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2 Das Schema x ≆ y

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Wenn wir ein Schema x ≆ y annehmen, dann ergibt sich aus dieser Annahme die Frage, wie das mathematische Ungefährzeichen zu interpretieren ist. Wie bei Synonymen (bspw. Orange und Apfelsine) kann eine solche Gleichsetzung (=Identitätssatz) zweier Lexeme nur der Konstruktion einer Simplifizierung Raum geben, die wiederum der Vereinfachung von Kategorisierungen und damit der Orientierung in der Welt dient (vgl. hierzu auch Lakoff 1982). Während bei eine Orange das Element der Farbgebung profiliert wird (zur Profilierung vgl. Langacker 2008), wird bei eine Apfelsine entweder die Formgebung in Analogie zu einem Apfel oder das Suffix -sine salient gemacht (ob das ein oder andere intendiert ist, hängt, wie sich im weiteren Gang zeigen wird, an der Kontextualisierung bzw. der Einbindung in den Diskursstrang):

 (1) Auf dem Regal ist eine Apfelsine.

 (2) Auf dem Regal ist eine Orange.

Auf diese Weise wird mit zwei verschiedenen Lexemen auf den gleichen Referenten verwiesen, woraus sich in Anlehnung an Freges Morgenstern und Abendstern mit Blick auf die Venus zwei unterschiedliche Sinnkontexte ergeben:

Ersetzen wir nun in [dem Satz] ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne, so kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluss haben. (Frege 1892: 32)

Für die in eine Proposition gebettete NP eine Apfelsine und eine Orange können also in Anlehnung an Frege zwei verschiedene Sinne (= Bedeutungen) angesetzt werden unter Beibehaltung dergleichen Bedeutung (= Bezeichnung). Im Übertrag auf das zugrunde liegende Schema x ≆ y (Apfelsine Orange) bedeutet dies, dass das Ungefährzeichen nur auf einer Ebene der Profilierungsdifferenz Gültigkeit besitzen kann. Während Frege diesen Unterschied in der Profilierung nicht für relevant mit Blick auf die ontologische Erschließung von Welt hält und auf die gleichbleibende Bedeutungsebene (= Bezeichnung) verweist, ist die Profilierungsdifferenz nach Langacker auf der Bedeutungsebene anzusiedeln, und zwar eben in der Weise, dass zwar auf den gleichen Referenten oder das gleiche Ereignis verwiesen wird, aber unter Verwendung zweier unterschiedlicher Profilierungen (und damit unterschiedlicher psychologischer Realität):

When a relationship is profiled, varying degrees of prominence are conferred on its participants. The most prominent participant, called the trajector (tr), is the entity construed as being located, evaluated, or described. Impressionistically, it can be characterized as the primary focus within the profiled relationship. Often some other participant is made prominent as a secondary focus. If so, this is called a landmark (lm). Expressions can have the same content, and profile the same relationship, but differ in meaning because they make different choices of trajector and landmark. (Langacker 2008: 70, Herv. i.O.)

Für unser Beispiel könnten wir neben den jeweiligen trajectors je eine passende landmark konstruieren, die der Profilierungsdifferenz Ausdruck verleiht:

 (3) Auf dem Regal ist eine Apfelsine (tr), darüber gehängt ein Bild der Sine (lm) [Fluss im westafrikanischen Senegal].

 (4) Auf dem Regal ist eine Orange (tr), gehüllt in blaues Tuch (lm).

Der auf dem Regal liegende Referent bleibt der gleiche (= Bedeutungsgleichheit nach Frege), verursacht den RezipientInnen aber möglicherweise zwei verschiedene psychologische Realitäten aufgrund der unterschiedlichen Profilierungen: Für (3) gilt: Die Apfelsine auf dem Regal zu sehen, ist (führt dazu) sie im Spiel mit dem darüber hängenden Bild der Sine zu verknüpfen. Für (4) gilt: Die auf dem Regal liegende Orange zu sehen, ist (führt dazu) sie im komplementären Spiel mit der Umhüllung durch das blaue Tuch zu verknüpfen. Das führt dazu ist im Sinne einer bloßen Möglichkeit zu verstehen (kann dazu führen), die der Mensch, der die Komposition gestaltet hat, intendiert haben kann, oder die dem Zufall geschuldet ist, und nun von RezipientInnen entdeckt wird.

