Читать книгу Wenn die Nacht wach ist - Ana Catarina Lopes - Страница 5

Kapitel 2

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Vor einer Woche

Mandy

Mein Handy zeigt mir eine eingegangene Nachricht und zwei verpasste Anrufe von Xena, meiner besten Freundin, an, als ich gerade meine letzte Arbeitsgemeinschaft zur Anatomie für heute für beendet erkläre. Der Tag hat zwar nur vierundzwanzig Stunden, doch manchmal kommt es mir so vor, als wären es tatsächlich nur sechs. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Tag seine Stundenanzahl längst noch nicht ausgereizt hatte.

Xena ruft selten aus Höflichkeit an, sondern immer dann, wenn sich etwas Gefährliches zusammenbraut. Wenn sie also anruft, dann hat man ganz sicher etwas verbockt. Xena muss niemanden treffen oder anrufen, um zu wissen, wie es einem geht, nein, denn das weiß sie immer ganz genau. Wenn Xena anruft, dann bedeutet es höchste Alarmstufe und das sollte keiner auch nur jemals vergessen. Vielleicht hilft es auch nicht gerade besonders, dass wir beide wie Zwillinge aussehen und auch noch diese Verbindung zu haben scheinen.

Wie gut, dass wir nicht auch noch gleich alt sind, sonst hätte ich eventuell gedacht, dass wir tatsächlich Zwillinge sind, die bei der Geburt voneinander getrennt wurden. Auch wenn wir häufig deswegen scherzen, denn egal wo wir hingehen, man kann uns nur offensichtlich an der Haarfarbe unterscheiden. Sie hat braune Haare und ich bin blond. Vielleicht auch noch an unserer Kleidung und Körperbetonung, aber das kann eben nicht jeder. Während sie ihre Sanduhrfigur beton, versuche ich sie zu kaschieren, aber am Ende sehen wir uns immer noch viel zu ähnlich.

Und dann wäre da noch die Kommunikation, es scheint mir manchmal so, als können wir mental miteinander kommunizieren. Wir wissen immer, ob es der anderen nicht gut geht oder irgendetwas nicht stimmt. Also ist ihre Nachricht nicht weiter verwunderlich, während ich sie mir noch einmal durchlesen.

Hey Mandy. Ich habe mal wieder Karten gelegt… Es ist ja nicht so, dass ich das nicht tun sollte… ABER mir ist etwas aufgefallen. Kannst du heute nach der Uni zu mir kommen? Es ist wichtig. LG Xena

Obwohl Xena das nicht so sieht, hat sie die Gabe der Weissagung. Sie kann mit den Karten in die Zukunft sehen und weiß immer was mit den Menschen um sie herum los ist. Auch wenn sie selbst das niemals zugegeben würde. Die Karten sprechen zu ihr oder mit ihr. Jedes Mal, wenn sie versucht mir das Kartenlegen beizubringen, versage ich dabei jämmerlich, egal wie oft sie es versucht. Sie wollen einfach nicht mit mir Kooperieren und ja ich weiß, dass das nur Karten sind, die eigentlich keine Seele und Gefühle haben können und trotzdem empfinde ich es so. Ich kann das eben nicht so gut wie sie, dafür aber habe ich die Gabe der Wahrheit und kann jederzeit erkennen, ob die Personen gegenüber mir die Wahrheit sagen oder nicht. Eine richtig schöne Gabe, die ich gut in der Justiz hätte nutzen können. Nicht ganz so praktisch ist sie im medizinischen Bereich, wo ich gelandet bin. Da ich mit meinem Studium der Medizin fertig bin und nur noch meinen Doktor mache, helfe ich also den angehenden Medizinstudenten durch Arbeitsgemeinschaften. Also heißt es jetzt zusammenpacken und zu Xena fahren, damit ich endlich weiß, was wirklich los ist.

Ich bin glücklich als ich endlich vor Xenas Elternhaus stehe, da sie wie ich im Rosenweg wohnt, sind wir quasi Nachbarinnen und haben auch noch das Glück im Elternhaus einen eigenen Bereich für uns zu haben. Ein dreistöckiges Einfamilienhaus, an dem Rosen hochklettern. Der Vorgarten ist auch voller Rosen und duftet herrlich. Ich überlege, ob ich herumgehe und direkt die Treppe zur ersten Etage nehme, wo Xena ihren eigenen Bereich hat.

Xena hatte vor kurzem Geburtstag und ist bereits Anfang zwanzig, aber erwachsen ist sie schon viel länger, was natürlich die Lebensumstände bei ihr ausmachten. Sie hat schon viel zu früh die Verantwortung für ihre kleine Schwester Sophie übernehmen müssen, dass sie dadurch nicht nur Schwester, sondern auch Mutter in einem ist. Sie hätte auch wie ich schon mit vierzehn ihr Abitur machen können, aber sie wollte noch ein wenig auf ihre Schwester aufpassen und hat damit ihr Leben auf die Warteschleife gelegt.

