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5 Afinitheit als textsortenspezifisches Phänomen

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Betrachtet man afinite Konstruktionstypen in einem geschichtlichen Querschnitt, so fällt auf, dass Afinitheit vornehmlich an Texte gebunden war, die einen hohen sozialen Status besitzen. Hierher gehören vor allem die oben bereits erwähnten Kanzleitexte als im hohen Grad (durch vorgegebene Strukturmuster) standardisierte, zum Teil stark formelhafte Texte, die zur Regelung von sämtlichen Rechts- und Geschäftsvorgängen dienten. Die Einbettung der einzelnen Texte in den kanzleisprachlichen Diskurs bewirkt, dass sie nicht nur in formaler, sondern auch in inhaltlicher Sicht gewisse Affinitäten aufweisen. So sind sie u.a. durch Komplexität der darin beschriebenen Sachverhalte gekennzeichnet, woraus sich dann als Begleiterscheinung die natürliche Notwendigkeit einer sprachökonomischen Auslassung entbehrlicher Satzteile, darunter gerade der finiten (Hilfs-)Verben ergeben hat.

Umgekehrt kommen in Texten, die der gesprochenen Sprache besonders nahestehen oder einen sehr einfachen thematischen Gehalt aufweisen, nur selten afinite Konstruktionen vor (vgl. Admoni 1967: 190). Somit kann festgehalten werden, dass der afinite Satzbaustil ein spezifisches Merkmal der Kanzleitexte, ja ein „Kanzleiusus“ (Rösler 1995) ist.

Was nun die gegenwartssprachlichen Domänen der Verwendung afiniter Konstruktionen anbelangt, so liegt ein weitgehender Gebrauchswechsel vor: Afinite Konstruktionen werden heute tendenziell in Texten mit abgeschwächter kommunikativer Ausrichtung (z.B. in Tagebüchern, vgl. dazu u.a. Fernandez-Bravo 2016) verwendet, in denen nicht so stark auf die Finitheit geachtet wird wie z.B. in narrativen Texten. Textsortenspezifisch ist dies leicht erklärlich, sind ja Tagebücher generell eine nichtkommunikativ (da ausschließlich autoreferentiell) konzipierte Textsorte, sodass ihr Verfasser sich auf Sprachformen begrenzen darf, welche für ihn ausreichend verständlich sind und keine empfängerseitig begründete Akribie grammatischer Norm verlangen. Andererseits werden sie als Mittel verwendet, das zur stärkeren kommunikativen Geltung eines Textes beitragen kann. Schließlich kommen sie im mündlichen Register vor, meist in elliptischen und / oder emphatischen Kontexten, wo sie unterschiedliche pragmatische Funktionen übernehmen (vgl. Schönherr 2018: 568).

Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

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