Behr / Quintin (1996) behandeln das Schema X ‚istʻ Y im Zusammenhang der Klassifikation von verblosen Satztypen als „interne Prädikation“, wobei die Instanziierung des Schemas auch durch Infinitivkonstruktionen und Komplementsätze erfolgen kann (vgl. hierzu auch Behr 2016, Anm. 6). Behr führt zur Definition des Schemas das Folgende an:

Die Formel „X ‚istʻ Y“ muss als eine heuristische Paraphrase gelesen werden, sie impliziert keine implizite oder elidierte Kopula. Die Kopula-Variable „ist“ indiziert dabei sowohl eine charakterisierende wie eine identifizierende Relation. Eine Formulierung wie folgende wäre expliziter: „X charakterisiert durch Y“, wobei für X und Y bestimmte grammatische Regeln gelten. Davon wäre dann eine Relation wie „X identisch mit Y“ zu unterscheiden, da X und Y andere grammatische Merkmale aufweisen und die Aktualisierung der Prädikation als „Text-Satz“ (Lyons) Regeln folgt, die sich mit denen für den VLS-Typ „X charakterisiert durch Y“ nur teilweise decken. Dieser Unterschied wird im Deutschen nicht über die Kopula „sein“ kodiert. „X ‚istʻ Y“ ist als Formel also unterspezifiziert. (Behr 2016: 140)

Behr unterscheidet hier die beiden Kopulaqualitäten von SEIN im Sinne eines SEIN, das ohne Referenz auskommt (Individuenprädikat, semantisches Gedächtnis) und einem SEIN, das mit Referenz in Raum und Zeit funktioniert (Stadienprädikat, episodisches Gedächtnis):

1 Präzisierend: episodisches Gedächtnis (= Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, mit Referenz in Raum und Zeit)

2 Identitätssatz: semantisches Gedächtnis (= Behrs „X ist identisch mit Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch

3 Identifizierender Satz: episodisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, mit Referenz in Raum und Zeit)

4 Spezifizierend: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch

Identitätssätze und spezifizierende Sätze funktionieren entsprechend mit der Kopula SEIN, die metakognitiv referiert und auf das semantische Gedächtnis (Wissen) zugreift. Präzisierende und identifizierende Sätze hingegen mit der Kopula SEIN, die in Raum und Zeit referiert und auf das episodische Gedächtnis (Erfahrung) zugreift. Alle diese Prozesse des Referierens sind durch das Schema x ≆ y abgedeckt.

Damit hantieren wir mit Typ 2 (Identitätssatz) und 4 (spezifizierend) auf einer syntaktischen und semantischen Ebene mit Blick auf die Eröffnung möglicher Welten, wodurch wir uns in den Bereich der Modalität bewegen.

Diese Beobachtung kann generell mit dem Prozess des Groundens in Verbindung gebracht werden: Werden lexikalische Einheiten nur nebeneinander gestellt, so bleiben sie in der mentalen Welt propositionslos bzw. erlauben mehrere Interpretationen und sind damit unendlich ambigue in Abhängigkeit davon, welcher verbale Wert hinzugefügt wird:

If left ungrounded, this content has no discernible position in their mental universe and cannot be brought to bear on their situation. It simply floats unattached as an object of idle contemplation. (Langacker 2008: 259)

Die Ambiguität hält solange an, bis die Elemente miteinander verbunden werden und eine Proposition ergeben. Grounding ermöglicht entsprechend auch erst die Zuordnung von Wahrheitswerten, die „islands of non-finitness“ (Leiss 2012: 43) nicht transportieren können:

Humans however, have to shape their world to quite a considerable degree by themselves [in contrast to animals]. They do it by constructing objectivity via foreign consciousness alignment. To achieve this, truth-values have to be assigned. We must be aware of the fact that the assignment of truth-values depends on a specific format, which is the proposition. This format is a linguistic format […]. What we gain, when we communicate, is the construction of new common ground, the deconstruction of old common ground not being excluded. (Leiss 2012: 42)

Da es, wie weiter oben gezeigt, ein dominant semantisches Unterfangen ist, Phänomene der Charakterisierung und Identifizierung als Funktionen der Kopulae SEIN / BE anzusetzen, können wir Prozesse der Profilierung (Langacker 2008), Sinnkontextualisierung (Frege 1892), sprich der Perspektivierung, als einen dem syntaktischen Phänomen übergeordneten semantischen Prozess begreifen (dies in langer Tradition spätestens seit der Universalgrammatik der Modisten). Die Kopula ist nicht „inhaltslos“, wie Paul konstatiert (Paul 1962: 193, zit. n. Behr 2016: 139), sondern besitzt eine referentielle Kraft, die Handlungen in Form einer Darstellung des Sachverhalts als agenszentrierte Handlungen (= kategorische Urteile) oder in Form einer Darstellung des Sachverhalts als Geschehen (= thetische Urteile) generiert (vgl. bspw. auch Meyer-Hermann 2010: 26)1. Tanaka (2017: 68) zeigt in Anlehnung an Kurodas (1972) Unterscheidung von zwei Subjekt-Markierungen im Japanischen, inwiefern thetisches und kategorisches Urteil sich als „Erzählungssatz“ und als „Urteilssatz“ in Abhängigkeit von ihrer Diskursposition bzw. ihres ±Anschlusses an einen „Vortext“ unterscheiden:

