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1 Problemstellung

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Die verbozentrischen Syntaxkonzepte, welche insbesondere seit dem Etablieren der Valenztheorie (vgl. Tesnière 1959 / 21976) in der europäischen Linguistik favorisiert werden, behandeln das Verb gemeinhin als strukturellen Kern einer Proposition, der darin eine hierarchisch übergeordnete Stellung einnimmt. Die Standardgrammatiken der deutschen Gegenwartssprache weisen dem Verb im Allgemeinen und dem formalen Merkmal der Finitheit im Besonderen satzkonstituierenden Status zu. Dies bedeutet u.a., dass lediglich Strukturen mit Verbum finitum als echte Sätze im eigentlichen Sinn dieses Begriffs eingeordnet werden müssen, während Syntagmen ohne Finitum und erst recht ohne jede Verbform lediglich als kommunikative Minimaläußerungen einzustufen sind (vgl. u.a. Heringer 1996: 16, Zifonun 1997: 34–64, Zifonun et al. 1997 Bd.1: 91, Darski 2010: 95–98). Worin besteht aber der postulierte grundsätzliche Unterschied zwischen Sätzen und satzförmigen Syntagmen mit satzgleichem propositionalem Gehalt? Wieso gibt es so viele Sequenzen ohne Finitum oder aber ohne jegliche overte Verbalität, die sich dennoch problemlos als volle Satzsyntagmen einordnen lassen? Handelt es sich dabei in toto um Ellipsen? Wieso gibt es dann aber verblose Syntagmen mit propositionalem Wert, die nicht dermaßen „ausbaufähig“ sind, dass sie einen propositional volläquivalenten Satz mit einem Verbum finitum bilden?

Diese Fragestellung ist einer der wichtigsten Forschungsschwerpunkte der Geehrten (vgl. u.v.a. ihre Ausführungen zu diesem Problemkreis in Behr 2013; Behr / Quintin 1996; Behr / Quintin 1998). Die theoretische Grundlage bildet dabei das logisch-semantische Herangehen, dessen Wurzeln grosso modo auf die Thesen des französischen Rationalismus im weitesten Sinn dieses philosophischen Begriffs zurückgehen. Die Verblosigkeit, speziell Ellipse und sonstige Formen ohne Verbum finitum oder aber andere nonverbale Fügungen, darunter verblose prototypische Kopulakonstruktionen, sog. „kurze Sätze“ etc. werden von Irmtraud Behr als Sprachformen behandelt, welche eine dahinter stehende Eigenlogik spiegeln, ohne sich dabei auf bloße Ellipsen reduzieren zu lassen.

Im vorliegenden Beitrag wird versucht, an einigen konkreten Beispielen verbloser, in- und afiniter Sätze die ihnen zu Grunde liegenden „logischen Paraphrasen“ zu rekonstruieren, wobei das Phänomen der Verbauslassung als Ergebnis overter oder coverter syntaktischer bzw. logisch-semantischer Prozeduren aufgefasst wird. Ferner wird versucht, die Verblosigkeit synchron wie diachron in den Diskurs der Textsorten und somit in die Makrosyntax einzubetten. Als infinite Sätze werden hierbei satzwertige Syntagmen ohne Finitum (wie z.B. syntaktisch autonome Infinitiv- und Partizipialkonstruktionen) verstanden, während afinite Sätze – gemäß ihrer Einordnung in der Fachliteratur (vgl. Ebert 1993: 440, Riecke 2012) – Satzsyntagmen mit ausgelassenem finitem Verb (am häufigsten Auxiliar) bei Beibehaltung der im Partizip bzw. Infinitiv steckenden Verbalität darstellen. Sonstige Syntagmen mit propositionalem Gehalt, aber ohne jegliche Verbformen in ihrem Bestand werden grundsätzlich als verblose Sätze behandelt. Nun sind Ursachen für Aussparen finiter Verben und / oder anderer Kodierungsformen der „Verbalität“ im Satzverbund sehr unterschiedlich und oft sprachspezifisch. Diese recht triviale Feststellung darf jedoch keinesfalls eine typologisch gültige, übereinzelsprachige Dimension des Phänomens der Verblosigkeit in Frage stellen. Im vorliegenden Beitrag wird davon ausgegangen, dass selbst äußerlich radikal divergente Oberflächenstrukturen mit und ohne verbale Prädikat(steil)e in verschiedenen Sprachen weitestgehend auf einen gemeinsamen Nenner zurückführbar sind, und daher der Verzicht auf einen Vergleich vermeintlich „unvergleichbarer“ Erscheinungen zu einer unberechtigten Überbetonung des sprachlichen Relativismus zu Ungunsten des universaltypologischen Anspruchs führen würde.

Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue

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