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11 / Montag, 26. März 2007, nachmittags

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Dan lieferte die Flasche und die beiden Teller ab. Als er Flemming erklärte, wie Ursula, ohne zu zögern, ihre eigene – und wohlgemerkt brauchbare – Methode entwickelt hatte, Fingerabdrücke zu nehmen, schüttelte der Kommissar lächelnd den Kopf. »Unglaublich, wie viele Leute C.S.I. im Fernsehen sehen! Eigentlich müsste man sich wundern, dass es noch immer irgendwelche armen Hunde gibt, die noch nichts von DNA-Spuren oder Fingerabdrücken gehört haben. Aber zum Glück sind die Trottel noch in der Überzahl.« Er steckte alle drei Gegenstände in einen eigenen Umschlag, füllte ein paar Formulare aus und schickte alles in die kriminaltechnische Abteilung. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«

»Nein danke. Ich muss nach Hause. Hast du schon etwas von dem Nummernschild gehört?«

Flemming nickte. »Die Nummernschilder wurden im Oktober auf Amager gestohlen, und ich vermute, dass der Lieferwagen ebenfalls geklaut ist. Gib mir die Rahmen- und Motornummer, dann prüf ich es weiter. Wenn der Wagen aus der gleichen Gegend stammt, könnten wir zumindest annehmen, dass er sich dort aufgehalten hat. Als Jakob Heurlin steht niemand in den Registern, zu denen wir Zugang haben.«

»Hm. Hoffen wir auf die Fingerabdrücke.«

»Schraub deine Erwartungen nicht zu hoch.«

»Bis bald.«

»Bis bald. Und Grüße!«

In Dans Postfach befanden sich drei E-Mails: eine von einem Kunden und zwei von unbekannten Absendern, beide mit Hotmail-Adressen. Dan beantwortete zuerst die Mail, die etwas mit seiner eigentlichen Arbeit zu tun hatte, bevor er die beiden anderen öffnete. Die erste Mail stammte von einer Frau, die mit Irene unterschrieben hatte. Sie glaubte, den Mann aus der Anzeige wiedererkannt zu haben, und bat um umgehenden Anruf.

Dans Adrenalinniveau war im roten Bereich, als er ihre Telefonnummer eingab, und stürzte erst ab, als die Frau zum zweiten Mal fragte, was sie gewonnen hätte. Ihm wurde klar, dass Irene glaubte, es handele sich um eine Teaserkampagne für einen neuen Film und der Mann auf dem Foto sei Matt Damon. Es gelang ihm, nicht zu lachen, während er ihr behutsam die grausame Wahrheit erklärte. Der Mann, den er suchte, war zehn Jahre jünger als der amerikanische Schauspieler, deutlich schmächtiger gebaut und sprach fließend Dänisch. Gar nicht davon zu reden, dass er tatsächlich dort draußen in der Realität existierte. Irene klang beleidigt, als sie das Telefonat beendete.

Mit bangen Ahnungen öffnete er die zweite unbekannte Mail. Sie las sich anders:

Von: IIi@hotmail.com

An: dan@sommerdahl.dk

Gesendet: Montag, 26.03.2007, 14:06

Betreff: Joachim Heinsen

Anlagen: IMG_00347.jpg

Lieber Dan Sommerdahl,

ich habe Ihre Anzeige auf firstdate.dk gesehen, und ich glaube, ich habe den jungen Mann auf dem Foto wiedererkannt. Haarfarbe und Frisur sind anders, aber ich habe einmal einen kurzen Blick auf seine Tätowierung werfen können, und sie sieht absolut identisch aus. Er heißt Joachim Heinsen, war mit meiner Nachbarin verheiratet, wurde aber plötzlich sehr krank, unheilbar, hieß es. Er verschwand im letzten Herbst spurlos, und ich fürchte, dass er jetzt tot ist. Daher war ich schockiert, als ich diese Suchanzeige sah – wenn er es ist. Ich habe das einzige Foto angehängt, das ich von Joachim finden konnte. Wenn Sie auch meinen, dass es ihm ähnlich sieht, würde ich gern so schnell wie möglich mit Ihnen reden.

Mit freundlichen Grüßen Liselotte Ingdal

Dan klickte zweimal auf die angehängte Bilddatei, und Jakob Heurlins Gesicht füllte den Bildschirm aus. Das Foto war sehr unscharf, zeigte aber unverkennbar ihn. Sein Gesicht war blasser und wirkte dünner, das Haar erheblich länger als auf den Fotos, die Laura besorgt hatte. Es hatte auch einen dunkleren Ton. Doch der schmale, markante Nasenrücken, die hohen Wangenknochen, die Körperhaltung … Es war Jakob, der sich in einer dunkelgrauen, etwas bauschigen Jacke und einem weißen Hemd über eine zierliche Frau mit nussbraunen Augen und einem kleinen kuppelförmigen Rokokobouquet zwischen den Händen beugte. Sie hatte eine pinkfarbene Dahlie im Haar und legte den Kopf zurück, sodass sie ihren Mann anlächeln konnte. Tränen glänzten in ihren Augen. Die beiden sahen aus wie ein ganz traditionelles Brautpaar. Abgesehen von einem Detail: dem Altersunterschied. Der Bräutigam war um die dreißig, die Braut mindestens doppelt so alt.

