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Lindenberg war eine Kleinstadt im Allgäu, in der noch Ruhe und Frieden herrschte. Jedenfalls mehr Ruhe als in anderen Städten. Zum Bodensee und nach Lindau waren es ein paar Kilometer. Die Allgäuer Alpen und das österreichische Vorarlberg lagen nur einen Katzensprung entfernt. In dieser Idylle wohnte das Ehepaar Müller. Ihr Haus stand am Rand der Stadt, in der Nähe des Waldes.

Der Wald und die Berge waren das reinste Paradies für Wanderer und Radfahrer. Viele Touristen kamen über das Jahr hinweg hierher, um zu entspannen. Die Stadt mit ihren Geschäften und kulturellen Angeboten stand der unberührten Natur gegenüber. Jeder Urlauber, der etwas Abwechslung brauchte, wurde mit Sicherheit nicht enttäuscht.

»Guten Morgen, Schatz«, begrüßte Daniel seine Frau Lara. Sie saß schon seit etwas mehr als zwei Stunden auf der Terrasse hinter dem kleinen Fachwerkhaus. Die Terrasse war mit roten Sandsteinen gepflastert worden und lag halbkreisförmig hinter dem Haus. Ein Holztisch mit vier Stühlen stand auf den roten Steinen, über denen eine cremefarbene Markise als Schattenspender angebracht war.

Lara hatte den Sonnenaufgang auf einem der Stühle sitzend beobachtet und dabei über ihr Leben nachgedacht. Sie fand es irgendwie langweilig. Nicht unbedingt langweilig im klassischen Sinne, dass sie nichts mit sich anzufangen wusste, sondern eher, dass ihr Leben ereignislos war.

Nachdem sie früh aufgewacht war und nicht mehr so recht einschlafen konnte, hatte sie ihren Mann Daniel alleine im Bett zurückgelassen.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte Daniel. Vorsichtig stellte er ein vollbeladenes Tablett vor ihr ab. Sie sah zu ihm auf und lächelte.

Das Ehepaar wirkte glücklich, jedenfalls sollte es glücklich sein bei ihrer Bilderbuchehe. Daniel konnte seine Frau Lara noch das ein oder andere Mal überraschen, und das nach dreizehn Jahren Ehe.

Doch Lara war unzufrieden, und das Schlimmste war, sie wusste nicht einmal genau warum, denn eigentlich gab es keinen Grund dazu.

»Ja, ich habe sehr gut geschlafen, nur zu kurz. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, konnte ich einfach nicht mehr einschlafen. Irgendwie habe ich so ein bedrückendes Gefühl. So, als wäre etwas nicht richtig. Oder als hätte ich etwas vergessen. Etwas Wichtiges.« Sie grübelte nach, dann hellte sich ihr Blick auf. »Vielleicht liegt es auch nur an der Hitze. Zuerst war es ewig kalt und nass, sodass man fast meinen könnte, der Sommer hat uns vergessen, und jetzt ist es so heiß, dass man fast umfällt.« Sie fasste sich in den Nacken und ertastete ihre schweißnasse Haut. »Komisches Wetter dieses Jahr. Wer weiß, wo das noch hinführt«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Mann. »Ist heute irgendetwas Besonderes?«, schob sie nach, als sie das Tablett begutachtete.

»Na ja, so besonders nicht, nur ein kleines Jubiläum«, gab Daniel zurück.

»Scheiße!«, rutschte es Lara heraus.

Daniel musste grinsen.

»Ich habe unseren Hochzeitstag vergessen, unseren dreizehnten. Dabei ist die Dreizehn doch meine Lieblingszahl.« Sie schaute betroffen. »Tut mir leid, Schatz. Du hast Frühstück rausgebracht, wahrscheinlich ein Geschenk in den herrlich angerichteten Sachen versteckt, und ich habe es einfach vergessen. Ich habe leider nichts für dich.« Lara ließ den Kopf hängen.

Daniel setzte sich auf die Armlehne ihres Stuhls und nahm seine Frau in den Arm. »Ist doch nicht schlimm. Anscheinend wusste dein Unterbewusstsein, dass du etwas vergessen hast, und hat dich nicht schlafen lassen«, sagte Daniel und stupste Lara an.

