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Drei Tage noch bis zu den Dolomiten!
ОглавлениеAuf die freuen wir uns alle mehr als auf jeden anderen Gebirgsstock. Dabei ist der kräftig türkisfarbene Schlegeisspeicher mit den Zillertaler Gletscherbergen als Kulisse ein wunderbarer Anblick. Ein purer Genuss, der uns am folgenden elften Tag dazu verleitet, zuerst zur Olpererhütte zu queren und dann erst abzusteigen. Am Stausee beginnt unter Tausenden von Ausflüglern eigentlich erst die heutige Tagesetappe. Dass man auf dem richtigen Weg ist, prangt bald auf einem großen Felsen. Sieben gelbe Buchstaben leuchten dem Wanderer entgegen: VENEDIG.
Während der beiden Stunden Abstieg vom Pfitscherjochhaus zum Weiler Stein auf der italienischen Seite treten die Knie in Streik und im Kopf kommt es zu Halluzinationen.
Da tauchen Bilder auf von Schlutzkrapfen und einem Glas Roten, von frischem Salat… Ein Teil der Gruppe sitzt schon auf der blumengeschmückten Terrasse in Stein und lässt ein Bier zischen. »Setz dich her und trink erst was, bevor wir weitergehen.« Ich sitze, trinke und versuche, den dritten Teil des Satzes zu verstehen. Wieso weitergehen? Unser Tag endet hier. Ich gehe nicht mehr weiter. Wohin denn auch? Die nächste Etappe ist fast acht Stunden lang, und jetzt ist’s Abend. Die Wahrheit sickert nur langsam in meinen müden Geist: Das Gasthaus Stein ist bis auf den letzten Platz ausgebucht.
Nach etlichen Telefonaten, die die Wirtin liebenswerterweise führt, um eine Lösung für unser Übernachtungsproblem aufzutun, ist eine Notunterkunft gefunden. Weiter unten im Tal gibt es einen alten Bauernhof aus der Zeit der Großfamilien, nur noch von einem alleinstehenden Nebenerwerbslandwirt bewohnt. Ansprüche dürften wir keine stellen, aber ein Dach überm Kopf wär’s eben. So beziehen wir dort Zimmer und machen uns auf in die uns bekannte Pizzeria. Nochmals ein Fußmarsch an diesem langen Tag. Hätten wir jetzt schon gewusst, dass wir das Abendessen erst zwei Stunden später am Tisch haben würden, weil der Pizzabäcker in ein anderes Seitental des Etschtals umgezogen ist und die nächste Wirtschaft nochmals eine halbe Stunde talab liegt …
Am nächsten Morgen sitzen wir in der Küche des Bauernhauses. Der Besitzer ist längst zur Arbeit gegangen. Am Küchenboden steht für uns ein fast meterhoher Papiersack mit frischen Semmeln. Wir sollen halt das Übernachtungsgeld in die Küchenschublade und den Haustürschlüssel unter die Treppe legen. Wo gibt es noch so viel blindes Vertrauen zu ein paar wildfremden Menschen? Gleich nach der Überquerung des Pfitscherbachs beginnt es zu regnen. Es soll den ganzen Vormittag nicht aufhören. Durch hohes Gras und verfallene Almsiedlungen führt der Pfad hinauf ins Gliderschartl. Kalter Wind pfeift durch die Scharte, die Felsen sind vom Regen schwarz. Alles ist nass, klamm, die Hände eisig kalt und schon ganz weiß angelaufen. Aus der gemütlichen Brotzeit am malerischen Grindler See unter der Scharte wird ein etwas missmutiger Stehimbiss. Jeder mümmelt an einem Riegel, ein schnelles Beweisbild, über das wir zu Hause herzhaft lachen werden, so schlimme Grimassen entstehen bei dem Versuch, nicht zu übellaunig in die Kamera zu blicken.
Dolomitisch – die Fünffingerspitze im Langkofelmassiv
Vom Gipfel des Piz Boé zeigt sich die Marmolada mit ihrer vergletscherten Nordflanke.
Aber heißt es nicht »sonniger Süden«? Mit jedem Höhenmeter Abstieg lässt der Regen nach, und bald ist es so warm, dass wir die nassen Anoraks zum Trocknen über die Rucksäcke hängen. Ab den Engbergalmen können wir wieder richtig lachen und erfreuen uns an dem wilden Tal und den Blumen am Wegesrand, an denen noch schwere Regentropfen hängen wie Perlen auf der Schnur. Immer wieder kommt das Gespräch auf das Vertrauen, das man braucht, um Fremden einfach sein Haus zu überlassen.
Kreuz am Crespernajoch im Puez-Geisler-Nationalpark