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Vom christlichen Unternehmer zur Corporate Social Responsibility and Sustainability

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Die Industrialisierung in Europa sowie die Expansion nach Asien, Afrika und Lateinamerika zogen auch die Frage nach dem ethischen Verhalten der modernen Unternehmen nach sich. Inwieweit waren Fabrikbesitzer verantwortlich für das Wohlergehen ihrer Arbeiter? Welche moralischen Verpflichtungen erforderte der Handel mit Nichtchristen? Während fast zwei Jahrhunderten war die Frage nach der Unternehmerverantwortung eine religiöse Frage. Die ersten, wohl bedeutendsten Schritte waren die sogenannte Abolition, das Verbot des transatlantischen Handels mit Sklaven durch das britische Parlament 1807, und das Verbot der Sklaverei durch den Wiener Kongress 1815. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in der Schweiz zahlreiche Publikationen, Gesellschaften oder Aktionen zur Befreiung von Sklaven in den USA oder in Afrika. Die «äussere» Mission, das heisst die christliche Mission in den nicht christlichen Gebieten der Welt, fokussierte insbesondere darauf, Landwirtschaft und Handwerk zu fördern. Ziel war, den Handel mit Sklaven durch den Handel mit Baumwolle, Palmöl oder anderen Gütern zu ersetzen. Die Basler Mission, eine der weltweit bedeutendsten protestantischen Missionen im 19. Jahrhundert, gründete dafür 1859 die Basler Missionshandelsgesellschaft AG, die im heutigen Ghana mit Kakaopflanzen experimentierte und 1892 den ersten Sack afrikanischen Kakao nach Hamburg exportierte. Die Tatsache, dass Basler Unternehmer zu dieser Zeit ausgerechnet eine Aktiengesellschaft gründeten, weist auf die karitative Absicht hin. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Aktiengesellschaften in der Schweiz für kulturelle und karitative Zwecke benutzt. Protestantische Unternehmer leiteten und finanzierten die Basler, Lausanner und Neuenburger Missionen. Die gleichen Unternehmer engagierten sich auch in der «inneren» Mission, also in der Besserstellung der Arbeiterschaft in den Industriebetrieben. Sehr typisch für das christliche Unternehmertum war etwa der Bau von Arbeitersiedlungen, wie sie ab den 1850er-Jahren um Industriebetriebe in der Schweiz entstanden. Ab 1860 wurden die ersten kantonalen und dann nationalen Gesetze zum Arbeitsrecht erlassen, die freiwillige Standards ersetzten.

Christliche Unternehmer des 19.Jahrhunderts vernetzten sich auch international. So trafen sich etwa 1871 an einer Konferenz in Bonn protestantische Unternehmer aus dem deutschen Sprachraum, um christliche Unternehmensverantwortung zu diskutieren. Unternehmer wie der Neuenburger Uhrenfabrikant und Grossrat Henri DuPasquier oder der Basler Seidenbandfabrikant und Ratsherr Karl Sarasin schlossen sich daraufhin im Schweizerischen Ausschuss zur Förderung der Bestrebungen der Bonner Konferenz zusammen, um gemeinsam christliches Unternehmertum zu gestalten. Mitglied des Ausschusses war auch der deutsche Professor und Experte für Arbeiterfragen Victor Böhmert, der 1872 auch in den Vorortsausschuss gewählt wurde.

Eine neue Herausforderung kam auf die Schweizer Unternehmer im Zweiten Weltkrieg zu, als sie sich entscheiden mussten zwischen der Aufrechterhaltung des «Courant normal», das heisst einer Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Beziehungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland, oder einem Abbruch derselben aus ethischen Gründen und dem sicheren Zusammenbruch der Versorgung der Schweiz. Die politische Neutralität gestaltete sich faktisch einfacher als die wirtschaftliche Neutralität. Die Aufrechterhaltung des «Courant normal» wurde von den Alliierten später auch abgestraft, indem sie Schweizer Unternehmen aufgrund ihres Handels mit Deutschland ab Oktober 1943 auf eine schwarze Liste setzten.


Die erste Arbeitersiedlung der Schweiz, erbaut durch die Spinnerei Rieter in Winterthur, 1852.

