Читать книгу Der Horoskop-Killer - Angela L. Forster - Страница 27
Оглавление10
Der frühe Mittag war bereits angebrochen, als die Sonnenstrahlen sie am nächsten Tag aus traumloser Nacht weckten. Sie rieb sich die Augen und atmete tief ein. Es roch so gut. Frei. Klar. Nicht wie die Luft in der Stadt. Und es war so still. Kein tosender Autolärm, kein Trambahngebimmel und kein Türenknallen der Nachbarn.
Sie setzte sich auf den Rand des Bettes und sah sich um. Nichts war verändert. An der langen Wand gegenüber dem Bett stand der helle wuchtige Bauernschrank mit floral verspielter Malerei, der mit seiner Größe und den Unmengen an Kleidern ein wunderbares Kinderversteck bot.
Petra stand auf, öffnete zwei der vier breiten Fensterflügel und schob die dunkelgrünen Holzladen auf. Die Sonne hing wie ein großer goldener Ball am Himmel. Ein paar vereinzelte Wölkchen zogen dahin und überließen ihr zuvorkommend Platz. Das schmale Fleet, das weit bis zum Horizont zu reichen schien und das Land ihrer Großeltern zäunte, zog sich dahin wie schwarz geschmolzenes Glas. Land, das jetzt ihr gehörte. Fünfundzwanzig Hektar, über die die Natur in den letzten Jahren ungehindert regiert hatte.
Teils entwurzelte Obstbäume, die von Wind und Sturm getragen über Weide und Wiese lagen. Ein dichtes Gesicht aus Gestrüpp, gespannt wie ein verwirrtes Netz, kreuzend, windend, die ihre Arme senkrecht und waagerecht ausstreckten, um jeden Nachbarzweig wie in einem Wettbewerb zu überragen.
Petra hob die Arme in die Luft, gähnte, hörte den Nachbarshofhund bellen und entfernt die Kühe auf der Weide. Sie schüttelte die Kissen auf, schlug die Decke über den Rahmen des Doppelbettes und strich über das Holz der dreiteiligen Spiegelkommode. Omas Toilettenartikel, ihre weiche perlmuttbeschichtete Haarbürste, mit der sie Petra als Kind die Locken bürstete, der dazugehörige Spiegel, alles lag an dem Platz, wo es seit zwanzig Jahren lag und nur auf Großmutters Rückkehr zu warten schien.
In Bluejeans geschlupft, flocht sie die Haare zum Zopf und ging die Holzstufen hinunter in die Küche. Sie setzte den weißen Keramikfilter auf den Becherrand und brühte Kaffee, wie Oma es getan hatte. Schweren Herzens beugte sie sich über die Liste der zu erledigenden Aufgaben.
Tränen fanden einen Weg über ihre Wangen. Sie hatte noch nie einen Menschen zu Grabe getragen. Sie wusste nicht, wo der Leichenschmaus erfolgen sollte. Gab es so eine Feier im hohen Norden? Wen müsste sie benachrichtigen? Was sollte mit dem Sessel, in dem Oma friedlich eingeschlafen war, geschehen? Was mit der Kleidung? Fragen über Fragen, für die sie Antwort suchte.
Die Stunden vergingen und später Nachmittag forderte unaufhaltsam Einlass in das alte Haus. Die graue feuchte Dämmerung, die schleichend den Weg um die Ecke des Hauptgebäudes fand wie ein Dieb in der Nacht, ließ die Hoffnung auf weiße Weihnacht endgültig schmelzen.
Petra stand auf, knipste am Lichtschalter für die Deckenbeleuchtung und blickte hinaus durch hohe, weiß vergilbte Holzfenster, auf die Garde der Kirschgehölze, die im Alter morsch und verwachsen mit kahlen Ästen die Auffahrt säumten. Wie aufgeräumt alles aussieht. Kein Vergleich zur Weide. Sie erinnerte sich an früher: An Gummistiefel, durcheinander gewürfelt, kleine, große, tannengrün, dunkelblau und schwarz, matschig vom Feld, im rutschenden Berg bis an den Klingelknopf reichend. Obst- und Gemüsestiegen, gefüllt mit Kirschen, Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Rüben, Kartoffeln und Kohl, alles, was Jahreszeit, Feld und der Boden des Alten Landes gewährten. Sorgsam aufgestapelt an jeder freien Ecke des Innenhofes. Der Trecker knatternd, Hänger mit Gerätschaften auf ihren Einsatz harrend hinter Scheunentüren. Erntehelfer, Männer wie Frauen, die tagein, tagaus Hof und Weide belebten, in der großen Bauernküche saßen, lachten, redeten, wartend auf das Mittagessen, das Oma bereitstellte. Bratkartoffeln mit Speck, dessen Duft durch die Ritzen des Hauses zog und sich mit drängelnden Spiegeleiern paarte, die knisternd in schwerer Eisenpfanne um engsten Platz stritten. Eine maisgelbe Hügellandschaft, verschlungen in Windeseile von schmatzenden Zwei- und Vierbeinern. Wer hart arbeitet, muss gut essen, sagte Oma, froh, um jedes Ei, das Huhn Henriette samt Gefolge extra legte, um sonntäglichen Nachmittagskuchen zu sichern, kehrte Jonathan von Konzerten aus Frankreich, Italien, England und den Niederlanden heim.
Petra wandte den Blick zurück auf den langen hölzernen Küchentisch, der Geschichten der Jahrzehnte erzählte. Es gab ihn bereits, als sie noch ihre Ferien auf dem Hof verbrachte, früher, als Oma mit schwarzen Haaren und der Wurzelholzbürste über dem Tisch lag, erbarmungslos das Eichenholz schrubbte, als hätte ihn die Pest heimgesucht.
Das schrille Telefongebimmel aus dem Wohnzimmer wirbelte sie aus der Vergangenheit wie vertrocknete Herbstblätter im Wind.