Читать книгу Alpentreks - Andrea Strauß - Страница 15

Vom Ahornboden ins Inntal

Оглавление

Ob man als Purist auf dem München-Venedig-Weg unterwegs ist und wirklich nur auf die Kraft des eigenen Körpers baut und jegliche Hilfe verschmäht oder ob man nicht doch ab und an »schummelt« und einen Lift, die öffentlichen Verkehrsmittel oder gar ein Begleitfahrzeug nutzt, diese Gretchenfrage muss jeder für sich selbst entscheiden. Hauptsache, man hat Spaß auf diesem großartigen Weg. Kurz nach Hinterriß, wo die Mautstraße beginnt, zweigt der Weg ins Johannestal ab. Ein langes, wildes Karwendeltal, wie geschaffen für die Mountainbiker. Doch trösten wir uns, dass auch sie beim Fahren hinaufschwitzen müssen.

Die letzte halbe Stunde sind die Gespräche beim Aufstieg auf der breiten Forststraße im Johannestal immer mehr verstummt. Jetzt steht unsere Gruppe an der Wegverzweigung Falkenhütte–Karwendelhaus im Kleinen Ahornboden. Unsere Stille hat eine andere Qualität bekommen. Staunend stehen wir hier und versuchen, die Eindrücke einzusaugen. Der Kleine Ahornboden, hinter dem die Felswände des Karwendels emporragen, taucht uns in eine Atmosphäre, die sich schwer beschreiben lässt. Gewaltig und lieblich zugleich. Eine zeitlose Schönheit liegt über dem Talboden. Mit dem Rücken an einen der knorrigen Ahornriesen gelehnt, im Ohr das Plätschern des Wassers aus dem nahen Brunnen und den Blick aufs Blätterdach gerichtet, so verbringen wir einen Teil des Nachmittags. Ob es noch Kriege gäbe, wenn alle »Großen« dieser Welt pro Woche eine Stunde hier sitzen und schweigen würden?

Hinauf zum Karwendelhaus verändert sich das Landschaftsbild rasch. Von der Waldregion gelangt man ins Almgelände. Der Blick auf die Östliche Karwendelspitze rechts und auf Kaltwasserkarspitze und Birkkarspitze links gibt einen Vorgeschmack auf die morgige Etappe: Die Überschreitung des Karwendelhauptkamms spielt sich in der Felszone ab. Eine karge, unwirtliche Mondlandschaft erwartet uns.

Ein Fuß überm Abgrund, einer auf der Hüttenterrasse, die Sonnenstrahlen wärmen den Rücken, die Apfelschorle löscht den Durst. Zufrieden genießen wir den Luxus des Karwendelhauses. Was braucht man schon zum Leben? Ein einfaches Essen, klares Wasser, eine Decke für die Nacht. Die Zeit, sich mit Freunden unterhalten zu können, der Blick auf die wilde Landschaft, ein paar Spritzer kaltes Wasser zum Waschen – ist das nicht schon Luxus? Wir empfinden es jedenfalls so und freuen uns darüber, als hätten wir den Hauptgewinn gezogen.


Sanfte Almen kennzeichnen die 3. und 4. Etappe.

»Nein, der Abstieg vom Schlauchkarsattel war uns zu schwierig, wir steigen nach Scharnitz ab und gehen übers Hinterautal zum Hallerangerhaus«, berichtet eine Seniorengruppe am Nachbartisch. Gut, dass es am Graßlerweg einige Varianten gibt. Vor allem der anspruchsvolle und lange Tag vom Karwendelhaus zum Hallerangerhaus lässt sich problemlos umgehen. Zum Beispiel über die Eng und die Lamsenjochhütte oder noch einfacher mit dem Abstieg durchs Karwendeltal nach Scharnitz. Am schönsten ist jedoch die Originalroute durchs Schlauchkar und hinab zur Kastenalm.


Ein Kleinod am Wegesrand: der Junssee

Es dämmert gerade, als wir über rutschig-erdiges Schrofengelände hinter der Hütte ins Schlauchkar hinaufsteigen. Ein älterer Herr überholt uns, mühsam schnaufend. Ob er das Tempo halten kann? Fast möchte man ihm nachrufen: In der Ruhe liegt die Kraft. Aber er wird schon wissen, was er tut. Alt genug ist er jedenfalls. Drei Stunden später bläst uns ein kühles Lüftchen ins Gesicht und trocknet den Schweiß. Das Schlauchkar hat seinem Namen Ehre gemacht. Eine Geröllwüste, in der es außer der Gemsenmama mit ihrem Kitz und ein paar Spinnen kein Leben zu geben scheint. Nur ganz unten im Kar sieht man zwei dunkle Punkte langsam sich herauf- und einen roten Punkt langsam sich hinabbewegen: Den älteren Herrn hatten wir mitten im Kar eingeholt. Zerknirscht saß er da mit zwei Schuhen, aber nur noch einer Sohle. Jetzt steigt er wieder ab. Auch wir machen dies, jedoch nach Süden, immer der Sonne entgegen, die den steilen Südhang schon kräftig aufgewärmt hat. Schritt für Schritt hinab zur Isar.

Natürlich ist es geschwindelt, wenn man behauptet, 500 Kilometer Wanderstrecke wären durchwegs herrlich und man würde kein Stück davon missen wollen. Der Spaziergang vom Hallerangerhaus zu den Isarquellen am Abend des sechsten Tages kostet wirklich Überwindung. Auch wenn Wegstrecke und Höhenmeter angesichts der heute zurückgelegten 1500 Höhenmeter Auf- und Abstieg gar nicht mehr ins Gewicht fallen. Bereut haben wir den zusätzlichen Weg nicht. Der Alpenpark Karwendel mit seinen 900 Quadratkilometern Fläche auf bayerischem und Tiroler Gebiet stellt ein riesiges Areal unter Schutz. Die Isarquellen unterm Überschalljoch aber sind eine der wunderbarsten Stellen in diesem Gebirge. Wir lassen den Tag ausklingen und freuen uns schon aufs Kontrastprogramm des kommenden Tages: die letzte Gebirgskette des Karwendelstocks überschreiten und dann ins Getümmel des Inntals eintauchen. Innsbruck, Hall oder Wattens heißen die nächsten Ziele, je nach geplanter Variante. Von dort nach Venedig ist’s nur noch ein Katzensprung!


Am Junssee überblickt man die nächsten eineinhalb Tagesetappen.

Alpentreks

Подняться наверх