»Hey! Hör auf, mich zu veräppeln! Außerdem weißt du genau, dass ich an so etwas wie Unterbewusstsein oder Seele nicht glaube. Ich glaube nur an Dinge, die ich sehen und anfassen kann!«, gab Lara zurück, schnaubte scherzhaft und schubste Daniel von der Lehne.

Er ließ sich nicht so einfach vertreiben und stahl ihr einen Kuss, bevor er sich zum Gehen erhob. »Dreizehn Jahre ist es jetzt her, seit deine Mutter uns das Haus als Hochzeitsgeschenk aufgezwungen hat. Wie schnell die Zeit vergangen ist. Wahnsinn. Ich erinnere mich noch so gut daran, als wäre es gestern gewesen. Du hast dich mit deiner Mutter angelegt, weil du das Geschenk nicht annehmen wolltest. Die Sturheit hast du eindeutig von ihr geerbt. Doch im Nachhinein war es besser so. Wir hatten kein Geld und waren mit der Miete im Rückstand, ich war am Anfang meines Studiums, und du wolltest Journalistin werden, stattdessen musstest du kellnern. Da war es schon ganz gut so, wie es gekommen ist. Außerdem hättest du sowieso alles bekommen, ihr habt doch keine weitere Verwandtschaft mehr.«

»Jetzt werde nicht gemein, Daniel. Ich fand es einfach ein bisschen übertrieben. Aber du hast schon recht«, pflichtete sie ihm bei, »wir hätten auf der Straße gestanden, wenn wir keine Starthilfe von ihr bekommen hätten. Dafür müssen wir nun ihre täglichen Besuche ertragen. Ich kann es kaum erwarten, den neusten Tratsch und Klatsch aus Lindenberg zu hören.«

»Jetzt wirst du aber gemein, Lara. Ich weiß, dass es dir manchmal zu viel ist, doch sie ist alt, und du bist ihre einzige Verwandte, die noch lebt. Lass uns jetzt besser frühstücken! Magst du Kaffee?«, versuchte Daniel, von dem leidigen Thema – Lara und ihre Mutter – abzulenken. Die beiden liebten sich abgöttisch, doch so sehr sie sich auch liebten, sie konnten ebenso heftig streiten.

»Du, Schatz?«, begann sie nach einer kurzen Pause, ohne auf seine Frage zu antworten.

»Was ist denn?«, antwortete er mit einer Gegenfrage.

»Es tut mir unendlich leid, dass ich unseren Jahrestag vergessen habe.« Sie stand auf und ging zu ihm hinüber. »Wie kann ich das nur je wiedergutmachen?«, hauchte sie in sein Ohr.

»Mir würde da schon etwas einfallen.«

»Ja, was denn?«, fragte sie und räkelte sich lasziv auf seinem Schoß. Er kam ganz nah mit seinem Gesicht an ihres heran und hauchte verführerisch: »Rasen mähen, Baby.«

Lara prustete los, und Daniel stimmte ein, und um obendrein noch einen draufzusetzen, fragte sie: »Nackt?«

»Oh ja, nackt!«

»Du bist doof, was werden die Nachbarn sagen?«, gackerte sie.

»Die werden sich freuen bei so einer hübschen Frau.«

»Jetzt übertreibst du aber.« Sie drückte ihm einen Kuss auf den Mund, bevor sie sich wieder auf ihren eigenen Stuhl setzte.

»Wird aber auch Zeit, das Essen wird schon kalt«, neckte er sie. »Kaffee?«

»Ja, gern, und es tut mir wirklich unendlich leid. Ich werde es wiedergutmachen.«

»Später.« Er lächelte.

Beide begannen, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, auf der Terrasse hinter dem Haus mit ihrem gemeinsamen Frühstück. Der Morgen war angenehm warm, die Vögel zwitscherten, und ein Geruch von Heu lag in der Luft. Eigentlich war ihr Leben perfekt. Daniel führte mittlerweile seine eigene Kanzlei, und Lara hatte endlich die lang ersehnte Festanstellung bei einer regionalen Zeitung bekommen. Was könnte es Besseres geben, als ein sorgenfreies Leben?

