Mutter mein Werk.
»Das sieht gut aus. Aber du musst es nicht lernen. Deine Frau wird später für dich kochen«, sagte meine Mutter, während sie die befüllten Gemüseteile und Weinblätter mit routinierten Handgriffen zum Garen in den Topf legte. Viele Jahre später war ich froh darüber, dass ich mir meine Leibgerichte selber kochen konnte.