Читать книгу Geschichte vom Verlieren, Suchen, Finden - Anke Feuchter - Страница 13
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ОглавлениеEin Post-it mit den Worten „Schlüssel unter Fußmatte” klebte an der Wohnungstür. Katrin schloss auf. Es war still.
„Colette?” Keine Antwort. Katrin stellte die Einkaufstüten ab. Sie hörte ein leises Rascheln. Unter Colettes Zimmertür wurde ein Zettel durchgeschoben. Ich habe Migräne.
Katrin fühlte sich etwas unbehaglich.
„Kann ich etwas tun?”
Nein.
Katrin fühlte leichte Panik aufsteigen. Konnte sie wie geplant die Küche benutzen und den Salat für die Party vorbereiten? Sollte sie leise wieder gehen? Colette fragen? Aber die schien unerreichbar und auch, um es gelinde auszudrücken, schlechter Laune. Colette stören war nicht gut.
Eine Entscheidung treffen, die falsch sein konnte, genauso wenig.
Katrin trug die Tüten in die Küche, stellte sie ab und setzte sich entmutigt auf einen der harten Holzstühle. Auf dem kleinen Tisch lag ein weiteres Post-it: Fühl dich wie zuhause. Ich bin nur etwas HS. Was ‚HS‘, bedeutete, wusste Katrin zwar nicht, aber es klang etwas versöhnlicher. Wie sie im Internet checkte, war es die Abkürzung für Hors Service, außer Betrieb. Wie ein Aufzug oder eine Rolltreppe.
Colette hatte keine Migräne und sie war auch nicht ‚HS‘.
Sie wollte lediglich für einige Stunden die Welt verbannen, aussteigen in ein Nichts, das nur sie bewohnen durfte.
Johannes hatte ihre Facebook-Seite gefunden.
Wieso auch hatte sie sich genau unter dem Namen angemeldet, den er ihr in den ersten Tagen ihrer Beziehung gegeben hatte? Coco Croco. Idiotisch. Als ob sie ihn unter Oberschimpanse mit Segelohren gesucht hätte. Warum Colette bereits zum dritten Mal, Attends-moi, den Sommerhit von 68 hörte, war ihr ein Rätsel. Eines, das ihr die Tränen in die Augen trieb.
‚On s’est rencontrés un soir d’hiver, la neige tombait - Wir trafen uns an einem Winterabend, es fiel der Schnee’ – was für ein Kitsch.
Nicht auszuhalten und komplett daneben.
Colette spürte, wie eine leise Wut in ihr aufkam. Sie registrierte es mit Erleichterung. Traurigkeit, das war das Schlimmste. Sie stellte Monty ab und wechselte zu den Doors. When the Music’s Over. Schon besser. “Yeah, … when the music’s over, turn out the light” – genau. Sie würde nicht auf diese Nachricht antworten.
Katrin öffnete Schränke, Schubladen und Fächer. Anarchie und Chaos. So peinlich sauber alle Fassaden waren, so wirr, so ungeordnet und entgegen aller Logik präsentierte sich die Innenwelt der Küche. Teller, Schüsseln, Töpfe waren durcheinander wild gestapelt. Eine neue Facette in Colettes Persönlichkeit eröffnete sich ihr. Katrin lauschte – war das nicht Jim Morrison, den sie da hörte? People Are Strange.
Die Musik wurde weiter aufgedreht. Eine eigenwillige Therapie für Kopfschmerzen, dachte Katrin. Colette erschien in der Küche mit zerzauster grauer Mähne und geröteten Augen.
„Frag nicht. Oder frag höchstens, wo was ist”, fügte sie mit einem Blick auf die offenen Schränke hinzu.
„Touch me, babe, can’t you see that I am not afraid …”, dröhnte es jetzt aus dem Schlafzimmer. Colette machte eine Kehrtwendung.
„I’m gonna love you till the heaven stops the rain.”
Abrupt brach die Musik ab, die Zimmertür knallte, und Colette stand wieder vor Katrin in der Küche.
„Entschuldige bitte. Ich bin ein bisschen durch den Wind.”
Riders on the Storm. Katrin konnte die Bemerkung im letzten Moment gerade noch zurückhalten.
„Ich bräuchte eine Salatschüssel, bitte.”
Katrin hatte alle Zutaten für einen Nudelsalat gekauft.
Nudelsalat, dachte Colette. Fete gleich Nudelsalat war eine so deutsche Gleichung, dass hämische Kommentare bei einer Pariser Party unumgänglich waren. Kein französischer Gaumen konnte begreifen, in welche Beziehung kalte Nudeln, Mayonnaise, Kirschtomaten, Thunfisch und womöglich Erbsen aus der Dose mit dem Ideal guten Essens treten konnten. Sophie, eine der Ex-Geliebten von Matthieu, würde Katrin auf ihrer spitzen Zunge aufspießen wie eine Olive auf den Zahnstocher. Oder schlimmer. Wenn sie nämlich mitbekommen würde, dass Matthieu die reservierte Deutsche anscheinend attraktiv fand. Dann würde Katrin Federn lassen. Wie aber konnte Colette Katrin taktvoll erklären, dass ihr kulinarischer Beitrag ein wenig ‚zu deutsch‘ war? Dass er unweigerlich Witze über weiße Socken in Birkenstock-Sandalen, unrasierte Frauenbeine und andere Stereotype mit sich bringen würde?
„Wie geht es eigentlich deinem Kopf?” fragte Katrin.
Colette starrte sie verständnislos an.
