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Defizite und Aufgaben der Reiseliteraturforschung
ОглавлениеFehlende Synthesen
In der bisherigen Übersicht zur Forschungslage der deutschsprachigen Reiseliteratur konnte gezeigt werden, dass seit den 1980er Jahren zwar unzählige Spezialstudien und Detailuntersuchungen zu Einzelfragen des Themas zusammengekommen sind, insgesamt aber kein „kontinuierlicher Diskussionszusammenhang“ (Brenner 1990, 40) über den Stand, die Defizite und die Aufgaben der Forschung zu erkennen ist. Soweit abzusehen, sind Fragen der Gattungsabgrenzung und des Fiktionalitätscharakters faktographischer Texte in den Hintergrund getreten, Fortschritte wurden auch bei den erzähltheoretischen Analysekategorien und der Texttypologie (Siebers 2009; von Zimmermann 2002) sowie bei der Darstellung von Reiseliteratur über einzelne Zielländer gemacht. Zunehmend stellt sich jedoch die Frage nach Zusammenfassungen und Synthesen, nach Bündelung und Überschau des bisher Erreichten. So gibt es für keine der Teilepochen der Reiseliteraturgeschichte neuere Übersichtswerke (bis auf das 18. Jahrhundert mit der inzwischen überholten Studie von Wuthenow 1980), obwohl für fast alle Zeitabschnitte zahllose Einzelbeiträge vorliegen. Ein besonderes Problem stellt die Reiseliteratur des 17. Jahrhunderts dar, die man als die unbekannteste aller Reiseepochen bezeichnen kann. Zwar gibt es Untersuchungen zu den Hauptprotagonisten der Zeit wie Martin Zeiller (1589–1661), Adam Olearius (1599–1671) oder Engelbert Kaempfer (1651–1716), doch liegen nach wie vor die Autorinnen und Autoren aus der zweiten Reihe oder etwa die neulateinische Reisedichtung und Reiseprosa im Dunkeln.
Fehlende Hilfsmittel
Des Weiteren gibt es keine, wenn auch nur kurzgefasste, Gesamtdarstellung der Reiseliteratur vom Mittelalter bis zur Gegenwart auf der Basis der neueren Forschungsergebnisse. Der bisher einzige Versuch einer solchen Gesamtsicht ist der 1989 zusammengestellte Sammelband Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur (Brenner 1989). Auch der vorliegende Band kann nicht ersetzen, was bislang fehlt: der historische Überblick in Kapitel IV etwa darf aufgrund fehlender Forschung nur als Versuch gewertet werden, mit exemplarischen Charakterisierungen einen vorläufigen Eindruck des umfassenden Gebietes zu geben. Im Gegensatz zu anderen, ebenso ausdifferenzierten Arbeitsbereichen der Literaturwissenschaft verfügt die Reiseliteraturforschung auch über keine grundlegende oder fortlaufende Bibliografie der wissenschaftlichen Literatur, über keine Handbücher und nur über wenige Lexika, welche den gegenwärtigen Forschungsstand zu sichern vermöchten. Dies liegt vor allem daran, dass die Reiseforschung seit rund dreißig Jahren multidisziplinär verfährt und entsprechende Buchpublikationen unter der methodischen Richtschnur einer historischen Reisekulturforschung erarbeitet werden müssten. Erst in deren Aufschwungphase ist mit der Zeitschrift Voyage. Jahrbuch für Reise- und Tourismusforschung (1997ff.) der Versuch gestartet worden, ein interdisziplinäres Forum für alle Disziplinen zu schaffen, die sich mit dem Reisen befassen.