Читать книгу Der Seelenhandel - Anna Katharina Bodenbach - Страница 15
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ОглавлениеIn dieser Nacht hatte Lara keine Albträume gehabt, und falls doch, dann erinnerte sie sich nicht mehr daran. Völlig entspannt und ausgeglichen stand sie an diesem Morgen auf. Sie fühlte sich ausgeschlafen, was an einem Montagmorgen bei ihr selten vorkam.
Daniel war schon im Büro. Er musste heute früher als sonst auf die Arbeit, um ein wichtiges Meeting vorzubereiten. Da Lara von zu Hause aus arbeitete, konnte sie sich ihre Zeit selbst einteilen, was als Langschläferin gar nicht so schlecht war.
Der Geruch von frischem Kaffee und Brot zog von der Küche aus durch das ganze Haus. Sie liebte diesen Geruch am Morgen. Es war ein Duft, der in ihr Zufriedenheit, Glück und Geborgenheit auslöste. Mit einem tiefen Atemzug sog sie den wohligen Geruch ein.
Nachdem sie sich gestreckt hatte, stand sie auf, warf ihren Morgenmantel über, ging die geschwungene Holztreppe hinunter und durch den kleinen Flur direkt weiter in die Küche. Der Küchentisch, auf dem sie eigentlich ihren Laptop vermutet hätte, war reich gedeckt; ein Zettel lag auf ihrem Teller. Sie freute sich wie ein kleines Kind an Weihnachten, dass ihr Mann Daniel sie zu überraschen wusste. Grinsend setzte sich Lara nieder und faltete das Blatt auseinander.
Guten Morgen, mein Schatz,
da du dich die Nacht so hin- und hergewälzt hast, habe ich mir gedacht, dich mit einem Frühstück zu überraschen. Wenigstens hast du nicht wieder versucht, mich zu erschlagen. Würde jetzt gerne bei Dir sitzen, aber du weißt ja, meine Kanzlei …
Ich wünsche Dir einen ruhigen, angenehmen Tag und freue mich auf heute Abend.
In Liebe, Dein Daniel
Sie legte den Zettel zur Seite, schaltete das Radio an und trank erst mal eine große Tasse Kaffee. Danach tigerte sie durch die untere Etage, um ihren Laptop zu suchen. Doch schon im ersten Raum wurde sie fündig. Er stand mitten auf dem Wohnzimmertisch. Schnell schnappte ihn sich Lara, klemmte ihn unter den Arm und ging zurück in die Küche. Auf dem Tisch platziert drückte sie den Startknopf. Während der Computer hochfuhr, belegte sie sich ein Brot.
Die Nachrichtensendung im Radio begann gerade, als sie den ersten Bissen nahm. Gespannt lauschte sie und wartete auf Neuigkeiten. Ein Blick auf den Laptop verriet, dass sie ohnehin noch etwas Zeit hatte. Das Ding brauchte immer eine halbe Ewigkeit, bevor der Desktop erschien.
Neue Updates werden installiert – 12 %. Lara schob das Gerät zur Seite.
Genüsslich lauschte sie der beruhigenden Stimme des Nachrichtensprechers. Plötzlich hielt sie inne, drehte etwas lauter und richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf die Nachrichtensendung.
Sie ließ das Brot sinken und schluckte einen halbgekauten Klumpen hinunter. Der Brocken kratzte im Hals und blieb fast stecken, hätte sie nicht sofort mit einem großen Schluck Kaffee nachgespült.
… Lindenberg. In der Kleinstadt der Harmonie werden seit gestern Abend drei Jugendliche vermisst. Zwei Jungen und ein Mädchen. Das letzte Mal wurden sie gestern Nachmittag von ihren Eltern gesehen. Wenn Sie irgendwelche Hinweise haben, dann wenden Sie sich bitte an die hiesige Polizei. Die Nummer lautet …
Lara dachte nach. Sollte bei ihr vor der Haustür wirklich etwas passiert sein, oder erlaubten sich die Jugendlichen nur einen Streich? Dass sie sich einfach nur im Wald verirrt hatten, wäre auch eine Möglichkeit. Andauernd passierte das irgendwelchen Leuten. Meistens Hobbywanderern.
Die Gegend hier war zwar paradiesisch, doch immer wieder verließen Wanderer die Wege und verloren die Orientierung.
Lara schaute wieder auf ihren Laptop, der mittlerweile den Desktop endlich vollständig geladen hatte. Schnell klickte sie auf das Outlook-Symbol, um ihre E-Mails abzurufen. Sie hatte die Hoffnung, dass ihre Chefin Brigitte Maus schon einen Auftrag für den heutigen Tag geschickt hatte.
Tatsächlich. Sie hatte zwei neue Mails in ihrem Posteingang. Eine von ihrem Mann und eine von ihrer Chefin. Der Sitz der Zeitung war in Lindau, dort, wo ihre Chefin wohnte. Doch um sich die Büroräume zu sparen, arbeiteten Brigittes Journalisten von zu Hause aus.
Lara klickte auf die Nachricht. Diese öffnete sich sofort zum Lesen. Voller Vorfreude und Aufregung rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Wie ein kleines Kind vor ihrem ersten Vorstellen in der Schule.
Hallo, Frau Müller,
ich wünsche ihnen einen guten Morgen und einen erfolgreichen Start in den neuen Tag.
So begann Frau Maus jede ihrer Mails. Sie schrieb zwar nett, doch wenn irgendetwas nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt wurde, dann rastete sie richtig aus und bekam einen ihrer Zicken-Anfälle. Dazu reichte manchmal schon der kleinste Fehler wie ein Buchstaben-Dreher, damit sie ihre Freundlichkeit vergaß. Auf der einen Seite war es Horror, für diese Frau zu arbeiten. Doch auf der anderen Seite: Welcher Journalist kann schon von zu Hause aus arbeiten und bezieht dabei ein festes Gehalt? Dafür könnte sie noch viele dieser Anfälle ertragen.
