Читать книгу Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue - Anne-Laure Daux-Combaudon - Страница 23

3 Sätze ohne finites Verb als nichtelliptische Syntagmen

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Neben Auslassung des Finitums bzw. seiner Nichtverwendung an der Satzoberfläche bei inhärentem „Vorhandensein“ in der zu Grunde liegenden Tiefenstruktur gibt es Fälle, bei denen die übliche „Ergänzungsprozedur“ des rekonstruierten prototypischen finiten Verbs auf z.T. unüberwindbare Schwierigkeiten stößt. Dazu gehören u.a. Konstruktionen, welche in der Linguistik als Genitivus absolutus (im Griechichen), Ablativus absolutus (im Latein) bzw. Dativus absolutus (z.T im Griechischen, vor allem aber im Altkirchenslawischen und in altgermanischen Sprachen) bekannt sind, vgl.:

 (3) Mt. 8, 1:griechisch:καταβάντος [Part. I Gen. Sg. Aorist] δὲ αὐτοῦ [Pron. Gen. Sg.] ἀπὸ τοῦ ὄρους ἠκολούϑησαν αὐτῷ ὄχλοι πολλοί.gotisch:dala⇒ þan atgaggandin [Part. I D. Sg.] imma [Pron. 3. Pers. D. Sg.] affairgunja, laistidedun afar imma iumjons managos. altkirchenslawisch:сшедшу [Perfekt-Part. I D. Sg.] же ему [Pron. 3. Pers. D. Sg.] с горы, вслед его идяху народи мнози.neuhochdeutsch:Als Er bergab ging [wörtl. gehenden seines (gr.) bzw. gehendem ihm (got., aksl.) bergab], folgten ihm viele Menschen.

 (4) Mt. 8, 16:griechisch:’οψιασ [Adj. Gen. F. Sg.] δε γενομενησ [Part. Medium Aorist Gen. F. Sg.] προσηνεγκαν αυτω δαιμονιζομενουσ πολλους […]gotisch:at andanahtja [Subst. D. Sg.] þan waurþanamma [Part. II Dat. F. Sg.], atberun du imma daimonarjans managans […]altkirchenslawisch:позде [Adj. D. M. Sg.] же бывшу [Part. I D. M. Sg.] приведоша к нему бесны многи […]lateinisch:vespere [Subst. Abl. Sg.] autem facto [Part. II Abl. Sg.] obtulerunt ei multos daemonia habentes neuhochdeutsch:Als dann Abend kam [wörtl. Abendes dann des gewordenen (gr.) bzw. Abend dann dem gewordenen (got., aksl.) bzw. (vom) Abend gewordenen (lat.)], brachte man zu ihm viele Besessene.

 (5) Joh. 2, 3:lateinisch:deficiente [Part. I Abl. Sg.] vino [Subst. Abl. Sg.] dicit mater Iesu ad eum vinum non habent.althochdeutsch (Tat. 45, 2):thô ziganganemo [Part. II D. Sg.] themo uúine [best. Art. + Subst. D. Sg.] quad thes heilantes muoter zi imo: sie ni habent uúin. Als es an Wein mangelte [wörtl. (vom) Wein fehlendem (lat.) bzw. Wein dann zu Ende gegangenem (ahd.)], sprach die Mutter des Heilands zu Ihm: sie haben keinen Wein (mehr)].

Zu derartigen Konstruktionen gesellen sich infinite (hauptsächlich partizipiale) Satzgebilde mit Nebensatzstatus, die z.B. in der griechischen oder gotischen Sprache sehr häufig auftreten und statusmäßig den Verbalfügungen mit dem Verbum finitum volläquivalent sind, vgl.:

 (6) Mt. 8, 2–3:griechisch:καὶ ἰδοὺ λεπρὸς προσελϑὼν προσεκύνει αὐτῷ λέγων, Κύριε, ἐὰν ϑέλῃς δύνασαί με καϑαρίσαι. καὶ ἐκτείνας τὴν χεῖρα ἥψατο αὐτοῦ λέγων, Θέλω, καϑαρίσϑητι! καὶ εὐϑέως ἐκαϑαρίσϑη αὐτοῦ ἡ λέπρα.gotisch:jah sai, manna þrutsfill habands durinnands inwait ina qiþands: frauja, jabai wileis, magt mik gahrainjan. jah ufrakjands handu attaitok imma qiþands: wiljau, wairþ hrains! jah suns hrain warþ þata þrutsfill is. [wörtlich]: ,und siehe, Mann Aussatz habender zurennender grüßte Ihn sprechender: Herr, wenn [Du] willst, kannst [Du] mich rein machen. Und Hand ausstreckender berührte ihn sagender: [Ich] will [es], werde rein! Und alsbald rein wurde dieser Aussatz sein.‘

In der deutschen Gegenwartssprache gibt es Reste dieser früher sehr verbreiteten Kompression der Aussage durch Verwendung von Partizipialformen, welche im angeführten Beispiel zwar das griechische Original kopieren, dabei aber keinesfalls als griechische (oder jeweils lateinische) Entlehnungen zu behandeln sind, da die Möglichkeit ihrer Verwendung als solche schon von deren Verankerung im eigenen grammatischen System zeugt. Doch ist das Ausmaß dieser Kompression (als prädikative Attribute) in modernen germanischen Sprachen im Vergleich zu den älteren Stufen der Indogermania sehr bescheiden, vgl. dt. Ein spannendes Buch lesend ging Wolfgang die Straße entlang. Die Sätze des Typs ??Die Straße entlang gehend, dabei ein spannendes Buch lesend, auf Passanten und Autos wenig achtend und kaum bemerkend, was sich um ihn tat, auf eine Laterne stoßend, schrie Wolfgang vor Schmerz auf sind zwar theoretisch verständlich, doch trotzdem kaum mehr grammatisch. Dagegen leben derartige Kompressionen in Form von Gerundivum-Kompressionen in der Slavia weiter, vgl. russ. Идя по улице, читая интересную книгу, не смотря по сторонам и не замечая ни пешеходов, ни людей, Вольфганг, натолкнувшись на столб, вскрикнул от боли. Freilich ist auch der russische Satz stilistisch alles andere als mustergültig, doch ist er im Unterschied zum deutschen Satz grammatisch völlig korrekt und in jeder Hinsicht akzeptabel. Grund dafür liegt auf der Hand: Die overte Finitheit hat sich in der Germania in einem viel stärkeren Maß als in der Slavia entwickelt und dominiert heutzutage die Satzsyntax in dem Maß, dass dieser Fakt in der Grammatikschreibung widergespiegelt wird, indem Finitheit zum Satzkriterium sine qua non erhoben wird. Doch ist dieses formale Kriterium u.E. keinesfalls ausreichend, um verblosen sowie in- und afiniten Sätzen den Satzstatus (hier: Nebensatzstatus) abzusprechen, gleichgültig, ob es sich um (overte oder coverte) Ellipsen oder aber um nichtelliptische Satzkompressionen handelt. Noch weniger kann Finitheit als oberes Gebot für Satzstatus aus sprachtypologischer Sicht bewertet werden.

Im Weiteren werden nun pragmatisch bzw. textsortenspezifisch bedingte Verwendungsweisen afiniter Formen im Deutschen in einem kurzen historischen Aufriss behandelt, wobei die Entwicklungsetappen der deutschen Sprache im Mittelpunkt stehen, in denen Afinitheit besonders stark eingesetzt wurde und spezifische Funktionen erfüllte, welche später aufgegeben oder stark eingeschränkt, mitunter auch völlig umgedeutet und gerade an explizite Finitheit gebunden wurden.

Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

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