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Wie Colette geahnt hatte, wusste Matthieu beim Mittagessen das Gespräch recht schnell auf Katrin zu lenken.

Mon Dieu, dachte Colette, sie gefällt ihm. Sie selbst schätzte Matthieu als Freund. Er sah gut aus und hatte Humor. Für Frauen, die nicht zwanzig Jahre älter waren als er, war allerdings Matthieu eine Gefahr in ihren Augen. Colette hatte lang genug in Deutschland gelebt, um die Unterschiede im Verhältnis von Männern und Frauen auszumachen. Was ein Franzose aus einem Repertoire charmanter Bemerkungen hervorzaubern konnte, klang in den Ohren deutscher Frauen fast immer wie ein besonderes Kompliment. Dann maßen sie den schönen Worten eine Bedeutung zu, die sie nicht hatten.

Der Mangel an Galanterie war mehr als einmal Streitthema zwischen Colette und Johannes gewesen. In ihrer Zeit in Paris war die spröde Zurückhaltung ihres Freundes nicht wirklich aufgefallen. Um Colette waren genügend andere, die ihr bestätigten, dass sie fantastische Beine, ein gewinnendes Lächeln und umwerfende Augen hatte.

„Ich liebe dich. Natürlich finde ich dich schön.”

Ein solcher Satz war zu bindend, als dass er sich beliebig wiederholen ließe, fand Johannes. So war er erzogen.

Doch dieser Unterschied war nicht der Grund gewesen, warum Colette wieder nach Frankreich ging und ihn in Heidelberg allein ließ. Bestimmt aber hatte er dazu beigetragen, dass Colette wieder zurückwollte: in ihre Sprache, in ihr Land und in ein altes, neues Leben.

„Tut mir leid, ich habe nicht recht zugehört, war in Gedanken”, musste sie bekennen.

Matthieu wiederholte: „Ich fand Katrin wirklich nett und würde sie gern zu unserer Party am Wochenende einladen. Du gibst mir ihre Telefonnummer, nicht wahr?”

„Nein. Ohne ihre Zustimmung geht das nicht.” Das war rabiat.

In Matthieus Gesicht zeigte sich Betroffenheit. Colette versprach, Katrin die Einladung zu überbringen.

„Sie kann auch bei uns schlafen.” Nie im Leben, dachte Colette.

Katrin freute sich, am Dienstagnachmittag einen Termin mit dem Star-Germanisten der Universität zu haben. Professor Steinberg war eloquent und interessant. Die Falten in seinem runden Gesicht zeugten davon, dass er gern lächelte. Das Infomagazin der Uni würde über das anstehende Kolloquium seines Instituts berichten.

Katrin überquerte den gepflasterten Ehrenhof des Schlosses. Zu ihrer eigenen Studienzeit gab es an Stelle der Steine einen Rasen, auf dem im Sommer verstreute Grüppchen saßen, sich sonnten, Referate oder Prüfungen vorbereiteten. Jetzt war es edler. Aber, so dachte Katrin, auch steriler. Die Studierenden von heute setzten sich nicht mehr ins Gras. Mindestens nicht die, die hier zu Managern, Finanzexperten und Juristen herangezogen wurden. Professor Steinbergs Büro war gemütlich. Katrin bemerkte auf dem niedrigen Teetisch einen dicken Ausstellungskatalog: Anselm Kiefer im Centre Pompidou.

Professor Steinberg folgte ihrem Blick und wies auf das Buch:

„Da sind wir gleich in medias res, Frau Beller. In unserem Kolloquium geht es um Kunst als Vektor kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Austauschs. In der Literatur, wie auch der bildenden Kunst. Lassen Sie uns zunächst einen Tee trinken. Earl Grey?“

Was folgte, wurde weniger Interview denn Vorlesung. Katrin hatte das von vornherein gewusst. Es störte sie nicht. Professor Steinberg gehörte zu den Menschen, denen zuzuhören ihr das Gefühl gab, intelligenter zu werden.

„Dein Handy hat dreimal geklingelt”, empfing Lisa sie bei ihrer Rückkehr ins Büro. „Man kann diese Dinger auch auf stumm schalten.”

Katrin hatte eine neue Nachricht. Von Colette.

Sie freute sich, bevor sie wusste, worum es ging, und strahlte, als sie vernahm, dass sie bereits am kommenden Samstag zu einer Fete bei Matthieu und François eingeladen sei und selbstverständlich bei Colette schlafen könne. Sie rief zurück und hinterließ – auf Französisch, das Lisa nicht sprach und auch nicht verstand – die Nachricht, dass sie sich freue und sehr gern käme.

Der Rest der Woche flog vorbei.

Colettes zweite Wochenhälfte verlief weniger angenehm. Man hatte sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen mal wieder zu Camille Claudels L’âge mûr gesetzt. Dort hatte sie sich nach Kräften gegen eine Lawine unschöner Gedanken gewehrt: Zukunft (Was hatte sie an Glück noch zu erwarten?), Gegenwart (War es ein Fehler, Bernard zu verlassen?), Vergangenheit (Immer wieder Johannes).

In ihren Nächten strickte der Schlaf aus all den Grübeleien Träume, aus denen sie zermürbt erwachte. Entsprechend mürrisch reagierte sie am Freitagvormittag auf den Anruf von François.

Johannes hatte keine Lust, sich mit den Vorbereitungen für den Festakt anlässlich seiner Emeritierung zu beschäftigen. Gern hätte er die Uni still verlassen. Genau wie Heidelberg, an das er nie wirklich sein Herz verloren hatte.

Innerlich saß Johannes bereits auf gepackten Koffern.

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