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VORWORT Am Anfang ein Ende

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Sie legt ihre Hand auf meinen Arm. Ich kann durch die Haube den Duft ihres dunkelblonden, lockigen Haars riechen. Sie lächelt nicht oft. Aber jetzt tut sie es. Sie erfüllt den Raum mit Wärme und Güte. Sie trägt ein grünes Hemd. Das wirkt professionell und abweisend. Doch ihr süßes Lächeln überbrückt jede Distanz. Unter ihrem weiten Kittel zeichnet sich die Silhouette einer schlanken Figur ab. Wir hätten uns unter anderen Umständen kennenlernen sollen.

»Ich wünsche mir, dass du einen Fehler machst«, denke ich. Doch sie tut alles dafür, mir diesen Wunsch nicht zu erfüllen. Ich schließe meine Augen. Dass es geschehen muss, ist klar. Allzu plötzlich kommt es nicht, immer wieder haben wir darüber gesprochen, uns darauf eingestellt. So gut es eben geht. Doch die Endgültigkeit ist es, die mich erschüttert. Nun ist es unabdingbar. Definitiv. In diesem Moment zerplatzt mein Lebenstraum. Dieser Augenblick ist es, auf den man sich nicht vorzubereiten vermag. Wenn dir all deine Pläne, all deine Leidenschaft, deine Ziele, deine Wünsche und Hoffnungen aus den Händen gleiten. Wenn alles, wofür du gelebt hast, zerbricht.

Meine Gedanken kreisen um die Ereignisse der letzten Zeit. Das Probetraining bei Fortuna Köln, der Profivertrag, der unterschriftsreif auf meinem Schreibtisch liegt, mein Abschiedsspiel beim alten Verein, der lange Pass, der Sprint, die Ballannahme, der Torwart, das Foul, die Fehlerkette im Krankenwagen, die wochenlange Qual von Notaufnahme zu Notaufnahme, von Krankenhaus zu Krankenhaus, die ständigen Operationen, immer wieder neu, die offene Wunde und das klapprige Heizgerät, das mein Bein vor dem Absterben hatte retten sollen. Jetzt amputieren sie. Und mit meinem Bein nehmen sie mir auch meine Persönlichkeit. Sie nehmen mir den Fußball, meinen Sport, meinen Lebensinhalt, meine Karriere, meine Zukunft.

»Ich wünsche mir, dass du einen Fehler machst und ich nicht mehr aufwachen muss«, denke ich und rieche noch ein letztes Mal ihren Duft. Die junge Anästhesistin nimmt ihre Hand von meinem Arm. Die Narkose wirkt. Das Piepsen der Apparate verschmilzt mit dem gedämpften Tuscheln der Ärzte. Ich lasse los. Ende.

Wie ich mein Bein verlor und so zu mir selbst fand

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