Читать книгу Der Seelenhandel - Anna Katharina Bodenbach - Страница 16

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Von Weitem konnte man jetzt schon die Überreste der Mühle sehen. Als Lara näherkam, sah sie, dass die Polizei schon vor Ort war. Ein Absperrband war um die Mühle gezogen worden. Es standen ein Polizeiauto, ein Krankenwagen, ein schwarzer Kastenwagen der Polizei und ein dunkler Kombi auf dem Plateau. Sonst schien noch niemand von einer Zeitung oder vom Fernsehen da zu sein.

Hoffentlich haben die anderen eine weite Anreise hierher, dachte Lara schadenfroh. Oder waren sie am Ende schon wieder gegangen? Das hoffte sie jedoch nicht. Vielleicht hatte sie Glück, die Einzige zu sein, da sie direkt hier wohnte.

Lara wurde immer aufgeregter, wie ein Kind, welches vor einem Geschenk saß und es nicht auspacken durfte. Ein paar Meter vor der Absperrung kam sie zum Stehen. Schnell griff sie in ihre Tasche, holte die Digitalkamera heraus und hing sich diese um den Hals. Erneut griff sie hinein, um ihren Notizbloch und einen Kugelschreiber zu zücken. Von dem Punkt, an dem sie stand, war noch nichts von dem Geschehen zu erkennen. Es waren noch etwa hundert Meter bis zu der Ruine. Die Polizei hatte wirklich großzügig abgesperrt. Das bedeutete für Lara die Titelseite! Sie witterte regelrecht eine riesige Story.

Verstohlen schaute sich Lara um. Als sie sicher war, dass keiner schaute, hob sie kurzerhand das Absperrband an und huschte darunter hindurch. Sie ließ sich doch nicht so kurz vor ihrem Ziel von einem Absperrband aufhalten. In einem schnellen Marschtempo ging sie zielstrebig auf die Mühle zu. Bevor sie jemand sehen würde, wollte Lara wieder verschwunden sein. Das war ihr Plan.

Die Polizisten waren bestimmt in der Mühle oder im angrenzenden Wald verschwunden. Draußen war jedenfalls keiner von ihnen zu sehen. Sie hatten noch nicht einmal einen Wachposten zurückgelassen. Das war Laras Glückstag. Wahrscheinlich würde man sie nicht entdecken, und schon hätte sie mit wenig Aufwand ihre erste Titelseite ergattert.

Was sie allerdings am Fuße der Mühle erblickte, ließ ihr den Atem stocken und das Blut regelrecht gefrieren. Sie wollte eine Titelstory, doch nicht um diesen Preis. Dort lagen zwei Kinderleichen. Lara hatte noch nie zuvor eine Leiche gesehen und schon gar nicht zwei entstellte Kinder. Ihre Körper waren eingefallen und ausgeweidet. Lara wurde übel, gleich musste sie mit den Tränen kämpfen. Es war schwer, sie zurückzuhalten. Es fühlte sich an, als würde ihr jemand die Luft abschnüren. Ihr Magen krampfte sich zusammen.

Hier lagen nun zwei der drei Kinder, die in Lindenberg vermisst wurden. Kinder aus ihrer Nachbarschaft. Lara hatte mit ihnen schon das ein oder andere Mal gesprochen.

Es half alles nichts. Sie musste sich zusammenreißen, denn sie wollte auf gar keinen Fall auf ihre Story verzichten. Lara war nicht hier als fühlender Mensch, sondern als knallharte Journalistin, die keine Skrupel oder Gefühle haben durfte. Hier war kein Platz für solche Dinge, doch sie wusste, dass sie sich spätestens heute Abend in den Schlaf weinen müsste, wenn sie bei den Bildern in ihrem Kopf überhaupt einschlafen könnte. Mit Sicherheit würden sie Albträume quälen, wenn sie es schaffte zu schlafen.

Lara konnte nicht besonders gut das Alter von Menschen schätzen, doch sie zückte den Notizblock und schrieb schnell die Namen der beiden auf und notierte: Alter 15 - 17. Später würde sie die Eltern anrufen, und nachdem sie ihnen ihr Beileid kundgetan hatte, nach dem exakten Alter für ihren Bericht fragen.

Die Kinder lagen nebeneinander, ihre Hände in einem festen Griff vereint, als wollten sie sich nie wieder loslassen. Die Angst war ihnen ins Gesicht geschrieben. Die Augen beider waren weit aufgerissen, der Mund stand offen, als würden sie aus vollem Leibe schreien. Die beiden sahen ganz bleich aus, als wäre kein Blut mehr in ihren Adern. Sie waren fast nackt. Ihre Kleidung war zerfetzt worden. Es sah so aus, als hätte ihnen das irgendjemand oder etwas mit scharfen Krallen angetan. Ein Mensch mit speziellen Waffen oder Foltergerätschaften. Oder ein Ungeheuer, ein Monster, geschaffen, um zu töten. Doch dies wäre in Laras Augen eher unwahrscheinlich.

Lara sah schon verschiedene Schlagzeilen vor ihrem geistigen Auge aufleuchten: Killer von Lindenberg, Kinder gefoltert, Kinder abgeschlachtet, Monster auf freiem Fuß …

Die Journalistin in ihr machte Luftsprünge, doch der fühlende Mensch in ihr konnte es nicht fassen, dass man so etwas auf eine Titelseite drucken konnte. Vor allem war es nicht nachzuvollziehen. Wie konnte man nur wehrlose Kinder abschlachten?

Eine große Blutlache hatte sich um die Leichen gebildet, während die Innereien überall verstreut lagen, so als hätte sie jemand wie Konfetti herumgeworfen und verteilt. Die ersten Fliegen schwirrten in der Hitze über ihnen herum und ließen sich immer wieder auf die Leichenstücke nieder.

