Читать книгу Adda Fried - Angelika Nickel - Страница 17
13 - Novemberluft
ОглавлениеAdda stand kerzengerade im Bett. Das Funkgerät! War da nicht gerade das Funkgerät angegangen? Schnell sprang sie aus dem Bett. In übertriebener Eile, hurtig wie der Wind, sprintete sie ins Wohnzimmer hinüber.
»Anton 23, bitte melden! Schreie aus …«, hörte Adda gerade noch, eine Stimme aus dem Funkgerät sagen.
»Das ist es. Das muss ein Mord sein. Schreie …!« Adda raffte die Socken vom Sessel und zog sie hastig an. Gleich darauf schlüpfte sie in ihre Jeans und streifte sich einen roten Pulli über, um anschließend noch in ihre gefütterten Stiefeletten zu schlüpfen.
Edgar!, schoss es ihr durch den Kopf. Ich muss Edgar anrufen.
Gleich darauf wählte sie seine Telefonnummer. Es dauerte und dauerte, bis sich endlich eine verschlafene Stimme meldete: »Braun. Was ist denn los, mitten in der Nacht? Wehe, es ist nicht wichtig!«
»Edgar, ich bin ’s. Die Adda. Du musst ganz schnell kommen! Über Funk haben sie etwas von ’nem Mord durchgegeben.«
»Adda, weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Kurz nach zwei.« In ihr Gesicht zeichnete sich Unverständnis. Was bist du denn für eine Flitzpiepe?, empörte sie sich innerlich. Dennoch zog sie es vor, ihre Gedanken besser für sich zu behalten. Immerhin wollte sie Edgar nicht auch noch die Laune mit ihren Kommentaren verderben. Reichte ja schon, dass er ohnehin mies drauf war, und das nur, weil sie ihn an seine Pflicht erinnert und ihn angerufen hatte.
»Beste Dame, zwei Uhr, das ist mitten in der Nacht!«
»Jetzt stell dich nicht so an, Edgar. Für Mohamed Ali bist du doch ganz bestimmt auch nachts aufgestanden«, entrüstete Adda sich, die so gar kein Verständnis dafür hatte, dass Edgar nicht schon längst in die Klamotten gesprungen und losgefahren war.
»Ich interessier mich nicht fürs Boxen.«
»Ich schon«, antwortete Adda, die schon des Öfteren nachts für Boxkämpfe aufgestanden war, und mühte sich dabei um einen legeren Ton, obwohl sie innerlich kochte.
»Ich aber nicht. Kann ich jetzt endlich wieder weiter schlafen?« Edgar gähnte.
»Ich will mit dir nicht diskutieren, die Zeit haben wir gar nicht.« Sie seufzte unterdrückt. »Es gibt eine Leiche, Mann. Hast du es jetzt endlich begriffen«, fauchte sie ihn an. Ihre Geduld hatte ihre Grenzen erreicht. »Wir treffen uns am Tatort. Ins Bett, Edgar, geht’s jetzt nicht mehr. Später, aber nicht jetzt!«
»Weißt du denn überhaupt, wohin wir müssen?« Edgar glaubte nicht, dass Adda ihn tatsächlich so weit brachte, dass er nachts, ohne überhaupt dorthin gerufen worden zu sein, einen Tatort aufsuchte.
»Mannomann, Kommissar, du stellst aber auch Fragen. Sicher weiß ich, wohin wir müssen.« Sie nannte ihm die Adresse. »Ich geh schon mal zu Fuß los, von mir aus ist es nicht weit.«
»Adda, es ist stockdunkel draußen. Wart doch wenigstens, bis ich da bin. Ich hole dich auch direkt vor deiner Haustür ab.« Er fuhr sich mit der Hand mehrmals über die Augen.
»Ein anderes Mal, Edgar. Beim nächsten Mord kannst du mich gerne abholen. Doch für heute ist es anders besser.« Vor sich hin grinsend, spielte sie mit der Telefonschnur. Hab dich, dachte sie. »Ich mach mich jetzt auf die Socken, bevor wir noch mehr Zeit vertrödeln. Wir treffen uns dann am Ort des Geschehens. Bis gleich, Herr Kommissar.«
Er hörte nur noch ein Knacken. »Was für ein dickköpfiges altes Weib!« Innerlich schäumte er, vor Wut auf sich selbst. Hatte sie ihn wieder weich gekocht und dahin gebracht, wohin sie ihn haben wollte. Warum hatte er ihr auch nur nicht widerstanden? Ihr und ihrer Forderung? Immer noch hundemüde, krabbelte er aus dem Bett.
Keine fünf Minuten später saß er in seinem Wagen. Mit Blaulicht raste er davon. Er hatte ein ungutes, ein sehr ungutes Gefühl, nicht mehr rechtzeitig zu kommen. Wieder wunderte Braun sich über sich selbst. Da machte er sich doch tatsächlich Sorgen um die alte Schachtel. Und dennoch, auch wenn er in diesem Augenblick so ziemlich alle Schimpfworte für sie hatte, die ihm um diese Stunde einfielen, musste er doch, wenn er vollends ehrlich mit sich war, zugeben, dass er diese Frau mochte; wenn auch auf eine ganz spezielle Art.
»Hoffentlich wird die alte Nudel nicht noch zu ihrem eigenen Mordfall.« Er trat das Gas durch und fegte davon, dabei überfuhr er auch mehrere rote Ampeln, und wurde, zu seinem Leidwesen, auch noch dreimal geblitzt. Das würde wieder eine Unmenge an Formularen kosten, die er würde auszufüllen haben, um diese Aktion und seine Geschwindigkeitsüberschreitungen, zu rechtfertigen. Er konnte nur hoffen, dass Adda Recht hatte, und sie diese Nacht tatsächlich zu einem Tatort mit Leiche gerufen wurden. Damit hätte er zumindest eine Rechtfertigung für seinen allzu rasanten Gasfuß.
Adda verließ das Haus. In ihrer Manteltasche hatte sie das Handy, das ihr Elfriede die Tage aufs Auge gedrückt hatte.
Sie schlug den Kragen hoch. Kalte, feuchte Novemberluft machte ihr das Atmen schwer. Der November, sie mochte ihn nicht. November, einer der unfreundlichsten Monate überhaupt. Zudem war es dermaßen diesig, dass sie kaum die Hand vor Augen sah. Hätte mich doch besser von Edgar abholen lassen sollen. Doch nun war’s zu spät. Jetzt musste sie zusehen, dass sie ohne ihn sicher zum Tatort gelangte. Sie rümpfte die Nase. Den Geruch des Nebels, sie mochte ihn nicht. Er roch nach Gefahr. Adda beschleunigte ihren Schritt. Der Graupel ließ sie sich unwohl fühlen. Mehr als unwohl. Zum Glück war es nicht mehr weit.
Von fern hörte sie einen Hund bellen; kurz darauf grölte ein Betrunkener durch die dichte Nebelwand.
Die ältere Dame überquerte die Straße. Nur noch drei Straßen, und sie würde endlich am Ziel sein; hätte den Tatort erreicht.
Mit etwas Glück war Edgar vielleicht auch schon da, sofern er sich wagte, das Gaspedal etwas mehr als erlaubt, durchzutreten. Inständig, hoffte sie dies. Mitten in der Nacht, mit Wetterbegebenheiten, wie den heutigen, wollte sie auch nicht unbedingt längere Zeit mit einem Toten verbringen; und das auch noch, ohne zu wissen, ob sich der Mörder womöglich noch in der Nähe befand.