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ОглавлениеJill, eine andere Jugendliche der Clique, stand bei ihrer Mutter im Flur und wollte sich gerade die Schuhe anziehen. Es sollte zur Bushaltestelle gehen. Sie war mit ihren Freunden verabredet. Jill war fünfzehn Jahre alt, dennoch war ihre Mutter mit allem übervorsichtig. Sie behandelte ihre Tochter, als wäre sie ein fünfjähriges Kleinkind. Jill durfte kaum etwas alleine unternehmen, da sich ihre Mutter immer zu viele Sorgen machte. Am liebsten hätte sie ihre Tochter in Watte gepackt und in eine Vitrine gestellt. Jill hingegen wäre gern von zu Hause ausgerissen und nie mehr wiedergekommen.
Wegen ihrer Mutter wollte sie sich auch an diesem Nachmittag wegschleichen. Sollte sie ruhig glauben, dass sie oben in ihrem Zimmer saß und etwas lernte oder so.
Doch da hatte sie die guten Ohren ihrer Mutter unterschätzt. »Wo willst du hin?«, drang die Stimme ihrer Mutter herrisch durch den Flur, als sie das Klimpern eines Schlüssels hörte.
»Verdammt! Wieder erwischt«, fluchte Jill leise und ballte die Faust, in der sie den Schlüssel hielt.
Kaum hatte sie es ausgesprochen, huschte ihre Mutter schon aus der Küche heraus und baute sich vor ihr auf: eine große, schlanke Frau mit knochigem Gesicht und dünnen, schulterlangen Haaren. Die helle Haut und die blonden Locken ließen sie fast wie einen Geist aussehen. Ihr Gesicht war zu einer strengen Maske eingefroren.
Jill blickte sie gleichgültig an, da sie es mittlerweile gewöhnt war.
»Fräulein. Es ist sieben Uhr. Willst du mir nicht sagen, wo du so spät noch hinwillst?«
»So spät? Ich wollte mich nur kurz mit Ben, Caroline, Leslie und so am Bushäuschen treffen«, antwortete Jill kleinlaut. Sie stand mit hängenden Schultern im Flur.
»Dieser Ben. Diese Clique. Ich weiß nicht, was du bei solchen asozialen Leuten verloren hast. So ungezogene, kleine Drecksblagen! Eigentlich dachte ich immer, ich hätte dich zu einem anständigen Mädchen erzogen. Leider muss ich immer wieder feststellen, dass ich mich da ziemlich in dir getäuscht habe. Solche Leute sind daran schuld, dass du so geworden bist.«
Jill senkte ihren Blick. »Bitte, Mama, nur bis zehn Uhr? Danach gehe ich auch sofort ins Bett, und morgen helfe ich dir beim Putzen und Abwaschen. In Ordnung? Bitte! Außerdem kann keiner Ben leiden, und die anderen sind wirklich in Ordnung. Mit Ben habe ich also gar nichts zu tun.«
»Nein! Du bleibst mit deinem Hintern gefälligst hier. Wolltest du nicht noch was für die Schule lernen?«
»Mama, bitte! Bis zehn Uhr sind drei Stunden. Ich tue auch alles, was du willst. Außerdem sind doch noch Sommerferien. Ich habe nichts mehr zu lernen. Im letzten Zeugnis hatte ich nur in Französisch eine Zwei, alle anderen Fächer waren sehr gut. Doch in Französisch lag es nur an der Lehrerin!«
»Ja, ja. Immer sind die Lehrer schuld.« Die Miene ihrer Mutter verfinsterte sich, während sie grübelte. Immer wenn Jills Mutter nachdachte, sah sie wie versteinert aus. Fast wie eine Statue.
Nach etwa einer für Jill unendlich langen Minute klarte ihr Blick wieder auf, die Dunkelheit war fast aus ihrem Gesicht gewichen.
»In Ordnung. Du darfst bis acht Uhr raus und keine Sekunde länger. Wenn du bis acht nicht da bist, dann komme ich dich holen, und du bekommst Hausarrest bis an dein Lebensende.«
»Nur bis acht? Die anderen werden mich auslachen. Bitte, Mama!«
»Ich habe nein gesagt. Bis acht, und wenn du jetzt noch einmal fragst, bleibst du zu Hause, Madame!«
»Ist gut.« Sie wollte gerade zur Tür hinaus, als die gebieterische Stimme ihrer Mutter erneut erklang. »Hast du nicht etwas vergessen?«
Jill rollte mit den Augen, bevor sie sich zu ihrer Mutter umdrehte. »Ich habe dich lieb, Mama. Bis später. Ich werde pünktlich sein«, ratterte sie monoton, ging zu ihrer Mutter und gab ihr widerwillig einen Kuss auf die Wange.
»Viel Spaß, meine Kleine!«, rief ihr ihre Mutter hinterher, als die Tür ins Schloss fiel.
»Viel Spaß, na klar. Du bist mir komisch«, murmelte sie.
Was keiner zu diesem Zeitpunkt wusste, war, dass Jills Mutter mit dieser übertriebenen Strenge und Vorsicht ihrer Tochter vielleicht das Leben retten würde.