»Schmeckt dir das Rührei nicht?«, fragte Daniel, als er Lara dabei beobachtete, wie sie darin herumstocherte.

»Doch, doch. Es schmeckt mir gut. Ich bin nur irgendwie in Gedanken und habe keinen Appetit.«

»Komm schon, du kannst mir doch alles sagen! Was ist los?«, hakte er nach.

»Nichts«, kam die typische Frauenantwort.

»Willst du, dass ich sauer werde?«

»Okay, ist ja gut, ich sag es ja schon. Es ist nur, findest du nicht manchmal auch, dass alles momentan einfach zu perfekt läuft? Irgendwie langweilig?« Sie stockte kurz und verbesserte sich selbst. »Nein, langweilig ist nicht das richtige Wort. Was ich meine ist mehr – ereignislos.«

»Hm, ehrlich gesagt finde ich es super, wenn es weiter so gut läuft, dann kann ich mir bald meine Mandanten aussuchen und muss nicht mehr des Geldes wegen Arschlöcher und Verbrecher verteidigen. Du weißt, ich habe mir immer geschworen, wenn das Geld stimmt, nur noch die wirklichen Opfer vor Gericht zu vertreten. Dann habe ich nicht mehr das Problem mit meinem Gewissen, was sich ab und an meldet und mich vom Schlafen abhält. Kannst du dir vorstellen, wie deprimierend es ist, dass du weißt, böse Menschen, wirkliche Arschlöcher, bekommen eine mildere Strafe wegen dir? Weil ich meinen Job gut mache?«

Lara hatte ihren Blick abgewendet und schaute apathisch auf den Teller.

»Außerdem läuft doch nicht alles perfekt, Schatz«, setzte er erneut an: »Wir versuchen doch schon seit Jahren, Kinder zu bekommen, und das hat bis jetzt noch nicht geklappt.«

Wegen der Nachwuchsplanung hatten sie den Garten schon kindersicher gemacht. Um den kleinen Teich, na ja, man hätte besser Pfütze sagen können, war ein Zaun gezogen worden. So ein hässlicher, grüner Maschendrahtzaun, doch er erfüllte seinen Zweck.

Zudem wurde das Grundstück fein säuberlich mit einem dunkelbraunen Holzzaun zu dem des Nachbarn abgetrennt. Damit der Nachwuchs nicht über das Nachbargrundstück türmen könnte. Maria, Laras Mutter, regte sich regelmäßig über die übertriebene Vorsicht auf und sagte immer: Ein Kind sollte man nicht einsperren. Außerdem wären die Vorbereitungen ohnehin zu früh, solange sie noch keinen Braten in der Röhre hätten.

Alles in allem war der Garten ein kleines Paradies. Daniel pflegte ihn liebevoll. Lara hingegen schaffte es sogar, einen Kaktus eingehen zu lassen. Sie hatte einfach kein Händchen für Pflanzen. Er wiederum kümmerte sich fürsorglich um alles, und ganz gleich, was er auch anfasste, es gedieh prachtvoll. Lara hatte zwar keinen grünen Daumen, dafür konnte sie wunderbar kochen und schreiben. Irgendwann hat sie vor, einen Roman zu schreiben, doch das hatte noch Zeit, erst einmal stand die Karriere als Journalistin und die Familienplanung im Vordergrund.

Daniel liebte die Arbeit im Garten, und es war für ihn ein willkommener Ausgleich zu seinem Bürojob. Mit seinen Händen etwas zu erschaffen, war etwas ganz anderes, als im Büro zu sitzen – Akten wälzend, diktierend, alles Mögliche unterschreibend oder den ewigen Problemen seiner Mandanten zuhörend.

Es war eine undankbare Arbeit. Die Leute kamen nur zu ihm, wenn sie Schwierigkeiten hatten. Viele von ihnen wütend und aufgebracht. Doch wenn sie fröhlich sind und alles in bester Ordnung war, kamen sie natürlich nicht in die Kanzlei. Zu einem Anwalt geht man immer nur mit unangenehmen Angelegenheiten oder, besser gesagt, mit Problemen.

