Читать книгу Der Seelenhandel - Anna Katharina Bodenbach - Страница 11
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ОглавлениеEs war dunkel. Lara wusste nicht, wo sie war. Doch sie war ganz alleine. Dichte Nebelschwaden berührten kalt ihre Haut. Um sie herum war alles von weißem Dunst und der Dunkelheit eingehüllt. Es umschloss und erstickte sie, nur der Schein des Mondes war matt über ihr durch den Nebel zu erkennen. Plötzlich wich das dichte Weiß ein wenig zurück, sodass sie die Umrisse alter Grabsteine erkennen konnte. Es schien ein Friedhof zu sein, auf dem sie sich befand. Ganz alleine und verlassen in der Fremde, nur ein kleines Buch lag in ihren Händen.
Lara betastete es vorsichtig mit den Fingerspitzen. Das Buch schien sehr alt zu sein, denn es begann bereits auseinanderzufallen. Die einzelnen Blätter lagen unordentlich und locker darin wie in einer Mappe. Der Einband fühlte sich rau und porös an wie altes Leder. Lara tastete es weiter ab und bemerkte zwei Stoffstreifen, mit denen es zugebunden worden war. Ein fester Knoten hielt die Blätter im Einband fest.
Ein Luftzug streifte sie im Nacken, woraufhin es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief. Vom Fuß aufwärts bis hoch zu ihrem Hals zog sich ihre Haut zusammen; die Gänsehaut verteilte sich über ihren gesamten Körper.
Der Nebel wurde wieder dichter und rückte näher an sie heran. Kalt und nass. Jetzt konnte Lara nicht einmal mehr ihre Füße oder Hände erkennen. Sie wollte weglaufen, doch es war so, als wäre sie zu Eis erstarrt, alles war steif vor Angst. In der Ferne hörte sie das Knacken eines Astes, was sie innerlich zusammenzucken ließ. Die Furcht in ihr wuchs unaufhörlich weiter. Ihre Hände zitterten stark, ihre Zähne begannen zu klappern.
Plötzlich vernahm sie hinter sich das Flügelflattern eines Vogels.
Blitzschnell drehte sie sich um, doch es war nichts zu sehen. Sie wusste gar nicht, dass aus einer völligen Starre eine so schnelle Reaktion folgen konnte. Während ihr Herz schneller schlug, atmete sie doppelt so schnell wie sonst. Der Nebel versuchte, sie regelrecht zu ersticken, er drängte sich immer näher an sie heran und umgab sie vollkommen. Feucht, eisig, erdrückend und unheimlich.
Die Lähmung schnürte ihr die Kehle zu, sodass sie noch stärker nach Luft ringen musste. Eine große Last lag auf ihrer Brust, die mit aller Kraft versuchte, ihr den Atem aus der Lunge zu drücken.
Sie sagte sich im Kopf immer wieder – wie ein Mantra: Hab keine Angst! Hab keine Angst!
Doch je öfter sie die Worte in Gedanken wiederholte, desto größer wurde ihre Furcht. Sie schwoll regelrecht in ihr an.
Lara schloss die Augen und presste vorsichtig ein leises »Hallo?« hervor. Doch ihre Stimme wurde auf der Stelle von der Dunkelheit und dem Nebel verschluckt. Sie bekam, wie sie eigentlich schon erwartet hatte, keine Antwort, spitzte aber dennoch die Ohren.
Lara konnte zwar nichts sehen, doch dafür wollte sie alle anderen Sinne umso stärker nutzen. Nach ein paar Minuten der Stille vernahm sie die Rufe einer Eule, ganz in der Nähe. So unglaublich unbehaglich hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt. Das letzte Mal hatte sie so etwas empfunden, als ihr Vater gestorben war.
Doch nun schlich sich ein weiteres Gefühl hinzu. Zuerst konnte sie es nicht richtig definieren. Sie meinte, sich etwas einzubilden, beziehungsweise jemanden. Atemgeräusche – sie hörte jemanden atmen. Ruhige, gleichmäßige, tiefe Atemzüge. Es konnte aber genauso gut nichts sein, nur pure Einbildung.
