Читать книгу Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue - Anne-Laure Daux-Combaudon - Страница 27

7 Rückblick

Оглавление

Das Phänomen der Verblosigkeit und damit verbundene Erscheinungen der In- bzw. Afinitheit sind – u.a. als strukturinternes Kompressionsmittel – nahezu in jeder natürlichen Sprache vorhanden, auch wenn ihre Verbreitung und Anwendung gewissen Restriktionen unterliegt, die sich von Sprache zu Sprache z.T. stark unterscheiden. Auch diachron gesehen gibt es gewisse Tendenzen, die die Entwicklungsrichtung anzeigen: In der Germania und z.T. in der Slavia ist dies generell eine Entwicklung zur stärkeren Ausprägung finiter Ausdrücke, auch wenn bei bestimmten Textsorten nach wie vor Afinitheit, wenn nicht dominant, so zumindest relativ stark vertreten ist.

Verblose bzw. in- oder afinite Sätze, welche zu „Vollsätzen“ mit dem Verbum finitum ergänzt werden können, sind gemeinhin als Ellipsen einzustufen, auch wenn nicht jede Ergänzungsprozedur eine dem Satz ohne Finitum volläquivalente Proposition ergibt. Ellipsen sind ihrerseits nicht homogen. Bei einer overten Ellipse ist das einzusetzende Verb in aller Regel unspezifiziert und lässt daher eine – wenngleich beschränkte – Wahl bzw. Varianz zu. Eine coverte Ellipse schließt dagegen in aller Regel Varianz aus. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um das nachzutragende Verbum substantivum in Kopulafunktion. Typologisch lassen sich beide Arten der Ellipse lediglich auf die Satzoberfläche beziehen, universalgrammatisch liegen beiden ähnliche Tiefenstrukturen zugrunde.

Nichtelliptische Sätze ohne Finitum haben das Merkmal der Verbalität an der Satzoberfläche in der Form infiniter Verbformen, aber im Gegensatz zu den Ellipsen, bei denen Finitheit generell ableitbar ist, beschränkt sich die „Verbalität“ dieser Satzgebilde auf infinite Verbformen, wodurch sie zu „absoluten“ und damit vergleichbaren nonfiniten Satzstrukturen gezählt werden müssen.

Die angestellten Überlegungen stellen nun das Merkmal der Finitheit als formal gültiges Satzkriterium in Frage und lassen eine Proposition auch dann als vollwertigen Satz einstufen, wenn die dadurch ausgedrückte Prädikation ohne Finitum, ja gar ohne Verb an der Satzoberfläche erscheint.

Dies gilt übrigens auch für die historischen Konstruktionen: Die prädikative Eigenständigkeit der afiniten Nebensätze ist genauso gesichert, wie wenn ein finites Verb vorhanden wäre. So nahe diese Folgerung liegt, so wenig wird sie in der Forschung reflektiert, da man sehr oft davon ausgeht, dass afinite Verbalperiphrasen wohl nur Abbreviaturen einst vollständiger Sätze sind und als solche keiner eingehenden Untersuchung bedürfen. Die Einsicht, dass sie als vollgültige Prädikate fungieren, eröffnet eine neue Sicht auf ihre Entstehungsgeschichte sowie Entwicklungslinien und Wendepunkte.

Der auffällig häufige Gebrauch afiniter Satzstrukturen in frühneuzeitlichen Texten, darunter vor allem Kanzleitexten, deutet darauf hin, dass es neben strukturellen Faktoren auch stilistische und pragmatische Gründe für die Verwendung afiniter Konstruktionen gibt. Zu den Letzteren zählen u.a. die Betonung des besonderen Status des Textes sowie die Tendenz zum ökonomischen Sprachgebrauch, was im Falle der Verwaltungstexte, die ja per se umfangreich sind, von großem praktischem Nutzen ist.

Am häufigsten werden die finiten Hilfsverben in den temporalen Verbalperiphrasen im Perfekt und Plusquamperfekt (Passiv und Aktiv) ausgelassen. Der Anteil anderer Konstruktionstypen ist relativ gering. Nach ihrer Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert ist ein spürbarer Rückgang der Formen zu verzeichnen. In der Gegenwartssprache beobachtet man allerdings, wie bereits erwähnt, eine erneute Tendenz zur Auslassung der Verba finita, auch wenn dies vor allem das Hauptsatzparadigma betrifft und durch völlig andere Gründe (z.B. emphatische oder stilistische Markierung) motiviert ist.

Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

Подняться наверх