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Endstation Homburg

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Zwei junge Rettungssanitäter, ganz so wie ich einer war, eilten herbei. Fußpuls fühlen! Das war das erste, was sie uns in der Sani-Ausbildung eingetrichtert haben. Fußpuls fühlen! In der Unterrichtsstunde müssen die beiden gefehlt haben. Hätten sie bloß meinen Fußpuls gefühlt, dann hätten sie keinen gefunden, sofort einen Notarzt alarmiert und mich auf dem schnellsten Weg ins nächste Krankenhaus nach Ludwigshafen transportiert. Schnellstens in den OP. Doch so lud mich die Sani-Truppe erst mal in den Rettungswagen. Ins Kreiskrankenhaus nach Grünstadt. Das erste Glied in einer langen Fehlerkette. Meine Odyssee begann. Auf dem Sportplatz lief das Spiel weiter.

»Was haben wir denn da?« Der Arzt im Krankenhaus schnitt meine Stutzen und Socken auf. Als er die Verletzung sah, wich ihm die Farbe aus dem Gesicht. Er wurde hektisch. »Es ist keine Zeit!« Die Blutung musste gestoppt werden. »Jetzt zählt jede Minute! Wir müssen sofort operieren!« Durch den Tritt des Torwarts waren Arterie und Vene in der Kniekehle durchtrennt. Die Blutversorgung des Unterschenkels war gekappt. Das Blut sammelte sich im Muskelgewebe der Wade. Daher die Schwellung. »Kompartmentsyndrom«, sagte der Arzt. »Es wird alles gut«, sagte Jenny. Ich weinte. Mein Vater traf im Krankenhaus ein, und ich versank in der Narkose.

Stunden später. In Grünstadt waren sie mit ihren Möglichkeiten am Ende. »Wir brauchen einen Gefäßchirurgen«, sagte der Arzt. Doch den gab es hier nicht. Schon gar nicht am Wochenende. Man sucht nach einer Alternative. Die fand man in Kaiserslautern. Also per Krankenwagen, intubiert beatmet und unter Narkose ins Westpfalzklinikum. Wieder verging kostbare Zeit. 20 Uhr. In einem Krankenbett wurde ich irgendwo auf dem Gang der Intensivstation abgestellt. »Es ist gerade viel zu tun, Sie verstehen schon, ein Notfall«, raunte die Krankenschwester, wie mir Jenny später berichtete. Die Schwester tastete meinen Fußpuls und schüttelte den Kopf. »Komisch, der ist ja gar nicht vorhanden.«

Zeit verrann. Jenny lief nervös den Gang auf und ab. Ärzte kamen, schauten, grübelten und verließen das Zimmer. Irgendwann schrie Jenny: »Jetzt machen Sie doch endlich mal was!« »Spielen Sie sich nicht so auf, junge Frau, sonst geschieht hier heute gar nichts mehr!«, keifte der Mann im weißen Kittel und wandte sich ab. Jenny brach zusammen. Später tauchte der Arzt wieder auf. »Wir haben leider einen Notfall. Kein OP frei.« Er zuckte die Schultern. »Das hier muss warten.« Wieder verrann Zeit. Die Spezialisten fehlten. Daher entschied man, mich wieder zu verlegen. Ins Saarland. Universitätsklinikum Homburg. Fahrtzeit: etwa 50 Minuten. 22 Uhr. Endstation.

Homburg. Der Arzt brachte eine treffende Diagnose zustande: »Das linke Knie ist total kaputt«, sagte er. »Wie haben Sie das gemacht? So eine Verletzung kann nicht vom Fußballspielen stammen.« Jenny musste erklären, dass so eine Verletzung sehr wohl vom Fußballspielen stammen kann. Zeit verstrich. 23 Uhr. Endlich. »Die Arterie in der linken Kniekehle ist durchtrennt«, sagte der Arzt. Eine mehrstündige Operation beginnt. Der Spezialist wurde angepiepst. Kam aber nicht. Wochenende eben. Wer mich operierte? Keine Ahnung. OP-Berichte? Verschwunden.

Im Bein unterhalb des Knies konnte noch immer keine Durchblutung festgestellt werden. Am Morgen wurde erneut operiert. So endete mein Abschiedsspiel.

Wie ich mein Bein verlor und so zu mir selbst fand

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