Laut hörte sie ihren eigenen Herzschlag im Kopf, der Puls rauschte in ihren Ohren, doch die Atemzüge waren immer noch zu erahnen.
Lara schüttelte den Kopf und hielt für einen Moment die Luft an. Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich etwas hörte oder ob es ein Hirngespinst war. Sie war verwirrt und hatte Angst. Wenn man sich fürchtete, spielten einem die Sinne oft Streiche.
Doch plötzlich wusste Lara ohne Zweifel, was es für ein Gefühl war, das in ihr hochkroch. Es war das Gefühl, beobachtet zu werden.
Nein, es war nicht nur eine Ahnung – jemand beobachtete sie tatsächlich. Es war eine Gewissheit. Etwas lauerte ihr auf, sie war sich ihrer Sache sicher. Man fühlt, wenn sich jemand anschleicht, und man merkt es, ohne denjenigen zu sehen.
Wie oft hat man sich schon umgedreht, bevor jemand etwas gesagt hatte? Weil man ihn gespürt hat, und dann stand er schon direkt hinter einem. Die meisten Menschen spüren es, wenn sie beobachtet werden.
Sie wusste es. Er wartete nur auf den richtigen Moment, um zuzuschlagen. Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie sich ganz genau um. Doch durch die Dunkelheit und den Nebel war nichts zu sehen. Ihr eben noch so plausibles Gefühl kam ihr auf einmal absurd vor, denn wenn sie jemand sah und beobachtete, dann musste sie im Umkehrschluss auch ihn erblicken. Es sei denn, er konnte besser durch den Nebel sehen als sie selbst, oder er witterte sie.
Lara hatte plötzlich den Eindruck, sie würde jemanden wahrnehmen, so wie ein Tier. Ein Geschöpf, was die Gefahr, seinen Feind, witterte und dann so schnell wie möglich die Flucht ergriff. Das wäre aber höchst unwahrscheinlich, oder?
Sie schüttelte erneut den Kopf und versuchte, klare Gedanken zu fassen. Ihre Angst war plötzlich so unfassbar groß, dass sie aus ihrer Schockstarre erwachte und ohne nachzudenken einfach loslief. Ins Nichts, ins Leere, Dunkle und Ungewisse. Sie wollte einfach nur noch weg und rannte, so schnell sie konnte, wollte flüchten, entkommen. Nur fort in die weit entfernte Sicherheit.
Ohne Plan und Ziel hastete sie voran. Irgendwo musste sie doch sicher sein. Sie lief, so schnell sie konnte, so eilig, dass ihr bereits nach kurzer Zeit alles schmerzte, und trotzdem hatte sie das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen, als würde sie auf einem Laufband laufen, ohne dabei Strecke zu machen.
Im selben Augenblick näherte sich ihr Verfolger hingegen stetig. Irgendwas, irgendjemand verfolgte sie, und sie war sich sicher, dass er direkt hinter ihr war.
Immer wieder warf sie einen Blick über ihre Schulter, doch es war nichts zu sehen, außer einer weißen Nebelwand und der Dunkelheit um sie herum. Sie spürte jedoch seine Anwesenheit. Der Atem im Nacken ganz nah, die Hände – oder Klauen – schon fast nach ihr greifend.
Er würde sie bald eingeholt haben. Ihre Lunge brannte, und die Seitenstiche brachten Lara um den Verstand. Sie war kurz davor, einfach aufzugeben. In ihrer Angst und Panik wollte Lara jedoch noch schneller laufen, auch wenn ihr Körper es nicht konnte. Sie zwang sich dazu, um zu überleben. Sie musste sich unbedingt in Sicherheit bringen.
Plötzlich kam sie ins Stolpern und fiel. Jetzt war alles zu spät: Er war da, griff nach ihr und drehte sie um. Rote Augen umgeben von Dunkelheit. Der harte Boden, auf dem sie landete gab plötzlich nach und …