Wenn es um eine reine Szenendarstellung geht, d.h. wenn es dem Sprecher lediglich darum geht, seine Wahrnehmung sprachlich wiederzugeben, liegt ein einfaches Urteil vor, das thetisches Urteil genannt wird.

 (4a) Fido is chasing a cat.

(4b) Fido-ga neko-wo oikakete-iru.
Fido-ga Katze-AKK nachlaufen

In (4a) ist ein Sachverhalt (Fidos Nachlaufen einer Katze) ohne weiteren Anschluss an einen Vortext geschildert. In diesem Fall wird im Japanischen das Subjekt mit -ga markiert. Anders ist dies bei (5b), dessen Bedeutung (5a) voraussetzt.

 (5a) (What’s Fido doing?) Fido is chasing a cat.

(5b) Fido-wa neko-wo oikakete-iru.
Fido-wa Katze-AKK nachlaufen

Bei (5b) geht es um ein kategorisches Urteil über Fido: ‚Was Fido betrifft, der läuft gerade einer Katze nach‘. Dabei liegt nach Kuroda ein Doppelurteil vor: Zuerst stellt der Sprecher Fidos Vorhandensein fest und darauf bezogen folgt ein Urteil über Fido. Das Subjekt des kategorischen Urteils wird mit -wa gekennzeichnet. (Tanaka 2017: 68)

Das bedeutet zum einen, dass die syntaktische Struktur im Deutschen und Englischen ambigue ist mit Blick auf das Vorliegen eines thetischen oder kategorischen Urteils. Zum anderen, dass definite Topiks nicht ohne Vortext präsupponieren (vgl. Strawson 1974).

Sehen wir uns nun andere Instanziierung unseres Schemas x ≆ y an.

 (1) [zu] [s]/Surfen ist cool (InfP + ist + Präd[AdjP]), Spezifizierend: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch

 (2) (ein) Koch zu sein, ist der lukrativste Job der Welt (InfP + ist + Präd[DetNP]), Spezifizierend: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch

 (3) loving you is killing me2 (Gerund + is + Gerund)=ambigue, Spezifizierend: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch oder Identitätssatz: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist identisch mit Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch

 (4) to know you is to love you3 (toV + is + toV), Identifizierender Satz: episodisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, mit Referenz in Raum und Zeit)

 (5) brushing your teeth is important (Gerund + is + Präd[AdjP])=ambigue, Identifizierender Satz: episodisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, mit Referenz in Raum und Zeit) oder Spezifizierend: semantisches Gedächtnis (=Behrs „X ist charakterisiert durch Y“, ohne Referenz in Raum und Zeit), generisch

Bei Instanziierungen des Schemas mit infiniten Phrasen und Gerundia handelt es sich um spezifizierende Sätze, die dem semantischen Gedächtnis zuzurechnen sind und entsprechend als generisch betrachtet werden können (im Sinne der Definition von Generizität als Zwischenbereich, vgl. Leiss 2017: 45). Wird you nicht als generisches Pronomen verstanden, kann es sich auch um identifizierende Sätze handeln. (ToV + is) ist im Unterschied zum Gerundium in Abhängigkeit der Semantik des instanziierten Infinitivs zu betrachten. Es gibt englische Verben, die nur mit toV verwendet oder nur mit Gerundium verwendet werden oder mit sowohl als auch. In der letzten Variante leiten sich bspw. Unterschiede in Tempus, Modalität oder Aktionsart ab.

Leiss (1992: 156–173) entwickelt eine Kategorie Resultativum im Sinne einer Aspekt-Kategorie, die eben eine Perspektivierungsleistung zugrunde legt („Resultativität wird durch die Aspektualität des Verbs determiniert“, Leiss 1992: 165). So kann die Proposition (6) als (7) gelesen werden.

 (6) Sie ist zurückgesprungen.

 (7) Sie ist [von selbst] zurückgesprungen [durch Eigenmotivation, aktivisch].

Instanziieren wir unser Schema mit diesem Beispiel:

 (8) Sie (zu sein,) ist [führt dazu] zurückgesprungen (zu sein). (episodisches Gedächtnis / semantisches Gedächtnis)

Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

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