Ich schaue nach links, wo sich unser Haus befindet. Die beiden Häuser sehen sich ähnlich, nur das Mutter nicht so viele Rosen hat, sondern sich eher für Heilkräuter entschieden hat und ich liebe es. Ich habe schon immer ein sehr idyllisches Familienleben gehabt, hätte ich nur das Familienimperium meiner Mutter übernommen, allerdings wollte ich mehr aus mir machen und entschied mich für das Medizinstudium. Etwas was mein Vater überhaupt nicht akzeptieren kann und auch noch für Zeitverschwendung hält, da ich am Ende doch nur im Familienimperium arbeiten werde. Meine Mutter war da anders, sie will, dass ich meinen Traum lebe und wenn das nichts mit dem Familienimperium zu tun hat, umso besser. Seitdem mussten wir eben Patrick, meinen Vater, hören wie er an allem etwas auszusetzen hat. Ich kann einfach nicht verstehen, warum er sich so sehr daran festklammert. Gerade jetzt ist er im Garten angekommen und beschwert sich über die Bienen. Ich muss unwillkürlich lächeln. Wie kommt Patrick nur mit der Natur klar? Und schüttle meinen Kopf, während ich auf die Haustür von Xenas Elternhaus zugehe, um zu klingeln.

Kaum klingle ich, da steht auch schon Xena vor der Tür. Ein wenig atemlos und mit geröteten Wangen. Ihre langen braunen Haare in einem Pferdeschwanz, der leicht hinter ihr hin und her wippt und von dem einige ihrer dicken Strähnen sich bereits gelöst hatten und nun ihr Gesicht umrahmen.

Sie trägt schwarze hüfthohe Röhrenjeans und ein schwarz-rotkariertes Hemd, welches um die Taille zu einem Knoten gebunden ist und dadurch ihre schmale Taille noch betont. Ich konnte so etwas nicht ohne weiteres tragen und beneide sie ein wenig.

>> Du siehst wieder hinreißend aus und etwas aus der Puste. <<, erkläre ich mit einem Lächeln, als sie vor der Tür steht.

Sie schaut an sich herunter und zuckt mit den Schultern. >>Danke, aber ich sehe wirklich nicht besonders aus. << Und deutet mir vorauszugehen, während sie die Tür schließt und sich mir anschließt. >>Ich bin gerade die Treppe runter gerannt. Ich will nicht, dass Sophie merkt, dass du zu Besuch da bist. Sie plant für mich eine Geburtstagsfeier mit so viel Drum und Dran, dass es eher einer dieser V-Partys ähnelt. <<, gibt sie widerwillig zu. Wir gehen bereits die Treppe hoch, wo Xena im ersten Stock wohnt.

>> Wie bitte? Schon wieder V-Partys? Macht sie das immer noch? <<, frage ich etwas erstaunt, weil ich geglaubt hatte, dass Sophie endlich damit aufgehört hätte. Doch Xena schüttelt nur den Kopf.

>> In letzter Zeit sind nur noch diese Vampirpartys in. Ich weiß wirklich nicht, was vor sich geht, aber da ich für sie verantwortlich bin, werde ich wahrscheinlich mitmachen müssen. Sonst findet sie noch irgendeine andere Möglichkeit mich so abzulenken, dass ich nicht einmal mitkriege, dass sie weg ist. Ich hasse diesen Vampirhype! Als ob es so etwas gäbe! Übrigens wie läuft es mit Jay? << Xena wechselt abrupt das Thema wie andere ihre Unterwäsche.

>>Jay?!? << Das hat sie gerade nicht gefragt?!

>>Ja, Jay, den einen Kerl, in den du verknallt zu sein scheinst. Den einen, den du letzten Sommer noch beim gemeinsamen Campingausflug geküsst hast… Weißt noch wen ich meine? <<, neckt sie mich. Sie weiß einfach zu viel und dabei hat sie uns nicht einmal dabei erwischt.

>>Ja, ich denke schon. <<, gebe ich geknirscht zu.

>>Du denkst? In seiner Nähe tust du das eigentlich nicht, aber egal. Da du rot wirst, kann ich mir meine eigenen Gedanken dazu machen. << Xena zwinkert mir zu und ändert abrupt wieder das Thema und zeigt auf die noch fehlenden Stufen. >> Komm mit hoch! Du hast nämlich keine Ahnung was ich aufgedeckt habe. << Und dreht sich auch schon zu ihrem Wohnzimmer und schließt anschließend die Tür hinter uns zu.

>> Ich freue mich schon darauf. Yeah! << Mein fehlender Enthusiasmus hört man mir wohl an.

>>Es hört sich nicht danach an als würdest du dich freuen. <<, gibt Xena trocken vom sich und deutet auf den freien Sessel, während sie sich auf die Couch setzt.

