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Losgehen in Münchens guter Stube

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Am frühen Morgen eines Frühsommertages stehen wir unter den golden glänzenden Augen Marias am Münchner Marienplatz, die Rucksäcke sind an die Balustrade der Mariensäule gelehnt, wir sehen den Geschäftsleuten zu, wie sie aus den U-Bahn-Schächten strömen und im Straßengewirr verschwinden, und warten auf Herbert und Susi, die nach Venedig mitwandern möchten. Da stehen wir mit diesem angenehmen Kribbeln im Bauch, das alle Sinne schärft. Blauer Himmel, aber kühle Temperaturen, optimales Wanderwetter eben. Dann sind sie da, ein freudig-gespannter Blick in die Runde, die Rucksäcke geschultert – und schließlich der erste Schritt!


Los geht’s in Münchens »guter Stube«, am Marienplatz.

Der erste Schritt fühlt sich physisch nicht anders an als andere Wanderschritte, emotional aber fällt eine riesige Last zu Boden. Was war nicht alles zu erledigen in den letzten Wochen! Denn eine Alpenüberquerung will geplant sein. Geht man allein, zu zweit, in der Gruppe? Mit der Familie, mit guten Freunden oder mit einem mehr oder weniger bunt zusammengewürfelten Grüppchen? Organisiert man die Reise selbst oder soll es eine geführte Tour sein? Möchte man die Strecke in einem Rutsch bewältigen oder entscheidet man sich für mehrere, voneinander getrennte Etappen? Übernachtet man auf Hütten und in Gasthöfen oder wählt man gar die Hardcore-Linie und trägt sein Schneckenhaus selbst mit? Was haben wir nicht über Vorteile und Nachteile von vorreservierten Hüttenübernachtungen debattiert! Und wie oft darüber sinniert, ob das dritte Paar Socken Luxus ist oder vielmehr eine Notwendigkeit.


Bad Tölz ist das Ziel der 2. Etappe.

Während der ersten beherzten Meter zum Turm des Alten Rathauses sind diese Fragen Vergangenheit. Ein buntes Grüppchen wandert in munterer Unterhaltung Richtung Süden. Dort liegt nämlich das Ziel, auch wenn es noch über 500 Kilometer entfernt ist und etwa 20 000 Höhenmeter zurückgelegt werden müssen. Das ist sechsmal der Aufstieg vom Basislager des Everest zum Gipfel. Zugegeben: Wir erreichen nur eine absolute Höhe von 2904 Metern an der Friesenbergscharte und haben daher die bessere Sauerstoffversorgung als Everestaspiranten – sieht man einmal von den Stunden ab, in denen wir in einem voll besetzten Hüttenlager nach Bohneneintopf als Abendmenü liegen –, wir gehen auf markierten Wegen und nur einmal im Zillertal über Firn oder Eis. Und wir können jeden Tag unsere Spaghetti essen und uns nach vollbrachter Tagesleistung mit einem Gläschen Bier oder Wein auf die Hüttenterrasse setzen.

Um das Kulinarische nicht am Anfang schon zu kurz kommen zu lassen, weichen wir nach nicht einmal fünf Minuten vom rechten Weg ab und versorgen uns am Viktualienmarkt mit frischen Köstlichkeiten für die Tagesverpflegung. Nur ein paar ausgewählte Schmankerln kommen in den Rucksack. Unser erster Wandertag führt uns nach Wolfratshausen, dabei laufen wir an einer Reihe von Traditionsgaststätten vorbei, und außerdem will man ja nicht mehr tragen als unbedingt nötig.


Ahornriesen unter den Karwendelwänden – am Kleinen Ahornboden

Selbst wer München gut kennt, wird die Stadt jetzt mit anderen Augen sehen. Durch die »Wanderbrille« sozusagen, die manche Entfernungen dehnt, manchen Hügel zum Berg macht und überhaupt alles in ein anderes Licht taucht. Die Cafés und Boutiquen, das Deutsche Museum, vor dem sich die Reisebusse aus der ganzen Republik aufreihen, und die Isar mit ihrem ewigen Wellenspiel. An der Isar geht es nun für mehrere Tage entlang, stromaufwärts den Bayerischen Alpen zu, bis wir ihre Ufer am dritten Tag verlassen und sie am sechsten Tag an ihrem Ursprung wieder treffen. Dann werden wir schon mitten im Karwendel sein, um viele Erlebnisse reicher und auch mit ein paar kleinen Wehwehchen, wie sie im Laufe der ersten Woche gewöhnlich auftreten.

Vier Stunden später ist der erste Berg erreicht. Zum Auftakt ist es gleich ein besonders heiliger Berg. Am Isarhochufer wartet das Kloster Schäftlarn auf einen Besuch. Dass nach der zünftigen Brotzeit und der Halben Bier jedem München-Venedig-Wanderer die Füße schwer sind, ist übrigens ganz normal. Obwohl man natürlich vor dem Start ein wenig Zeit investieren sollte, um sich für Tagesetappen von bis zu acht Stunden fit zu machen.

Eine dieser langen Strecken erleben wir gleich am Starttag. Bis nach Wolfratshausen legt man zwar so gut wie keine Höhenmeter zurück, jedoch respektable 32 Kilometer am Isarufer; das ist die längste Kilometerleistung der kompletten Reise. Nach dem Kloster Schäftlarn spulen wir die restlichen Stunden aber unbeschwert ab. Vor allem wer früh im Jahr losgeht, erlebt in der Pupplinger Au einen grandiosen Vorgeschmack auf die Schönheiten am Wegesrand. Was hier alles blüht! Kenner werden auf diesem Abschnitt ins Jubeln kommen, wenn sie seltene Orchideen entdecken. Wir »Normalsterbliche« können uns nur wundern, wie viele Möglichkeiten die Natur gefunden hat, um uns zu zeigen: Das Leben ist schön!

Alpentreks

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