Dan klickte mit der rechten Maustaste auf ›Eigenschaften‹. Die Datei war am 11. September des Vorjahrs auf einen Computer überspielt worden, wahrscheinlich von einer Kamera. Das heißt, die Hochzeit musste vorher stattgefunden haben, wahrscheinlich nicht allzu lange vorher. Der sogenannte Joachim Heinsen verschwand im Herbst. Dan schaute in seine Notizen. Jakob war zum ersten Mal am 26. Oktober im Internat von Egebjerg aufgetaucht, sechs, sieben Wochen nach Joachims stimmungsvoller Heirat und dem offenbar recht ergreifenden Krankenlager. Das passte tatsächlich unglaublich gut zusammen. Jakob Heurlin und Joachim Heinsen hatten ganz offensichtlich mehr als die Initialen gemeinsam.

Dan rief die Nummer an, die Liselotte Ingdal angegeben hatte. Das Telefon wurde sofort abgehoben, als hätte sie mit der Hand am Hörer gesessen. Ihre Stimme war freundlich, entschieden, ein wenig unpersönlich. Sie verabredeten sich für den nächsten Vormittag bei ihr zu Hause. »Dann können Sie sich auch das Haus ansehen, in dem Birgitte und Joachim wohnten. Wir dürfen ruhig einen Blick über die Hecke werfen, ohne die neuen Eigentümer zu belästigen.«

»Wohnten? Ist sie ebenfalls ausgezogen?«

Die Pause dauerte lediglich eine Sekunde. »Oh«, sagte sie dann, leicht verwirrt. »Das hatte ich ja noch gar nicht gesagt, Birgitte ist tot.«

»War sie so verzweifelt darüber, verlassen worden zu sein, dass sie …?«

»Wieso verlassen?«, unterbrach Liselotte Ingdal. »Joachim hat sie nicht verlassen.«

»Aber wie …?«

»Warum sollte er sie verlassen? Der arme Mann liebte sie ja bis zum Tode. Buchstäblich! Nein, es war eher umgekehrt.«

»Jetzt bin ich es, der verwirrt ist.«

»Birgitte und Joachim heirateten, als sie erfuhren, wie krank er war. Er hatte keine Familie und wollte sichergehen, dass ihr sein Erbe zufiel – ohne allzu viel Erbschaftssteuer zahlen zu müssen. Selbstverständlich liebten sie sich.«

»Selbstverständlich.«

»Als Joachim noch kränker wurde und sie einsehen mussten, dass er sterben würde, da …« Liselotte versagte die Stimme, sie musste sich räuspern. »Entschuldigen Sie. Es ist noch immer so … Nun, als er so krank geworden war, beschlossen er und Birgitte, zusammen zu sterben; eine Art Selbstmordpakt, wenn Sie so wollen. Sie nahmen starke schmerzstillende Mittel, die Joachim aus dem Krankenhaus besorgt hatte, als sie aufgaben.«

»Hatte er Krebs?«

»Einen Hirntumor.« Sie schwieg.

Nachdem er eine Weile einem leisen elektronischen Sausen zugehört hatte, fragte Dan: »Hallo? Sind Sie noch da?«

»Äh, ja, Entschuldigung.«

»Warum entschuldigen Sie sich ständig?«

»Entschuldigung. Ich meine …«

»Was ist dann passiert? Führten sie den Selbstmord durch?«

»Nur Birgitte starb. Joachim wurde rechtzeitig gefunden.« Sie schniefte. »Leider, hätte ich beinahe gesagt. Es war fürchterlich für ihn. Seine geliebte Frau zu verlieren, wenn man selbst sterben muss.«

»Was hat er getan?«

»Nach dem Begräbnis verschwand er. Niemand weiß, wohin er gegangen ist. Vielleicht in ein Hospiz, er war ja so verzweifelt, der arme, arme Mann. Jedenfalls hat sein Anwalt das Haus mit sämtlichem Inventar verkauft.«

»Können Sie sich erinnern, wann das war? Also Birgittes Tod, das Begräbnis, Joachims Verschwinden?«

»Die Beerdigung fand am 12. Oktober statt, das weiß ich noch. Und Joachim war bereits am selben Abend verschwunden.«

Ja, dachte Dan. So muss es gewesen sein. Als Joachim Heinsen seine Rolle als Birgittes untröstlicher Witwer ausgespielt hatte, war er in eine andere Stadt verschwunden. Er ließ sich sofort die Haare schneiden und bleichen, vielleicht hat er auch die Farbeimer mit den hübschen, neuen Etiketten versehen und sich die richtigen Klamotten ausgesucht. Möglicherweise hat er sich ein gutes Abendessen gegönnt, eine Massage, einen Drink oder zwei … Seine Ehefrau hatte man wenige Stunden vorher begraben, und Joachim beschäftigte sich bereits mit den Vorbereitungen dafür, die Rolle des Jakob Heurlin zu spielen, die Antwort auf Ursula Olesens intimste Träume.

Der Judaskuss

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