>>Wenn du mich herbestellst, dann ist es immer etwas, was ich nicht hören will, aber noch abwenden kann. Also kann ich mich nicht beschweren. Ich habe jetzt endgültig beschlossen meine Doktorarbeit darin zu schreiben, ob es tatsächlich übernatürliche Wesen gibt. <<, gebe ich zu, denn das ist eine Sache, die ich mit Xena bereits lang und breit diskutiert habe.

>>Lässt du dir dabei von Jay helfen? << Xena ist ziemlich neugierig, wenn es um Jay und mir geht. Ich hebe eine Braue hoch. >> Er ist ja im Universitätslabor tätig, also ja. Ich brauche schließlich genetische Ergebnisse. <<

>>Du triffst dich noch immer täglich mit ihm. << Es ist keine Frage, weil Xena die Antwort bereits gut genug kennt, und sie bedenkt mich dabei mit einem wissenden Lächeln.

>>Sollte das eine Frage oder eine Aussage sein? <<, frage ich trotzdem, weil es mir doch ein wenig peinlich ist von ihr darüber befragt zu werden, obwohl sie bereits so viel weiß und ich ihr auch vollkommen vertraue.

>>Nimm es so wie es ist, aber ich habe heute nicht mehr so viel Zeit, darum sollten wir uns um das Kartenbild kümmern, aber das Thema deiner Promotion finde ich sehr interessant. Möchtest du deine eigene Gabe miteinfließen lassen? Es könnte natürlich von Vorteil sein herauszufinden, ob dies genetisch bedingt ist. Ich hätte ja auch nichts gegen einen menschlichen Lügendetektor. << Sie mag meine Gabe der Wahrheit und wäre auch würde sie auch sehr gerne haben.

>> Ich denke nur, dass ich nicht damit herumstolzieren sollte, schließlich ist es nicht etwas was jeder gerne hört. Es ist anders und die Menschheit war schon immer sehr skurril, wenn es sich um etwas möglicherweise Übernatürliches handelt. Heute wird ja auch nur gesagt, dass die Hexen, die als solche im Feuer hatten brennen müssen eigentlich nur Frauen mit erweiterter Auffassungsgabe waren. Wenn du den heutigen Menschen erklären würdest, dass diese Frauen möglicherweise doch mehr konnten als medizinische Erkenntnisse zu nutzen, bin ich mir nicht ganz sicher, wie diese darauf reagieren würden. <<, gebe ich zu bedenken, woraufhin Xena mit den Schultern zuckt.

>>Es gibt mehr auf dieser Welt, als wir jemals verstehen werden. Alles hat seine Zeit und alles hat auch sein Mysterium. Darum wird sich alles zeigen, wenn die Zeit reif dafür ist. Ich würde mir deswegen keine weiteren Gedanken machen. Wir sollten jetzt aber hier deine Karten anschauen. << Sie deutet auf den Tisch, wo mehrere Karten liegen. >> Es sind die Runenkarten, die ich gelegt habe. Diese zeigen immer etwas mehr als die Tarotkarten. <<

Xena war schon immer offen mit ihren Karten, trotzdem ist sie sehr vorsichtig. Nicht jeder wusste darüber oder würde jemals darüber Bescheid wissen. Und schon legt sie mir erneut die Karten.

Mein Kartenbild sollte mich vor einer Tiefgreifenden Veränderung warnen. Xena hat nämlich die Karte des Todes gezogen. Es muss nicht wirklich mit dem echten Tod zusammenstehen, aber manchmal soll es so sein. Xena will, dass ich mehr auf mich achtgebe und bittet mich auch etwas mehr Zeit mit Jay zu verbringen, nachdem sie auch die Karten zu meinem Liebesleben gelegt hat. Darüber dachte ich tatsächlich nach. Xena zieht noch ein paar mehr Karten und summte dabei. Ich glaube, dass sie das gar nicht bemerkt.

Es sollte sich herausstellen, dass ich mal endlich zu meinen Gefühlen Jay gegenüber ehrlich sein sollte und ebenso erkennen müsste, dass auch er eine Entscheidung getroffen hatte. Was für eine Entscheidung hat er getroffen? Ich bin ein wenig erschüttert. Sollen wir nur Freunde sein oder doch mehr?! Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als mir Xena mir das offenbart.

Die Entscheidung ist gefallen! Mehr konnte man nicht tun. Mehr konnte ich jetzt nicht mehr tun.

Aber auch die Gefahr zeigte sich wieder!

Warum schlägt mein Herz nur so schnell?

Wie sollte ich es ihm sagen?

Und was kam auf mich zu?

Was würde er dazu sagen?

Liebte er mich auch?

War es vielleicht doch keine so gute Idee?

Ich hyperventiliere. Warum habe ich jetzt mehr Fragen als vorher? Xena legt mir die Hand auf die Schulter und versucht beruhigend auf mir einzureden. >>Ruhig, die Zeit wird alles offenlegen, aber bis dahin musst du ruhig bleiben. <<

Leichter gesagt als getan.

Mein Herz pocht nur noch schneller.

Wenn die Nacht wach ist

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