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Auch am Sonntagmorgen weckte Colette Katrin mit einer großen Tasse Kaffee. Der war nötig. Es war spät geworden, bis die letzten Gäste gegangen und das Wohnzimmer soweit aufgeräumt war, dass die Gästematratze Platz fand.

„Wie viel Uhr ist es?”, fragte Katrin noch etwas benommen.

„Fast zwölf. Wir müssen uns beeilen!”

„Wieso?”

„Der Brunch!”

Aha, dachte Katrin. Der Brunch. Wo? Mit wem?

Aber das war eigentlich egal. Sich von den Ereignissen tragen lassen, fühlte sich gut an.

Katrin duschte in Rekordtempo. Was sollte sie anziehen?

Wühlen in den Tüten der Shoppingtour vom Vortag: einen sonnen- gelben Pulli und eine schwarze Hose. Un pantalonpattes d’eph’ hieß das auf Französisch, wie sie gestern von Colette gelernt hatte.

„Mit ‚Elefantenbeinen‘?“, hatte Katrin verwundert nachgehakt.

Warum nicht. Schlaghose war für einen der Modeklassiker der 70er-Jahre nun auch nicht gerade die schmeichelhafteste Bezeichnung ...

Als Colette und Katrin die Tür des Cafés aufstießen, hatten sie Mühe, unter den vielen Gästen die Freunde Colettes auszumachen. Schließlich entdeckten sie das kleine Grüppchen, dank Colettes Freundin Gisèle, die eine karierte Serviette über ihrem Kopf kreisen ließ und „Ici!” rief. Die meisten kannte Katrin bereits vom Vorabend. Aber da war ein neues Gesicht. Neben François, dem Freund Colettes seit gemeinsamer Studientage in Nanterre, saß ein Mann, den Katrin auf ihr eigenes Alter schätzte. Sehr attraktiv, dachte Katrin. Viel zu gutaussehend für jemanden wie mich. Mit einem Mal fühlte sie sich in ihrem neuen Outfit ungelenk. Der Pullover war zu eng. Und war zu gelb. Und dazu das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden.

Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss.

François legte seine Hand auf den Unterarm seines Tischnachbarn und stellte ihn als seinen Mitbewohner Matthieu vor. Von François wusste Katrin bereits, dass er selbst gay war.

Am Büffet nahm sie ihren Mut zusammen und Colette diskret beiseite: „Sind Matthieu und François ein Paar?“

„Natürlich”, antwortete Colette und räusperte sich. Katrin schaute sich um. Matthieu stand hinter ihr. Er lächelte sie an.

„Wie lange bleibst du?”, fragte jemand sie später am Tisch.

Katrin antwortete, dass sie am Nachmittag nach Hause fahren würde. Matthieu bot ihr an, sie mit dem Motorroller zum Bahnhof zu bringen.

„Wann fährt dein Zug?”

Katrin zog die Reservierung aus der Tasche ihrer neuen Bomberjacke. Dabei fiel das Metroticket mit der Telefonnummer zu Boden. Gisèle hob es auf und hielt es in Katrins Richtung.

„Hat einer von euch darüber nachgedacht, wie das hier an eine Haltestelle in Mannheim geraten konnte?”, wollte sie wissen. Verblüfft schauten sich alle an.

„Colette?”

Die schüttelte unwillig den Kopf.

„Kann Johannes etwas damit zu tun haben?”, fragte jetzt Gisèle. Katrin fiel auf, dass die beiden Freundinnen die gleiche, tiefe Stimme hatten und zum Verwechseln ähnlich sprachen.

Colette forderte sie auf, ihr eine Zigarette zu geben, überhörte den Einwand, sie rauche doch gar nicht mehr, und ging hinaus.

„Daher die Stimme”, dachte Katrin. Sie erinnerte sich an ein Foto von Jeanne Moreau, das lang an der Pinnwand über ihrem Schreibtisch gehangen hatte. Die Schauspielerin saß im schwarzen Abendkleid auf einem Stuhl in einem fast leeren Raum. Elegant hielt sie eine Zigarette in der rechten Hand. Mittel- und kleiner Finger lagen auf ihren Lippen.

Der abziehende Rauch schwebte. Die auf- und abgehende Colette vor der Brasserie wirkte weitaus weniger ladylike. Sie paffte grimmige kleine Wölkchen, die der Wind sofort davontrug.

Katrins Tischnachbarin wandte sich zu ihr.

„Johannes ist Colettes Ex. Er ist Deutscher. Sie haben seit Jahrzehnten keinen Kontakt. Normalerweise spricht nie jemand über ihn. Es versetzt Colette in den Zustand, in dem du sie jetzt erlebst. Nur damit du Bescheid weißt”.

François fiel ihr ins Wort.

„Das liegt hinter uns. Lass Katrin mit den alten Geschichten in Ruhe. Und Colette ohnehin!”

Colette kam zurück. Sie setzte sich. Freundlich lächelte sie in die Runde.

„Worüber sprachen wir?”

Katrin legte ihre Hände um Matthieus Taille. Die Fahrt zum Bahnhof war nur kurz. Katrin hätte ihr Gesicht unter dem aufgeklappten Visier des Helms gern länger in den Fahrtwind gehalten. Trotz Oktoberluft, die ihre Finger kalt und rot werden ließ.

Matthieu begleitete Katrin zum Bahnsteig und brachte sie bis zum Wagen. Katrin stieg ein. Von ihrem Sitzplatz aus winkte sie Matthieu zu. Er lächelte.

Als Katrin die Schuhe abstreifte und es sich auf ihrem Platz bequem machte, Matthieu seinen Roller startete, Colette die Gästematratze zusammenrollte, dachten alle drei, dass dieses Wochenende ihnen unerwartet nette Begegnungen geschenkt hatte.

Nur von Johannes hätte nicht gesprochen werden sollen, dachte Colette, und quetschte die Schaumstoffrolle etwas heftiger in die Abstellkammer als nötig.

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