Jurist, das ist ein Job, in dem man nur schleppend das Ergebnis seiner Arbeit sieht, doch hier im Garten war es etwas völlig anderes. Man sah den Erfolg sofort. Ein gemähter Rasen, ein kindersicherer Teich oder neu gepflanzte Sträucher. Dort war es herrlich!

Die Müllers wohnten nicht weit vom Wald entfernt. Nur fünf Minuten die Straße hinauf – und schon konnte man in der Natur joggen.

Lara goss frischen Kaffee nach und lehnte sich im Stuhl zurück. Sie genoss den Geschmack und das Aroma. Beim Nippen an der Tasse fielen ihre langen Haare wie ein Vorhang vors Gesicht. Als Daniel aufgegessen hatte, begann er, alles wieder auf das Tablett zu räumen.

»Sei doch nicht so ungemütlich«, sagte Lara, und Daniel lächelte.

»Es ist Samstag, und die Arbeit im Garten macht sich nicht von alleine, Lara. Das Gras ist so hoch, dass wir bald einen Traktor brauchen, wenn ich es heute nicht mähe.«

»Wollen wir nicht vorher ein bisschen kuscheln? Dem Gras ist es doch egal, ob es jetzt oder in einer Stunde gemäht wird.«

Er musste über ihren bettelnden Hundeblick und das schelmische Grinsen lachen. »Nein, Schatz. Erst die Arbeit und dann das Vergnügen! Außerdem hätte ich sonst danach keine Lust mehr, mich um den Garten zu kümmern.«

»Ist ja gut. Mäh deinen Rasen! Ich wollte dich nicht von der Arbeit abhalten.« Sie lächelte ihn an. »Vielen Dank für das Frühstück, Schatz! Bevor du gehst, musst du mir noch einen Kuss geben. Und lass das Tablet bitte stehen! Wenn ich unseren Jahrestag schon vergesse, dann räume ich wenigstens den Tisch ab.«

Er gab ihr den geforderten Kuss und brachte das Tablett, entgegen ihrer Aufforderung, in die Küche. Nur die Kaffeekanne und ein kleines Päckchen ließ er draußen stehen. Frisch gestärkt konnte er nun mit der Gartenarbeit beginnen.

Es war ein kleines, rotes Päckchen mit einer ebenso roten Schleife oben drauf. Sie begutachtete das Geschenk einen Moment lang mit verstohlenem Blick und Scham und entschied schlussendlich doch, dass ihre Neugier zu groß war – sie musste die Schachtel einfach öffnen. Schnell zog sie die Schleife ab, um dann ganz langsam die kleine Schatulle aufzuklappen. Zum Vorschein kamen zwei glitzernde Ohrringe. Eindeutig Gold, doch ob es Zirkons oder Diamanten waren, wusste sie nicht, jedenfalls sahen sie in der Morgensonne eindrucksvoll aus.

Daniel wuselte bereits im Garten herum, als sie die Schatulle wieder zuklappte und zurück auf den Tisch stellte. Lara nahm einen großen Schluck Kaffee, lehnte ihren Kopf zurück, spürte die Sonne auf ihrer Haut und atmete tief durch. Es war fast ein Seufzen. Sie schloss ihre Augen und nahm die Umgebung nur noch mit den verbliebenen Sinnen wahr: der warme Wind und die Sonne auf der Haut. Die Vogelstimmen und der Rasenmäher, den Daniel vergeblich zu starten versuchte, der Geruch von Gras und Moos, und ab und zu hörte man ein Auto, das vor dem Haus vorbeifuhr.

Es war so friedlich, dass Laras innere Anspannung, die sie seit dem Aufstehen begleitet hatte, langsam von ihr abfiel. Es war, als würden die Spannungen durch ihren Körper hindurch in den Boden unter ihren Füßen abgeleitet. Sie flossen hinaus und nahmen alles Schlechte mit. Selbst als Daniel den Rasenmäher endlich anbekam, blieb Laras Gelassenheit trotz des Krachs. Der Geruch des frisch gemähten Grases gefiel ihr, auf sie wirkte er zutiefst beruhigend.