Lara las weiter.
Mir ist zu Ohren gekommen, dass in Lindenberg drei Kinder verschwunden sind. Jemand hat einen anonymen Tipp bei der Polizei abgegeben, dass sie die Jugendlichen an dieser Mühle oben auf dem Berg suchen sollen. Ich habe zwar noch nie etwas von einer alten Mühle dort gehört, doch Sie wissen bestimmt Bescheid. Bitte finden Sie Näheres über die Verschwundenen heraus und melden sich, sobald es Neuigkeiten von Interesse gibt. Am besten direkt mit einem druckfertigen Bericht.
Mit freundlichem Gruß
Brigitte Maus
Laras Aufregung war gigantisch. Sie fühlte sich unbeschreiblich glücklich. Noch nie hatte sie über etwas Spannendes recherchieren oder berichten dürfen. Ihre letzten Artikel hatten Titel wie »150 Jahre Strickrunde« oder »Vereinsarbeit wird groß geschrieben«. Auf einen richtigen Artikel, etwas Spannendes, hatte sie schon so lange gehofft. Die Zeitung, für die sie arbeitete, hatte zwar keine große Auflage, dennoch viele Abonnenten, mit denen die Redaktion ein regelmäßiges Einkommen hatte und gut leben konnte. Die genauen Zahlen wusste Lara nicht, doch für einen protzigen Porsche und eine riesige Eigentumswohnung reichte es bei ihrer Chefin. Es war schon immer Laras größter Traum gewesen, einmal im Leben eine Titelstory zu schreiben. »Ich bekomme eine Titelstory«, sagte Lara laut zu sich selbst. Dieses Mal hatte sie ein richtig gutes Bauchgefühl, was ihren Bericht anging. Allerdings war das Gefühl, was den Kindern galt, ein schlechtes. Sie würde bestimmt die Erste vor Ort sein und ihren privaten Jackpot knacken. Lara durfte keine Zeit verlieren. Schnell biss sie noch einmal von ihrem Brot ab, rannte hoch, um sich anzuziehen, und hastete danach sofort wieder nach unten.
Lara stopfte sich den Rest ihres Brotes in den Mund, schaltete das Radio aus, bewaffnete sich mit ihrer Arbeitstasche und ging in den Flur, ihre Schuhe anziehen. Für einen weiteren Kaffee war an diesem Morgen keine Zeit mehr.
In ihrer Arbeitstasche hatte sie immer alles, was man im Notfall brauchte: Kamera, Notizblock und ein paar Kugelschreiber. Entschlossen holte sie ihre Wanderschuhe hervor, denn mit ihrem kleinen Auto war es fast unmöglich, heil auf dem Berg anzukommen. Mit Daniels Geländewagen wäre es kein Problem gewesen. Zu dumm, dass er damit gerade auf der Arbeit war. So musste sie laufen. Doch der direkte Weg zu Fuß war ohnehin schneller als die Serpentinen mit dem Auto. Das hoffte sie jedenfalls.
Beinahe hätte Lara vor lauter Aufregung ihren Schlüssel vergessen, doch sie merkte es Gott sei Dank noch, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Schnell drehte sie sich um und zog ihn vom Schlüsselbrett herunter.
Draußen kramte sie ihr Handy hervor und rief Daniel im Büro an, während sie durch die Straßen in Richtung Wald hetzte.
»Hallo, Schatz«, meldete sich Daniel, erfreut, von seiner Frau zu hören.
»Hi, weißt du was?«, fragte Lara hastig mit quiekender Stimme. Sie war noch nie in ihrem Leben so aufgeregt am Telefon gewesen.
»Nein, was ist denn, Schatz? Was machst du gerade? Bist du am Joggen? Warum klingst du denn so aufgeregt? Bist du schwanger?«
»Nein, das nicht. So wie es aussieht, bekomme ich meine erste Titelstory«, quietschte sie ins Telefon.
»Herzlichen Glückwunsch, mein Engel! Das ist doch wunderbar«, gab Daniel zurück.
»Stell dir vor: Es sind hier bei uns in Lindenberg drei Jugendliche spurlos verschwunden. Nun wurde ein Tipp abgegeben, sie oben an der alten Mühle zu suchen. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin. Vielleicht kann ich etwas herausfinden. Das wäre echt klasse! Wirklich, hier bei uns in Lindenberg.« Ihre Aufregung war unmissverständlich zu hören.
»Gut, Schatz. Ich hoffe nur, dass denen nichts passiert ist. Du, ich muss leider Schluss machen. Draußen sitzen noch ein paar Mandanten, die warten.«
»In Ordnung. Bis später, mein Süßer. Dann gibt es vielleicht einen Grund zu feiern.« Sie schmatzte einen Kuss in die Luft, den Daniel durch das Telefon hören konnte.
»In Ordnung. Bis später, Darling. Pass auf dich auf!«
Lara, die immer noch ein festgetackertes Dauerlächeln auf den Lippen hatte, legte zufrieden auf.
Der Aufstieg war beschwerlich und lang, da Lara total untrainiert war. Man sah es ihrer Figur nicht an, aber die Kondition würde noch nicht mal für einen 300-Meter-Spurt reichen. Doch die Neugier und ihre Jagd auf eine Story ließen sie nicht rasten und trieben sie immer weiter an. Lara wollte den Berg so schnell wie möglich erklimmen. Es war faszinierend, was Menschen durch ihren Willen für Kräfte mobilisieren konnten, so auch Lara.