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Nach den Verhören in der Bank setzte Kramer Petra am Parkhaus Fürstenfelderstraße ab. Sie winkte kurz und verschwand um die Ecke ins Kaufhaus Galeria. Mit Schwung stürmte sie durch die Drehtür ins kollektive Weihnachtsgewühl und kam sich vor wie in einem Zirkuszelt. Hereinspaziert, hier gibt es was zu sehen, was Sie noch nie in Ihrem Leben gesehen haben. Kommen Sie, staunen Sie, erleben Sie die gigantische unglaublichste Weltneuheit.

Das Einzige, was Petra sah, waren in Wintermantel, Mütze und Schal eingemummelte Menschen, die wie sie durch die Drehtür drängten und denen ein Hitzeschwall wie aus einer Dampfsauna entgegenschlug. Warum mussten Kaufhäuser in der Winterzeit endlos überheizt sein? Und warum hatte sie Klaus versprochen, die Wohnung zu schmücken und Kekse zu backen? Was hatte sie bloß geritten?

Auf der Rolltreppe drängelte sie sich vor ein älteres Ehepaar, versuchte ein entschuldigendes Lächeln und löste den Schalknoten. Es war Klaus’ Kaufhaus. Hier kaufte er ein. Hier bekam er seine Bio-Sesamcracker und die Soja-Leberwurst mit Schnittlauch. Heute bekam man nicht mal einen Einkaufswagen.

Sie schnappte die letzten zwei Plastiktüten, hörte Klaus bereits über die Umweltbelastung zetern und hetzte Richtung Backwaren. Mit Massen an Hausfrauen stürmte sie von Regal zu Regal, sammelte Mandelreste, Haselnüsse, Rosinen, Kokos und Marzipan in die Tüte und fühlte sich, wie ein Neandertalerweibchen im Unterholz auf Beerensuche.

Mit prall gefüllten Einkaufstüten stieg sie am Marienplatz in die U6 und fuhr bis zur Station Kieferngarten nach Hause. Ihre Schultern schmerzten, die Füße taten ihr weh und sie schwitzte, als läge sie auf heißen Steinen im römischen Bad.

Im Thujaweg, in ihrer Mansardenwohnung, kippte sie den Inhalt der Tüten auf den Küchentisch. Ein Berg gehobelter, gehackter und gemahlener Mandeln, weiße Schokolade, Vollmilch und Zartbitterblöcke taten sich vor ihr auf wie die Säulen der Akropolis. Bunte Streusel, Pistazien und Erdbeermarmelade, Nougat und Marzipan neben Mehl und Zuckertürmen. Jetzt fehlten noch die Metallformen aus Herzchen, Glocken, Tannenbaum und Engel, das ausrangierte Sortiment von Klaus’ Mutter.

Sie stand auf, rutschte vor der Dachkammer auf die Knie und zog mit kräftigem Ruck an der Tür. Das Holz knarzte und öffnete ein dunkles Loch. Sie holte die Taschenlampe aus der Kommode, rutschte erneut auf die Knie und krabbelte in die Schräge.

Einen Meter, zwei Meter. Mit einer Hand die Taschenlampe haltend wühlte sie sich wie ein Maulwurf in den Verschlag. Haarsträhnen lösten sich aus ihrem Zopf, als sie einen Holzspan übersah. Die himmelblaue Plastikwanne mit Schallplatten von Heino, Abba, Harpo und Rex Gildo schob sie beiseite, Hitparadensongs, vergessen vom Vormieter. Ebenso die Skistöcke und die Ski, den Rodelschlitten, den handgeknüpften Teppich, den Klaus’ Eltern aus der Türkei angeschleppt hatten, den Karton mit Studienunterlagen, Zeugnissen von ihr und Klaus, Bankfortbildungsbücher und allerlei Fotos, die endlich digitalisiert werden müssten.

Neben dem Karton mit Aufschrift Weihnachten fiel ein dunkelblauer Leinenkoffer in den Lichtkegel der Taschenlampe. Ein Koffer, den sie nicht kannte. Der genug Platz für eine Wochenendreise oder einwöchige Geschäftsreise bot, und der mit seinem Besitzer reichlich fremde Länder der Welt gesehen hatte. Zumindest referierten das die seitlichen bunten Aufkleber. New York, Mexiko, Las Vegas, Marokko, Dubai, Paris und Venedig.

Sie strich die losen Haarsträhnen hinter das Ohr, zottelte Karton und Koffer aus der Schräge, legte letzteren vor ihre Knie und ließ die Schlösser aufschnappen. Den Atem anhaltend, starrte Petra mit offenem Mund auf das, was vor ihr lag.

Damenunterwäsche ordinärster Schnittart, schwarze Netzstrümpfe, eine blonde Langhaarperücke, ein Lackminirock, der kaum die Leiste bedeckte, ein braunes Hundehalsband mit silberfarbenen Nieten, ein angebrochenes Paket Hundekekse und ein signalroter Wassernapf fielen ihr entgegen. Was suchte das Zeug in ihrer Wohnung? Was wollte Klaus mit all dem Plunder?

Ihre Gedanken jagten, forschten nach logischen Erklärungen, für das, was ausgebreitet vor ihr lag. Eine Aufbewahrungslösung für einen Freund kam ihr in den Sinn. Der nächste Faschingsball in der Bank oder weiteres vergessenes Sammelsurium der Vormieter.

Sie könnte Klaus anrufen, fragen. Nein, sie wollte ihm ins Gesicht sehen, ihn beobachten. Sehen, wenn seine Augen zuckten, die Pupillen sich verengten, die Schultern spannten, er händeringend versuchte Erklärungen zu finden. Er konnte seine Reaktionen nicht verstecken.

Als der Schlüssel sich nach 20 Uhr im Schloss drehte, Klaus in der Tür stand und sein Blick auf herumliegende Utensilien wanderte, gab es keine Ausflüchte. Die Sache ließ sich nicht leugnen. Was Petra bis zur letzten Sekunde versucht hatte auszuschließen, bewahrheitete sich.

Klaus, der ohne gebügeltes Hemd, Markenkrawatte und Anzug nicht das Haus verließ, trug zu Hause Frauenkleider und hängte sich billigen Modeschmuck um den Hals. Und er lebte seine Neigungen aus, schob sie Nachtschicht, indem er mit einer Telefon-Domina namens Madame Babette sprach.

Weder Klaus’ Vorschlag, die horrenden Gesprächsgebühren zu senken, indem Petra in oberschenkelhohe Lackstiefel und schwarzes Mieder schlüpft, um ihn, das ungehorsame Schwanzmädchen Claudia, zu bestrafen, noch die zweite Alternative, eine Pro-forma-Ehe samt Familienglück, waren für Petra akzeptabel.

Ein Kurierbote, der nach 21 Uhr an der Tür der Zwei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock schellte, gab der Familienplanung die Wendung.

Der Horoskop-Killer

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