»Huhu, Schätzchen!«, hörte Lara auf einmal eine Stimme zwischen den ganzen Geräuschen hindurch rufen. Nun war es vorbei mit der Ruhe. Sie hob den Kopf und öffnete die Augen. Zuerst sah Lara verschwommen, doch dann wurde ihr Blick klarer.

»Hallo, Lara, mein Schatz!«, brüllte eine Frau gegen die Lautstärke des Rasenmähers an.

Maria, Laras Mutter, stand am Gartenzaun und winkte.

Lara rollte mit den Augen und stand lustlos auf. Ihre Mutter war schon in Rente, hatte viel Zeit und war immer gut gekleidet. Sie war jederzeit bestens über den neuesten Tratsch und Klatsch informiert. Nicht nur in der Promiwelt, sondern auch genauestens über die Nachbarschaft.

Diese Frau macht mich noch wahnsinnig mit ihren täglichen Routinebesuchen, dachte Lara auf dem Weg zum Gartentor.

Sie liebte ihre Mutter, doch jeden Tag vorbeizukommen, war einfach zu viel.

Das Tor war von innen verriegelt. Doch kurz bevor Lara dort ankam, sah sie, dass es nicht mehr nötig war, ihre Mutter hereinzulassen. Maria hatte kurzerhand selbst über den Zaun gegriffen und den Riegel zur Seite geschoben.

Lara blieb stehen und wartete, bis ihre Mutter bei ihr war. Sie umarmte sie kurz, und beide schlenderten zurück zur Terrasse, wo sich Lara wieder auf ihren Stuhl plumpsen ließ.

»Hallo, Daniel!«, schrie Maria und lächelte ihm wie ein kleines Schulmädchen zu. Ein Schulmädchen Ende sechzig.

Lara griff sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.

Daniel stellte den Rasenmäher ab und antwortet ihr: »Guten Tag, Frau Müller, wie geht es Ihnen?«

»Daniel, wie oft muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht siezen musst? Ich habe einen Vornamen. Ist es für dich so schwer, einfach Maria zu sagen?«

»Nein Frau … äh, Maria.«

»Siehst du, geht doch. Ich hoffe, das war das letzte Mal, dass ich dich darauf hinweisen musste. Nach vierzehn Jahren wird das etwas mühsam.« Maria ließ sich auf einen der Holzstühle neben Lara nieder, und auch Daniel ging in Richtung Terrasse zu der kleinen Gesprächsrunde.

»Und, mein Schatz …?«

Maria brauchte den Satz gar nicht zu vollenden, da ihr Lara ins Wort fiel: »Nein, Mama, ich bin noch nicht schwanger, und wenn du es jeden Tag seit ungefähr fünf Jahren fragst, werde ich es auch nicht schneller. Das Einzige, das du damit bewirkst, ist, dass ich genervt bin. Aber keine Angst, wenn es so weit ist, dann erfährst du es nach Daniel als Erste. Versprochen, Mama.«

Maria nickte zufrieden und dachte nach, wie sie das Gespräch und die so schnell gekippte Stimmung noch retten könnte. Doch es fiel ihr kein anderes Thema ein, über das sie mit ihrer Tochter sprechen konnte.

So führte es zu dieser peinlichen Stille, die keiner gerne in einem Gespräch haben möchte. Da kam es ihr gerade recht, dass sich Daniel neben sie setzte.

»Na, wie geht es dir, mein Lieblingsschwiegersohn?«, versuchte sie abzulenken.

»Gut, ich kann nicht klagen.« Er runzelte die Stirn. »Lieblingsschwiegersohn? Ich bin doch dein einziger Schwiegersohn, dachte ich jedenfalls. Wie geht es Ihnen? Ich meine dir?«, fragte er und musste lachen.

Der Besuch dauerte etwa zwei Stunden. Doch die Stimmung blieb nach wie vor gezwungen. Den Großteil der Zeit redete Maria, zum Beispiel über die Nachbarn. Sie regte sich über den einen oder anderen auf und berichtete ihnen, was sie alles Neues aus ihren Weiberheften wusste.

Lara frage sich immer wieder, wer überhaupt solche Hefte las, doch ihre Mutter war ja wohl eine davon.

