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Die Aufbereitung der Notizen nach der Reise

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Der Autor als doppeltes Subjekt

Beim Schreiben nach der Reise stellt sich nun ganz markant die Autorfrage, und zwar nicht nur im Falle der Nachbereitung durch andere, etwa einen begleitenden Hofmeister oder einen professionellen Redakteur, Lektor und Editor, sondern bereits beim „reisenden“ und „schreibenden“ Autor selbst. Demgemäß wäre nach den Divergenzen zwischen dem erfahrenden und dem nachbereitenden Subjekt zu fragen: Welche Formen von Ich-Identität sind angesichts der zeitlichen als einer psychologischen Differenz erkennbar? Inwieweit wird dies auch kommentiert bzw. reflektiert, wie sieht der Verfasser selbst das Verhältnis zwischen einem formulierten oder nur mnemotechnisch präsenten Prätext und seiner Ausarbeitung? Wie zeigt sich die ursprüngliche Intention im Vergleich mit dem „Erfolg“ der Reise, wird sie als religiöses (Erbauung), gelehrtes (Bildung) oder psychisches (Trauma und Therapie) Erlebnis verarbeitet, verklärt (Paradies, Utopie) oder gar verteufelt (Satire, Zerrbild, Reisekritik)? Die Rückkehrsituation liegt nun als faktisch erlebt vor der nun erfolgenden Formulierung und erscheint möglicherweise entsprechend problematisiert. Als Selbstkommentar könnten explizite Pläne zur Wiederholung der Reise erscheinen, aber auch eine kategorische Absage an das Reisen generell.

Materialverwendung

Aufschlussreich ist zudem der Darstellungsmodus: die genutzten Textsorten (episch breiter oder summarischer Bericht, Stichwortschilderung, Wegeprotokoll) gestatten die Wahl zwischen Zeitfolge und Raumfolge, die freie Verhältnisbildung zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit mit Unregelmäßigkeiten und Schwerpunktwechseln. Bleibt der Schreiber linear in seiner Zeit und Wahrnehmung oder flicht er Bezüge zu Vergangenheiten und entlegenen Zusammenhängen ein (Personen, Erlebnissen), die er deutet, wertet und klassifiziert (Verknüpfung mit religiösen Sinnsystemen, mit Symbolik, Zeichen und Magie)? Auch können Zitate aus Texten der Region, O-Töne oder Dokumente als Collage eingefügt sein, möglicherweise tragen Daheimgebliebene oder authentische Partner aus den bereisten Regionen (Gefährten, Bekanntschaften, Institutionen) selbst mit Dokumenten (eingefügten Briefen oder Fotografien) zum Text bei. Oftmals erfährt die faktische Reise auch nicht nur phantasievolle Anreicherungen, sondern erscheint komplett hinter einer Fiktion verborgen, wie bei Matthias Politycki, der von der Reederei eingeladen als „Schiffsschreiber“ auf der „MS Europa“ 2006/2007 um die Welt reisen, aber aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht wiedererkennbar darüber berichten durfte (Logbuch. In 180 Tagen um die Welt, 2008).

Auf einen Blick

Der Leitgedanke dieses Kapitels ist, dass Reiseliteratur sich auf verschiedene, historisch divergente Reisezwecke bezieht und jeweils abzugleichen ist mit realen Schreibsituationen: sie entsteht vor, während und nach der Reise, also in einem umfassenden, den eigentlichen Reiseverlauf deutlich ausdehnenden Zeitrahmen. Deshalb weist die Großgattung Reiseliteratur zahlreiche Darstellungsformen auf, die sich um diese zentralen Schreibgelegenheiten gruppieren (Anleitung, Gedicht, Chronik, Tagebuch, Brief, Bericht, Essay, Collage). Sie sind eingebettet in die sozialhistorischen und gruppenspezifischen Reiseformen von der antiken Badereise bis zum modernen Massentourismus, die wiederum langfristige historisch-gesellschaftliche Wandlungsprozesse widerspiegeln. Die hiermit kurz beschriebenen Schreibsituationen werden im weiteren Verlauf des vorliegenden Bandes in systematischer und historischer Dimension wieder aufgegriffen. Reiseliteratur besteht also nicht nur aus dem (gedruckten) Reisebericht, sie ist vielmehr das Ergebnis eines langphasigen Entstehungsprozesses, an dem oft viele Personen beteiligt sind.

Reiseliteratur

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