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DAS KIND

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»Ist das deine Familie?«, fragt mich der Spieler, während er sich die Fotos anguckt, die ich hinter meinem Sofa an die Wand geklebt habe.

Mein großer Bruder mit ernstem Gesicht, meine Schwester lächelnd, mal mit Zopf, mal verschleiert, meine Mutter mit großen braunen Augen vom Kopftuch umrandet und immer in langem Mantel, mein kleiner Bruder und ich oft mit den gleichen T-Shirts, wie Zwillinge. Manchmal fehlt mein Vater auf den Bildern, manchmal steht er neben uns mit zerzausten schwarzen Haaren und dunklen Augenbrauen. Auf dem letzten gemeinsamen Bild sehen wir alle so aus, als sei gerade jemand gestorben.

»Ich vermisse meine Familie so sehr«, sagt der Spieler. Seitdem seine Familienzusammenführung gescheitert ist, verspielt er jeden Monatsanfang all sein Geld in der Hoffnung, plötzlich reich zu werden und damit alle seine Probleme lösen zu können. Manchmal arbeitet er auch als Drogenkurier, doch viel häufiger dröhnt er sich selber zu, um zu vergessen. Zurückgehen kann er nicht, ankommen auch nicht.

Gelegentlich fragt er mich, ob er bei mir übernachten kann. Dann duscht er, während ich etwas für ihn koche. Während des Essens erzählt er mir von seiner Familie. Danach rollt er sich auf meinem Bett zusammen und schläft wie ein kleines Kind. Er wohnt in einem Zimmer mit drei Leuten, die eine andere Sprache sprechen. Er vermisst sein altes Leben, das Essen seiner Mutter und die Familie.

Aber er hat sie enttäuscht. Sie werfen ihm vor, dass er sich nicht genug bemüht hat, sie nach Deutschland zu holen. Dabei hat er alles versucht. Aber er ist erst als Volljähriger als Flüchtling anerkannt worden, und nun hängt seine Familie in der Türkei fest und hofft, dass ihr Sohn es hier in Deutschland zu etwas bringt und ihnen zumindest regelmäßig Geld schicken kann. Er kann sich nicht mal um sich selber kümmern.

»Vermisst du deine Familie gar nicht?«, fragt er mich am nächsten Morgen, als wir zusammen zum Bus gehen. »Hättest du sie nicht holen können?«

»Nein, ich hätte sie nicht holen können. Aber das hätten sie ohnehin nicht gewollt.«

Wir stellen uns an die Bushaltestelle und warten auf den Bus. Im Wartehäuschen sitzen zwei Frauen mit einem kleinen Kind. Das Kind stellt eine Frage nach der anderen. Die beiden Frauen unterbrechen jedes Mal ihr Gespräch und beantworten jede Frage freundlich und ruhig.

Der Spieler und ich gucken uns an und kichern.

»Das war bei mir nie so«, sage ich.

»Bei mir auch nicht. Kinder sollen zuhören und leise sein.«

»Ja. Aber ich habe trotzdem immer dazwischengequatscht.«

Kafir

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