Das Mädchen hatte drei tiefe Kratzer parallel zueinander. Sie zogen sich von der Schläfe bis zu ihrem Kinn. Am Körper sah man überall weitere Kratzer und Schnittspuren. Es sah aus, als hätte sie jemand vor ihrem Tod mit einem Messer gefoltert.

Lara schaute auf und blickte hoch zur Mühlenwand. Dort hatte sich jemand mit ihrem Blut verewigt.

Wir sind gekommen und werden dich finden.

Dies wird nicht unser letztes Opfer sein.

Das ist erst der Anfang!

Lara meinte beim Lesen, die böse, dunkle Stimme des Mannes zu hören, der dies hier zu verantworten hatte. Ihr war so, als höre sie sein gehässiges Lachen im Kopf schallen. Ein krankes Lachen, welches bei ihr eine Gänsehaut auslöste. Nur ein Irrer wäre zu so einer grausamen Tat fähig.

Unter der Schrift war ein Zeichen zu sehen, welches Lara nicht kannte. Noch nie zuvor hatte sie etwas in dieser Art und Weise gesehen. Es waren zwei Kreise. Ein kleiner, der von einem größeren umgeben wurde. Zwischen den zwei Kreisen waren seltsame Zeichen, welche sie nicht zuordnen konnte. Sie sahen keiner Schrift ähnlich, die sie kannte.

Lara hob ihre Kamera und richtete diese zuerst auf die beiden Kinderleichen. Kurz darauf ließ sie die Kamera wieder sinken, sie konnte es einfach nicht. Warum auch immer. Lara schaffte es nicht, die beiden zu fotografieren. Sie lagen so unglaublich hilflos da. Auch Tote haben ihre Würde – in ihrem Kopf brach ein Konflikt aus. Gewissen oder Titelseite?

Lara hatte in ihrem Leben noch nie Leichen fotografieren müssen und wollte es dabei belassen. Sie kam zu dem Schluss, dass man sie in Frieden ruhen lassen sollte. Es wäre eine Sünde gewesen, die beiden so abzulichten. Hoffentlich würde sie das nicht die erste Seite kosten. Eine Titelstory ohne Foto war wie trockene Pommes ohne Ketchup oder Mayo. Doch Lara wollte versuchen, Fotos von ihren Eltern oder der Polizei zu bekommen, worauf die Kinder noch am Leben waren. Sie wusste zwar, dass ihre Chefin toben würde, doch das war ihr in diesem Moment vollkommen gleich.

Lara hob die kleine Kamera erneut, um diesmal die Schrift und das Zeichen zu fotografieren. Beides lichtete sie zur Sicherheit mehrfach ab. Die Fotos würden sich gut in der Zeitung machen. Man konnte sie bestimmt mit einer Sekte oder einem Ritual in Verbindung bringen.

Lara schloss die Augen und atmete tief durch, um ihre Tränen zurückzuhalten. Es war schwer, wenn man so etwas zum ersten Mal sah. Manche Menschen sehen ihr ganzes Leben lang keine Leiche. Und wenn doch, dann höchstwahrscheinlich keine zerfetzte, gewaltsam ermordete. Leichen, die noch nicht einmal ein Viertel ihres Lebens hinter sich hatten.

Nicht nur die Tränen, sondern auch einen Brechreiz musste Lara zurückdrängen, doch der Reiz in ihrer Magengrube wurde unaufhörlich größer. Sie konnte sich auf keinen Fall an einem Tatort übergeben. Als Lara erneut tief einatmete, stieg ihr der süße Verwesungsgeruch in die Nase, doch plötzlich wurde sie mit einem harten Griff am Arm gefasst. Sie zuckte zusammen, schrie kurz auf, während ihr Herz wild zu rasen begann. Für einen kurzen Moment wurde es Lara schwindelig.

Was? Wer ist das? Der Mörder ist zurückgekommen, und jetzt will er mich töten, huschte Lara der Gedanke durch den Kopf.

Sie drehte sich um, öffnete die Augen und schaute in das Gesicht eines Polizisten, den sie an seiner Uniform erkannte. Erleichtert atmete sie aus.

Der Polizist hingegen schaute streng und fragte mit Nachdruck: »Was haben Sie hier zu suchen? Haben Sie das Absperrband nicht gesehen?«

»Hm, das muss ich glatt übersehen haben«, antwortete Lara frech. Sie wollte sich gerade entschuldigen und erzählen, dass sie von einer Zeitung war, als ihr plötzlich erneut schwindelig und richtig schlecht wurde. Ihr Sichtfeld verschwamm. Die Knie wurden weich. Sie sah viele Bilder an sich vorbeirauschen. So, wie man es sich immer kurz vor seinem Tod vorstellt. Doch es war nicht ihr Leben, das an ihr vorüberrauschte. Lara sah die beiden Jugendlichen Arm in Arm spazieren gehen. Wie eine dunkle Gestalt auf sie zukam. Rote Augen, wie von einem Albino. Rotes Licht. Unheimlich.

Es ging alles so schnell. Sie konnte nichts mehr erkennen. Alles war durcheinander und verschwamm. Lara hörte Schreie, erbitterte Schreie. Todesschreie.

Ihr Kopf tat weh. Er klopfte. Ihre Haut brannte. Um sie herum drehte sich alles. Laras Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Sie litt unter Todesängsten. Die ganze Zeit über hörte sie die leid- und schmerzerfüllten Schreie. Lara konnte nicht mehr atmen. Es war so, als müsste sie jetzt sterben, doch sie wehrte sich nicht dagegen. Sie wollte einfach nur noch erlöst werden. Ihre Beine gaben nach, und sie verlor das Bewusstsein.

Der Seelenhandel

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