„Fehlalarm.“
Mit zwei Flaschen Champagner stand das Duo kurz vor 21 Uhr vor François’ und Matthieus Wohnungstür. Katrins Herz trommelte. Langsam wäre es sicher an der Zeit gewesen, sich einzugestehen, dass sie drauf und dran war, de tomber amoureuse, sich zu verlieben. Vielleicht bereits verliebt war. So weit war Katrin allerdings noch nicht. Ihre letzte Liebesgeschichte lag fünf Jahre zurück und war katastrophal zu Ende gegangen.
Nicht daran denken, nicht jetzt.
François öffnete ihnen. Er sah edel und lässig zugleich aus, wobei ihm seine Größe, seine gute Figur und sein Geschmack für ausgesuchte Kleidung sehr zupass kamen. Colette pfiff anerkennend: „Bist immer noch ein Schöner”, meinte sie lachend. François verneigte sich, küsste sie auf beide Wangen und gab zurück:
„Sie kommen auch nicht schlecht daher, Madame!”
Das stimmte.
Colette hatte ihre halblangen silbergrauen Haare mit einer Spange hochgesteckt und trug grüne Art-Deco-Ohrringe zu einem metallicgrauen wadenlangen Kleid.
Der Kontrast zu Boyfriend-Jeans, Turnschuhen und Pulli, nur so hatte Katrin sie bislang gesehen, war bestechend. Beides stand Colette. Auch sie war relativ groß und vor allem ausgesprochen schlank.
„Bonsoir, Katrin!”
François umarmte sie herzlich und bemerkte charmant, es sei sehr schön, dass man sich bald wiedersehe. Colette und er wechselten einen komplizenhaften Blick – ohne Katrin hätte dieser Abend nicht stattgefunden, beide wussten um Matthieus Coup de cœur beim Brunch am vergangenen Sonntag.
„Kommt rein.”
Die Wohnung war traumhaft. Glänzendes Parkett, hohe Wände, ein schmiedeeiserner Balkon.
Katrin war überwältigt.
So also konnte man leben? In einem Kokon aus Farben, Stoffen, Licht? Mit Blick auf schöne Wohnhäuser hinter einem Vorhang hellgrüner großer Pflanzen?
Später am Abend hatte es Matthieu geschafft, Katrin zu den Hängesesseln auf dem Balkon zu lotsen, die von mehreren Kübeln Bambus umgeben, für ein Maximum an Intimität sorgten. Colette hatte sich nur schwer abschütteln lassen, aber Matthieu war hartnäckig und hatte sie zu mehreren Gläsern Vodka Pomme verleitet (nach Mojitos ihre zweitliebste Cocktailsünde). Nun lag Colette hingegossen auf der violetten Méridienne im Arbeitszimmer und schlief. François dachte im Vorübergehen, dass Colette ihm hätte gefallen können. In einem anderen Leben.
Matthieu beglückwünschte sich dazu, die Anstandsdame in Morpheus’ Arme gelotst zu haben. Katrin brachte er ein Glas Rotwein und einen kleinen Teller mit diversen Häppchen – Gambas, Tomaten an Mozzarella, Blinis mit Tarama. Danke, Colette. Nudelsalat war in der Tat ein No go hier.
Nun schaukelte Katrin im Korbsessel hoch über der Straße, von der man Automotoren und gelegentliches Hupen hörte. Aus der Wohnung hinter ihr drangen Stimmen, Lachen und leise Musik hervor. Und Matthieus schöne Stimme stellte ihr so viele Fragen, dass Katrin begann, ihr Leben fast interessant zu finden.
Colette war irgendwann wieder aus dem Apfel-Wodka-Tiefschlaf erwacht und hatte sich nicht ganz so elegant von der Méridienne erhoben, wie sie darauf geruht hatte. Trotz jetzt tatsächlich hämmernder Kopfschmerzen hatte sie registriert, dass der Geräuschpegel merklich gesunken, das Licht gedämpft und die Party- durch leise Jazzmusik ersetzt worden war. Gefahr im Verzug!
Katrin und Matthieu saßen inniglich auf dem Balkon, ihre Knie berührten sich leicht. Zu mehr Intimität schien es noch nicht gekommen zu sein. Gewandt holte Colette Katrin ins Hier und Jetzt zurück.
Wenig später brachte Matthieu die beiden an die Tür.
Colette wusste, dass er sie am liebsten chloroformiert in einem Wandschrank abgestellt hätte. Tant pis, macht nichts, dachte sie. Noch immer, trotz Müdigkeit und nicht ganz nüchtern, wusste Colette genau, warum sie zu verhindern suchte, dass Matthieu Katrin näherkam.
Katrin war glücklich. Was an diesem Abend geschah, war schön, tat gut, gab Stoff zum Träumen. Von Matthieus auf-ziehender Kriegsflotte und Colettes Schiffchen-versenken-Taktik bekam sie schlichtweg gar nichts mit. So schwebte Katrin hinter Colette die Stufen der geschwungenen Treppe hinunter – Aschenputtel at its best.
Am späten Sonntagvormittag schlief Colette noch tief.
Schlafmaske und Ohrenstöpsel hielten jegliche Außenwelt von ihr fern. Katrin hatte bereits in der Boulangerie knusprige Croissants und frischgebackenes Baguette geholt.
Als sie gerade die letzte Ziffer des vierstelligen Codes tippen wollte, um die Haustür öffnen zu können, schob sich eine Hand an ihr vorbei und tippte auf die 2. Katrin erschrak. Brüsk drehte sie sich um. Ein Mund landete auf dem ihren. Matthieu.
„Ich wollte gern zusammen mit euch frühstücken”, sagte er.
„Und da kommst du und küsst mich?”
„Genau.”