In der Nachkriegszeit und nach dem globalen Umbruchjahr 1968 erfolgte eine rasante und einschneidende Änderung der Wahrnehmung von Grosskonzernen, deren Auslandsinvestitionen und von Grossbanken. Praktisch über Nacht bot die Privatwirtschaft nicht nur in der Schweiz, sondern in der gesamten westlichen Welt plötzlich viel Angriffsfläche. Aktivisten setzten sich gegen industrielle Grossprojekte in der Dritten Welt ein, und die Gewerkschaften waren auf der Höhe ihres Einflusses, während Industriebetriebe in der Schweiz unter dem gleichzeitigen Druck der internationalen Konkurrenz einen tiefgreifenden Strukturwandel durchliefen. Mit der sogenannten Bankeninitiative der Sozialdemokratischen Partei, die sich gegen die Aufnahme von Diktatorenfluchtgeldern in der Schweiz wandte, geriet die Schweizer Wirtschaft innenpolitisch unter Druck und wurde gezwungen, Korrekturen vorzunehmen, auch wenn die Initiative 1984 abgelehnt wurde. Der Druck hielt weiter an, als einige Schweizer Unternehmer die Neutralität der Schweiz anführten, um trotz internationaler Sanktionen gegenüber dem Apartheid-Regime weiterhin in Südafrika tätig zu bleiben. Diesmal konnten die in Südafrika tätigen Unternehmer jedoch nicht wie früher im Zweiten Weltkrieg das Überleben der Schweizer Bevölkerung als Argument vorbringen. Im Gegenteil, der Wohlstand in der Nachkriegszeit und der Frieden in Westeuropa brachten es mit sich, dass die Bevölkerung von der international tätigen Unternehmerschaft ein verantwortungsvolles Verhalten in der Dritten Welt und gegenüber der Umwelt einforderte. Doch was verstanden die Kritiker genau unter «Konzernverantwortung»? Die Forderungen der NGOs und Hilfswerke an die Schweizer Unternehmen hatten sich seit 1968 geändert und waren nicht immer klar und kohärent gewesen. Zunächst forderten die Initianten der «Erklärung von Bern» von den Schweizer Unternehmen Investitionen in die Industrie von Entwicklungsländern, um Arbeitsplätze zu schaffen, Wirtschaftswachstum zu generieren und eine Modernisierung herbeizuführen. Ab den 1970er-Jahren sahen sich Unternehmer jedoch zunehmend damit konfrontiert, dass sie die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum wiederum gegenüber dem Vorwurf der Umweltverschmutzung und der Menschenrechtsverletzung verteidigen mussten.

Im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zum Bundesgesetz über die internationale Entwicklungszusammenarbeit und die humanitäre Hilfe im Jahr 1975 stellte sich heraus, dass eine Arbeitsgruppe der Hilfswerke private Direktinvestitionen von Schweizer Konzernen in der Dritten Welt grundsätzlich ablehnte. Im Vorort diskutierten interne Arbeitsgruppen ab 1974 verschiedene UNO-Vorschläge zu einem freiwilligen Verhaltenskodex für Unternehmer. Diese Arbeiten wurden von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) übernommen und 1976 als «OECD Guidelines for Multinational Enterprises» als Teil der «International Declaration on Investment» erlassen. Auch wenn die Schweiz erst 2002 der UNO beitrat, so war es doch im Interesse der in der Schweiz ansässigen, multinationalen Unternehmen, die kohärenten und international anerkannten UNO-Standards als Grundlage für ihre öffentliche Berichterstattung zu berücksichtigen. Zunehmend mussten Unternehmen aktiv aufzeigen, dass sie einen gewissen Verhaltenskodex einhielten. So begannen grössere Unternehmen CSR-Abteilungen (Corporate Social Responsibility) zu schaffen.

Durch die globale und sehr heterogene Antiglobalisierungsbewegung hat sich der Rechtfertigungsdruck für Unternehmen seit den 1990er-Jahren verstärkt. Seit dem Jahr 2000 haben zahlreiche Schweizer Unternehmen die «UN Global Compact»-Initiative unterschrieben. Für den Vorort und später für Economiesuisse stellte sich ab der Uruguay-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) Ende der 1980er-Jahre insbesondere die Herausforderung, dass in der Öffentlichkeit die schweizerische Aussenwirtschaftspolitik und die schweizerische Landwirtschaftspolitik als Einheit wahrgenommen wurden. Bei bilateralen Freihandelsverträgen wie auch in der Welthandelsorganisation (WTO) werden somit die Möglichkeiten der Schweizer Unternehmen im Ausland durch den Schutz der Schweizer Bauern im Inland begrenzt.


Lehrlinge der Firma Landis & Gyr nach ihrem erfolgreichen Lehrabschluss, 1933.

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