Laras Laune hatte mittlerweile ihren Nullpunkt erreicht. Es war allerdings nicht das Einzige, das immer schlechter wurde. Aus dem angenehmen Sommertag war ein schwüler, beklemmender Nachmittag geworden. Die Spannung, die durch das Wetter in der Luft lag, ließ nichts Gutes vorahnen.

Plötzlich setzte ein ungewöhnlich starker Wind ein. Keine angenehme Brise, sondern schwüle, feuchte Böen. Der Himmel verdunkelte sich immer mehr, und man sah in der Ferne große Wolkenberge heranziehen. Die Atmosphäre war wie elektrisiert. Man meinte, von den Wolken her ein langsames, tiefes Grollen zu hören. Der Wind nahm nochmals an Stärke zu, was das nahende Gewitter ankündigte.

Die Wolken waren zu gigantischer Größe herangewachsen. Ihre Basis wurde tiefschwarz. Die Gewitterzelle rückte immer näher, und selbst Maria, die sonst nichts erschüttern konnte, wurde unruhig.

»Ich glaube, ich sollte lieber nach Hause gehen. Sonst werde ich nachher noch pitschnass oder vom Blitz getroffen«, sagte sie mit einem kritischen Blick zum Himmel.

»Ja. War schön, dass du da warst«, antwortete Lara. Sie stand auf, umarmte ihre Mutter und ging ins Haus, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Maria ließ sich nicht davon irritieren, sie kannte ihre trotzige Tochter, und Daniel verabschiedete sich höflicher.

Lara war erleichtert, dass ihre Mutter vor dem Gewitter gegangen war, denn das letzte Mal hatte sie es nicht mehr vor dem Regen geschafft und war über Nacht bei ihnen geblieben.

Lara liebte ihre Mutter, das war keine Frage, doch in letzter Zeit war sie sehr anstrengend geworden. Zudem hatte Maria neuerdings die Marotte, alles doppelt und dreifach zu erzählen. Doch sie wollte ihre Mutter aus Höflichkeit nicht korrigieren, und deshalb hörte sie sich manchmal auch ein viertes Mal ein und dieselbe Geschichte an.

In der Ferne begann es bereits, immer lauter zu donnern. Man vernahm die rollenden Walzen klar und deutlich. Wie aus dem Nichts brach auf einmal das Chaos los, dicke Regentropfen fielen vom Himmel, und zwischen ihnen das ein oder andere Hagelkorn.

Lara und Daniel brachten schnell alles vor dem Unwetter in Sicherheit. Die Stuhlauflagen mussten ins Haus geräumt, das Sonnensegel eingeholt und die Gartengeräte eingesammelt und in dem kleinen Holzschuppen verstaut werden.

Kaum waren sie fertig, durchnässt aber sicher im Haus, frischte der Wind draußen ein weiteres Mal auf und peitschte gegen alles, was ihm in den Weg kam. Heftige Orkanböen kündigten an, dass dies erst der Anfang sein sollte und sie sich auf ein langes Unwetter einstellen mussten.

Draußen war es mittlerweile so dunkel, als wäre es mitten in der Nacht.

Beide gingen geschafft in die Küche, und Lara befüllte den Wasserkocher mit Wasser. Daniel sank nass und verschwitzt auf der Eckbank nieder und beobachtete seine Frau dabei.

»Diese Frau. Ich meine Maria, meine Mutter«, begann Lara, »sie macht mich noch ganz wahnsinnig mit ihrer Neugier und übertriebenen Fragerei. Außerdem erzählt sie alles doppelt und dreifach. Nervt dich das nicht auch?«, fragte sie, schnaubte und sah Daniel erwartungsvoll an.

Er blickte nachdenklich geradeaus und gab keine Antwort.

Sie fixierte ihn weiter. Dabei bemerkte Lara gar nicht, wie das Wasser überquoll und den Wasserkocher hinab rann, um im Ausguss des Spülbeckens zu verschwinden.

Daniel räusperte sich und zeigte in Richtung Spülbecken.

Sie verstand nicht, was er von ihr wollte, obwohl der Ausguss bereits verdächtig zu gluckern und schlürfen begann.

