Читать книгу Wie ich mein Bein verlor und so zu mir selbst fand - Andreas Erb - Страница 11

KAPITEL 2
Fast zu schön, um wahr zu sein Unaufhaltsam nach oben

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Ich hatte Erfolg im Fußball. Aber einen Plan für die Karriere gab es nicht. Sie entwickelte sich einfach. Man wurde auf mich aufmerksam. Bei der Eintracht Kaiserslautern durfte ich regelmäßig in der ersten Mannschaft auflaufen. Dort lernte ich Dieter Kitzmann kennen. Er war nicht immer dabei, verletzungsbedingt kickte er nur gelegentlich mit. Doch wenn er an Bord war, spielte er seine ganze Routine aus. Egal, ob volle Pulle oder nur mit halber Kraft: In jedem Fall war er ein Gewinn für das Team. Allein seine Präsenz auf dem Feld, seine Übersicht und seine Souveränität gaben der Truppe einen Schub. Schließlich hatte Dieter Kitzmann das Fußballspielen von der Pike auf gelernt. Als Profi absolvierte er über 100 Bundesligaspiele im Trikot des 1. FC Kaiserslautern und bei Eintracht Frankfurt. Von dieser Erfahrung profitierte die ganze Mannschaft. Dieter beobachtete mein Spiel, immer wieder gab er mir Tipps, was ich verbessern könnte.

Irgendwann erfuhr ich, dass Dieter Trainer beim VfL Neustadt werden sollte, dem Jugendverein von Mario Basler. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sprach ihn an. Ob er mich mit nach Neustadt nehmen könne, fragte ich. Schließlich spielten die Neustädter in der Verbandsliga und somit in einer höheren Klasse. Ob ich dem höheren Leistungsniveau gewachsen sein würde? Dieter glaubte an mich. Er betrieb einen Kiosk in der Kaiserslauterer Innenstadt. Dort trafen wir uns und verhandelten über meinen Einsatz. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass aus dem Bolzen etwas mehr werden könnte. So startete ich ins Abenteuer Neustadt. Mein neuer Coach und ich bildeten eine Fahrgemeinschaft. Die Rollenverteilung war klar. Ich war der Chauffeur … Mehrmals in der Woche von Kaiserslautern quer durch den Pfälzerwald in die Vorderpfalz nach Neustadt zum Training und zurück. Mit Erfolg: In der Vorbereitung konnte ich mich durchsetzen und stand zu Beginn der Runde im Kader.

Meine Premiere in der Verbandsliga war allerdings nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Tags zuvor musste ich eine Impfung über mich ergehen lassen. Das Resultat am Spieltag: Ich war so geschwächt, dass ich eigentlich überhaupt nicht hätte spielen dürfen. Doch den Saisonauftakt, ausgerechnet das Derby gegen Haßloch, durfte ich nicht verpassen. Dieter wollte mich zwar schonen, aber beim Stand von 0:0 schickte er mich nach der Halbzeit trotzdem in meine erste Verbandsliga-Saison. Der Einsatz dauerte jedoch nicht lange. Erster Ballkontakt, Zweikampf, Gerangel, Abpfiff, rote Karte. Ich musste das Feld wieder verlassen, und das Derby ging mit 3:0 verloren. »Kopf hoch, das wird schon«, sagte Dieter nach dem missglückten Saisonstart. Er sollte Recht behalten, zumindest was mich betrifft. Als jüngster Spieler in der Verbandsliga wurde ich in die Südwestauswahl berufen.

Dieter Kitzmann förderte mich weiter. Vom VfL Neustadt brachte er mich zum VfR Grünstadt. Der VfR galt als »Bayer Leverkusen der Verbandsliga«. Der ewige Zweite. Seit Jahren spielten die Grünstädter um den Aufstieg, verpassten die Tabellenspitze jedoch immer auf den letzten Metern. Mit Teammanager Dieter Germann verhandelte ich um einen Einsatz. Vom VfR, der stets um die Top-Plätze kämpfte und zu den Favoriten der Liga zählte, erhoffte ich mir, meine eigene sportliche Karriere einen Schritt weiterbringen zu können. Bereits in der Saisonvorbereitung zeigte ich auf dem Platz eine derart starke Präsenz, dass ich als Neuling den direkten Weg in die Startformation fand. Für den Verein war die Saison zwar alles andere als erfolgreich. Nur knapp konnte der Abstieg abgewendet werden. Doch mir gelang es, mich in Liga und Mannschaft zu etablieren. Drei Jahre spielte ich in Grünstadt und entwickelte meine fußballerischen Fähigkeiten weiter. In der Liga kannte man meinen Namen. Meine dritte Saison startete grandios mit drei Toren gegen den SV Weingarten.

