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Durch die Weinberge zur Lagune

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»Ich komme aus dem Paradies.« Er verzieht keine Miene, aber der Schalk lacht ihm aus den Augen. Als mir der Almbauer ein paar Minuten später das kleine Hüttchen auf der Südseite des Nevegal zeigt, ist leicht verständlich, wie er den Satz gemeint hat. Südlich von Belluno liegt nochmals ein letzter Höhenrücken, der Nevegal. Im Norden führt eine Fahrstraße bis zum Gipfel auf 1700 Metern, ein Lift ermöglicht Wintersport, ganz oben stehen zwei Hütten und ein Wald von Sendemasten. Nach Südwesten wird der Bergzug immer niedriger und einsamer. Hier befindet sich auch die Alm des Nevegal-Engels. So nenne ich ihn für mich. Schließlich hat er mich auf meinem Sonderabstecher, ohne dass ich darum gefragt hätte, gut 500 Höhenmeter Forststraße mit dem Auto mitgenommen und mir einen wirklich schönen und kurzen Abschneider gezeigt zum Hauptweg. Außerdem kommt er aus dem Paradies. Das »Paradies« ist ein kleiner Holzbau, zehn Quadratmeter groß, mit Wellblechdach. Wasser muss man vom Tal mitnehmen. Hier grasen die fünf Schafe des Almbauern im Dorngestrüpp. Aber von hier sieht man das Mittelmeer, an klaren Tagen zumindest. Und wenn man eine Viertelstunde zu der knorrigen Buche aufsteigt, dann hat man die Schiara vor sich. Auch wenn sein Fiat aus dem letzten Loch pfeift, wenn er leicht humpelt, das Gesicht von Jahrzehnten Sonne und Regen gezeichnet ist und seine Hände von einem arbeitsamen, harten Bauernleben in den Belluneser Bergen sprechen – der Mann hat recht! Für ihn ist dieses Stückchen Land wirklich das Paradies.

Zwei Tage dauert die Überschreitung des Nevegalrückens. Das Meer sehen wir nicht, aber letzte Krokusse, Knabenkräuter, wilde Hyazinthen, Narzissen, Rebhühner, ein paar Hasen. Was sich dann noch anschließt, sind fünf Tage zwischen 200 und drei Metern über dem Meeresspiegel. Kaum jemand der München-Venedig-Wanderer kennt diesen Streckenabschnitt, denn viele steigen jetzt auf die Bahn um und – husch, schon sind sie am Markusplatz. Ganz ehrlich: Hören Sie beim Roman auf der vorletzten Seite schon auf zu lesen? Schalten Sie beim Krimi fünf Minuten vor Schluss um? Verlassen Sie ein Konzert vor dem letzten Stück? Na also!

Fünf Tage wandert man durch herrlich grüne Weinberge, vorbei an roten Mohnfeldern, so weit das Auge reicht. Platanenalleen begrenzen alte Straßen, im Mittagsdunst taucht eine Kirche auf einem Hügel auf. Am Abend kehren wir in urigen Restaurants ein, wo die Speisekarte jeden Tag neu ausgedacht wird, je nachdem, was es am Markt frisch gibt; wo das Menü noch drei Stunden dauert und der Küchenchef persönlich an den Tisch kommt und verkündet, was er heute empfiehlt. Stundenlang geht man den Piavehochdamm entlang, an dem die Grillen zirpen und die Schlangen sich in der Sonne baden. Pontonbrücken führen über Flüsse, die nur noch träge dem Meer zuströmen. Dann kreischt die erste Möwe. Die Luft riecht schon ein bisschen nach Salz. Die Straßen werden immer geradliniger und dann … Nach 27 Tagen erhascht man zwischen hohem Gebüsch einen Blick auf eine große Wasserfläche. Das offene Meer ist es noch nicht, aber immerhin Salzwasser: die Lagune von Venedig.

Schnell ist Jesolo erreicht. Höhenmeter gibt es am letzten Tag keine mehr zu überwinden, dafür 24 Kilometer Strandwandern von Jesolo bis Punta Sabbioni. Kilometerlang im Sand laufen, Muscheln sammeln, Strandbars und Jesolourlauber, Sonnenschirmparaden und Sandburgen, schreiende Kinder und Eisverkäufer anschauen. Weit draußen im Meer bewegen sich die Silhouetten von riesigen Schiffen, und dann ist endlich Punta Sabbioni in Sicht.


Der Graßlerweg kommt von der schönsten Seite nach Venedig: übers Wasser.

Wie es sich gehört, nähern wir uns von der schönsten Seite, die Venedig anzubieten hat. Zwischen den Inseln Le Vignole und Lido hindurch steuert das Schiff direkt auf den Dogenpalast zu. Nach über 500 Kilometer Strecke stehen wir am Markusplatz. Stolz. Glücklich. Zum Heulen schön sind diese Momente. Ganz leise regt sich nach ein paar Stunden der Gedanke, wie es wohl wäre, jetzt mit etwas anderer Routenführung vom Markusplatz zum Marienplatz zurückzuwandern …


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