»Schatz? Ich glaube das Wasser reicht für eine Kanne Tee«, sagte er vorsichtig und lächelte. Er wusste genau, wie geladen seine Frau innerlich noch war, nur weil sie alles immer in sich hineinfraß, um ihre Mutter nicht zu beleidigen. Doch wenn sie sich entladen würde, dann wollte er nicht dabei sein.

Normalerweise war es sehr schwer, Lara auf die Palme zu bringen, doch wenn man es geschafft hatte, dann war der Ausbruch heftig, wie das draußen wütende Gewitter. Er musste sie irgendwie ablenken, denn wenn ihre Grenze überschritten war, konnte man nur noch die Flucht ergreifen. Wenigstens war sie nicht gewalttätig oder nachtragend. Nicht nachtragend zu sein, das hielt er ihr zugute, genauso wie das Attribut, immer für andere da zu sein, wenn man sie brauchte.

»Oh ja«, seufzte Lara, lächelte und ließ die Schultern sinken. Den Wasserkocher hatte sie für einen kurzen Moment total vergessen. Mit der einen Hand schlug sie sich gegen die Stirn und schüttelte den Kopf, während sie mit der anderen den Hahn abdrehte. Schnell schüttete sie einen großen Schluck Wasser ab und stellte es zum Kochen auf. Danach drehte sie sich um, verschränkte die Arme und starrte Daniel an. Dabei sah sie leicht verwirrt aus. »Also, wo war ich, Schatz?«, fragte Lara geistesabwesend und dachte kurz nach. Als sie sich gesammelt hatte, sprach sie weiter. »Genau, meine Mutter. Was meinst du denn zu dem Ganzen? Das ist doch nicht normal, oder? Als wir hierhergezogen waren, habe ich mich richtig gefreut. Auch die ersten Jahre waren echt klasse. Doch seitdem wir ein Kind wollen, wünschte ich, meine Mutter würde weit weg von uns wohnen. Oder wir hätten es ihr erst gar nicht sagen sollen. Jeden Tag vorbeizukommen, das ist einfach zu viel. Findest du das nicht auch?«

»Nun ja, sie ist nun mal deine Mutter, und Mütter …« Daniel überlegte, wie er seine Worte wählen sollte, um möglichst neutral zu klingen.

»Was?«, bohrte Lara mit einem grimmigen Lächeln nach, als einige Sekunden lang keine Antwort kam.

»Also …«, begann Daniel erneut. Er wollte sich auf keine Seite der Front stellen, um keinen Streit zu provozieren. Seine Frau wurde ungeduldig. Er musste so schnell wie möglich Pro und Kontra abwägen und eine zufriedenstellende Antwort zusammenschustern. »Ich kann dich verstehen, dass du von deiner Mutter genervt bist. Es ist auch nicht die feine Art von ihr, jeden Tag hier ungefragt aufzukreuzen und dich auszufragen. Doch du musst dich auch einmal in ihre Lage …« Er stockte und horchte, spitzte die Ohren und richtete sich auf.

Lara musste anfangen zu lachen, weil er sie an ein Wache haltendes Erdmännchen erinnerte.

Das Pfeifen des Windes und das Plätschern des Regens waren nun nicht mehr die einzigen Laute draußen. Heftiges Prasseln von dicken Hagelkörnern hatte eingesetzt. Die Sonne war komplett verschwunden. Draußen war es auf einmal richtig schwarz geworden. Es herrschte Weltuntergangsstimmung. Dort braute sich etwas Gewaltiges zusammen. Selbst im Haus war die Luft wie elektrisiert. Erneut drang ein lautes Grollen zu ihren Ohren vor.

So etwas hatte Lara seit den dreizehn Jahren, in denen sie in Lindenberg wohnten, nicht erlebt. Daniel schloss das gekippte Küchenfenster hinter sich, denn er und alles in seinem Umkreis wurden nass gespritzt und mit Hagel verziert.

»Oh mein Gott!«, stieß Lara auf einmal panisch aus. Ihre Augen weiteten sich.

