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Höhenluft in den Tuxer und Zillertaler Alpen
ОглавлениеNein, den Ruhe- und Besichtigungstag sparen wir uns auf. So interessant Innsbruck oder Hall gewesen wären, so groß war auch der »Kulturschock«. Die schwülheiße Luft, der Autoverkehr, überhaupt der Trubel und die Hektik. Lieber hängen wir einen Tag die Füße in den Friesenbergsee oder wir lassen uns in Stein mit Südtiroler Köstlichkeiten mästen. 800 Höhenmeter und scheinbar endlose Kilometer zieht sich die Straße ins Wattental hinein. Ab Lager Walchen endet zumindest der Autoverkehr. Jetzt ist es nur noch die Zufahrt zur Lizumer Hütte, die aufwärtsführt. Die Gruppe zieht sich auseinander, jeder hängt seinen Gedanken nach. Es ist ein wenig wie Zugfahren: Man muss nicht denken, die Füße gehen alleine, der Weg ist breit. Man darf die Gedanken schweifen lassen oder mit wachen Sinnen die Kleinigkeiten am Wegrand aufnehmen. Hier ein Zaunkönig, der im letzten Moment ins Gebüsch huscht. Da eine lilafarbene Glockenblume, die im Wind nickt. Die alte Bäuerin, wie sie die Blumen am Balkon auszupft. Bilder. Nicht spektakulär, schon gar nicht atemberaubend neu. Müssen sie aber auch nicht sein. Nach einer guten Woche Wandern hat man gelernt, sich wieder an Alltäglichem zu erfreuen.
Über das Junsjoch führt der Weg am nächsten Morgen ins Herz der Tuxer Alpen. Eine vergleichsweise liebliche Hochgebirgslandschaft mit blühenden Almmatten, Schafen und Kühen erwartet uns. Für das Erlebnis »Sonnenaufgang am Junsjoch« mit dem schönen Blick auf Gfrorne Wandspitzen und Olperer muss man die Etappe von der Lizumer Hütte im Dunkeln zurücklegen. In einer Mulde über dem dunklen Auge des Junssees warten wir anschließend auf den Rest der Gruppe, der sich das Frühstück nicht nehmen hat lassen. Ein Tag über Scharten und Wiesen steht bevor. Hundert Grüntöne erfreuen das Auge, nur ganz zum Schluss muss man sich an die grauen, ausgeaperten Gletscherreste gewöhnen, auf denen Lifttrassen und Pistenraupen an den Skibetrieb im Winter erinnern.
Im Anstieg zur Friesenbergscharte
Am Pisciadùsee ist die Hälfte des Wegs bereits zurückgelegt.
»Augen zu und durch«, heißt die Devise für den zehnten Tag! Denn zunächst quert der Weg das Skigebiet. Das Wetter meint es gut: Dichter Nebel verhüllt die Scheußlichkeit, und erst am Spannagelhaus, wo das Grauen ein Ende hat, blitzt blauer Himmel durchs Grau. In einer Stunde ist der höchste obligatorische Punkt erreicht: die Friesenbergscharte mit 2904 Metern. Ein Firnfeld zieht sich zum Schartenübergang. Früh im Jahr liegt hier die »Schlüsselstelle« der Alpenüberquerung. Vor allem der steile Abstieg nach Süden muss zwingend schneefrei sein.
Die meisten Wanderer greifen gern an die Stahlseile der Versicherungen und steigen Tritt für Tritt vorsichtig ab. Ja, die Friesenbergscharte will geschafft sein. Der Angstschweiß lässt sich im Friesenbergsee abwaschen. Ein kleiner Badesee mit traumhaftem Blick auf die Eiswände von Hochferner und Hochfeiler, den beiden Zillertaler Riesen. So würde das zumindest jener Norweger sehen, der mir vor Jahren erklärte, dass ein See zum Baden tauge, solange er eisfrei sei. Wie dem auch sei – Baden oder nicht – im nahen Friesenberghaus kann man sich wieder aufwärmen und außerdem verwöhnen lassen. Schnell steht fest: Die eine Hälfte des Ruhetags findet hier statt, den Abstieg zum Schlegeisspeicher und zur Dominikushütte hängen wir an die morgige Etappe an. Zwischen Marienplatz und Markusplatz ist das Hüttennetz teils eng genug, um Tagesetappen zu verkürzen oder ganze Tage herauszulaufen, wenn man auf höheres Tempo Lust hat.