Ich war 21 Jahre alt und suchte meine Chance. Klappt es mit dem Traum vom Profi-Fußballer? Jetzt oder nie. Wieder war es Dieter Kitzmann, der mir Wege ebnete. Die erste Anlaufstelle: der 1. FC Kaiserslautern. Vielleicht über die Amateure in den Profikader? Coach Idirz Hosic ludt mich zum Probetraining ein. Eine Woche lang beackerte ich mit den Profis den Rasen und hielt gut mit. Allerdings machte Hosic keinen Hehl daraus, dass er mir Silvio Adziz, den ich aus meiner Jugendzeit beim FCK noch kenne, vorzog. Ein guter Ergänzungsspieler könnte ich sein. Bei den Amateuren. Mehr sei aber nicht drin.

Oder doch? Dieter Kitzmann ließ den Telefonhörer glühen und kontaktierte Uwe Fuchs. Das FCK-Netzwerk funktionierte. Genau wie Dieter war Uwe Profi bei den Roten Teufeln auf dem Betzenberg gewesen. Nun war er Trainer bei Fortuna Köln. Eigentlich gab er nichts auf Tipps von Zaungästen. Doch dem Hinweis seines ehemaligen FCK-Profis schenkte er Vertrauen. »Der Wojtek ist ein Guter«, empfahl mich Dieter. Uwe glaubte ihm. Ich wusste nichts von dem Kontakt. Plötzlich bekam ich einen Anruf. Am anderen Ende Uwe Fuchs. »Wojtek, wir haben dich beobachten lassen und würden uns freuen, wenn du uns zu einem Probetraining besuchen würdest.« Bei Fortuna Köln? Einem Profi-Club? Wer legt mich da rein, wo ist die versteckte Kamera? Es dauerte eine Weile, bis Uwe Fuchs mich davon überzeugen konnte, dass er es wirklich ernst meinte. Da war sie also, meine Chance.

Mein Lebensmodell fügte sich zusammen. Dabei sollte der Fußball weiter im Zentrum stehen. Zwischenzeitlich hatte ich mein Abi gemacht. Nachdem es mit der Musterung und einer Pilotenlaufbahn bei der Bundeswehr nicht geklappt hatte – ich war drei Zentimeter zu klein und hatte außerdem Plomben –, suchte ich einen Zivi-Job. Zugleich konzentrierte ich mich weiter voll auf den Fußball. Wenn ich’s mit dem Sport nicht schaffte, dann wollte ich Medizin studieren. Der Zivildienst sollte den Grundstein legen. Ich arbeitete als Rettungssanitäter beim Deutschen Roten Kreuz. Mit dem Training in Grünstadt harmonierte das ganz gut. Denn mit dem DRK-Chef Behringer hatte ich Glück. Er war mindestens so fußballbegeistert wie ich und gab mir die Möglichkeit, die Planung meines Schichtdiensts mit dem Spiel- und Trainingskalender abzustimmen.

So konnte ich mir auch frei nehmen für meine Reise nach Köln. Ich glaubte an den Fußball. Das Probetraining beim Kölner Proficlub sollte für mich zum Sprungbrett werden. Es würde perfekt passen. Die Rettungssanitäterausbildung hätte ich nach dem Zivildienst-Job in der Tasche. Damit würde ich mich in Köln über Wasser halten können. Gleichzeitig könnte ich meine Fußballkarriere vorantreiben. Die Idee: zusätzlich an der Deutschen Sporthochschule in Köln eine akademische Ausbildung machen!

Noch vor meinem Probetraining bewarb ich mich an der Hochschule. Das wär’s doch. Auf dem Sportgymnasium hatte ich ja eine breite Ausbildung erfahren. Daran konnte ich anknüpfen. Nur beim Schwimmen haperte es. 200 Meter? Das hatte ich bislang immer vermieden. Der Aufnahmetest sah eine Zeit von 4 Minuten und 15 Sekunden vor, die ich um neun Zehntelsekunden verfehlte. Doch ich wollte unbedingt meinen Traum verwirklichen. Drei Wochen lang stand ich morgens um 6 Uhr auf, um in der Waschmühle, einem Kaiserslauterer Freibad, vor dem Zivildienst noch meine Trainingsbahnen drehen zu können. Wassertemperatur: 15 Grad. Das Resultat: Mit einer Zeit von 3 Minuten und 49 Sekunden auf 200 Meter erfüllte ich die Leistungsanforderung der deutschen Sporthochschule.

Es schien, als sei mein Weg geebnet. Ich wollte alles dafür tun, meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Und so fieberte ich dem 11. September 2001 entgegen. Der Tag, an dem ich zum Probetraining bei Fortuna Köln eingeladen war …

Wie ich mein Bein verlor und so zu mir selbst fand

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