»Danke. Du kannst mich aber ruhig Daniel nennen, alternativ auch Schatz. Ein Fenster zu schließen, ist kein Hexenwerk«, gab er zurück, grinste schelmisch und verschränkte mit stolzem Blick die Arme vor der Brust.

»Nein, du …«, antwortete Lara, dachte sich Idiot dazu und rollte mit den Augen. Stattdessen streckte sie ihm wie ein kleines Kind die Zunge heraus und musste grinsen. »Weil es so erdrückend heiß war, habe ich im ganzen Haus die Fenster voll aufgerissen. Heute Mittag, als meine Mutter da war und ich zur Toilette musste.«

»Ach so. Ich habe mir schon gedacht, du hättest so lange gebraucht, weil du mal richtig …«

»Halt die Klappe! Wir haben jetzt Besseres zu tun. Auf, los jetzt, sonst haben wir gleich ein Schwimmbad im Haus!«

»Wer die Fenster aufgemacht hat, macht sie auch wieder zu, würde ich sagen«, gab er als Antwort zurück.

»Schatz. Willst du, dass ich sauer werde?«

»War ja nur ein Witz.«

Es setzte eine wilde Hetzerei quer durch das ganze Haus ein. Doch Daniel war froh, dass er dem Thema Lara und ihre Mutter noch einmal entkommen war. Er wusste zwar nicht, für wie lange, doch heute hatte er sicherlich seine Ruhe.

Hin und wieder liefen sie sich gehetzt über den Weg und riefen sich im Vorbeigehen zu, wo sie schon die Fenster geschlossen hatten, um keines zu vergessen und nicht vor jedem Fenster zweimal zu stehen. Als alle geschlossen waren, trafen sich beide total abgehetzt in der Küche wieder.

»Und, ist alles trocken geblieben?«, fragte Daniel neugierig.

»Ja, bis auf ein Fenster. Wir waren ja noch halbwegs zeitig mit dem Schließen. Nur oben im kleinen Arbeitszimmer ist der Teppich nass. Der Computer ist allerdings trocken geblieben. Blöde Dachluke! Und bei dir?«

»Alles halbwegs trocken. Nur ich bin jetzt nass … geschwitzt. Was sollen wir jetzt machen?«, fragte er.

»Ich weiß nicht. Du könntest vielleicht ein bisschen lesen und ich ein wenig arbeiten. Wir setzen uns einfach ins Wohnzimmer oder ins Bett. Ich mit meinem Laptop und du mit deinem E-Book-Ding«, antwortete sie.

»Oder was hältst du davon, wenn wir was spielen? Lass die Arbeit einfach liegen, es ist doch Wochenende. Schach oder irgendein anderes Brettspiel, Lara, Schatz. Oh, oder Monopoly, Hasilein. Es ist schon echt lange her, dass wir zusammen etwas gespielt haben.«

»Nenn mich nicht so! Das hört sich total doof an!« Ihre Miene wechselte binnen Momenten von heiter zu düster. »Wie wäre es mit Karten? Rommé oder Canasta haben wir lange nicht mehr gespielt.«

»Oder ein anderes Spiel unter einer Decke ohne Kleidung? Wie wäre das?«, fragte er freudig.

Sie schaute ihn ernst an, sodass ihr Blick ausreichte, ihm mitzuteilen: Das war keine gute Idee.

»Ja, schon gut, habe verstanden. Ich hole …«

Er wurde von einem ohrenbetäubenden Donner unterbrochen. Das Licht flackerte zuerst wie wild, wurde dann zwischendurch eigenartigerweise heller und fiel schlussendlich ganz aus.

»Ich glaube, das mit dem Arbeiten oder Spielen hat sich gerade erledigt«, kicherte Lara.

Daniel umarmte sie.

»Hm, vielleicht können wir ja doch hochgehen und ein bisschen im Bett miteinander spielen?«, fragte sie.

Beide küssten sich innig.

Verrückt, wie sich die Meinung der Frauen sekündlich ändern kann, dachte Daniel, bevor er seinen Kopf ausschaltete.

Wie ein wild gewordenes Tier nahm er sie über die Schulter und schleppte sie hoch ins Schlafzimmer. Dort warf er sie aufs Bett.

Der Seelenhandel

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