Читать книгу Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue - Anne-Laure Daux-Combaudon - Страница 9
1 Die Bedeutung kurzer bzw. kürzerer Formen im 17. und 18. Jahrhundert
ОглавлениеDie Bedeutung des Begriffs der sprachlichen Kürze allgemein wird besonders deutlich in zwei sprachlichen Bereichen, die im Rahmen des Korpus intensiv diskutiert werden, nämlich Wortbildung und die Verwendung von – modern gesprochen – Partizipialgruppen.
So werden mit Blick auf das Ideal der Kürze für das Deutsche – mit einem gewissen Sprachchauvinismus – ab dem 17. Jh. immer wieder die deutschen Wortbildungsmöglichkeiten, besonders die der Komposition, zeitgenössisch „Doppelung“, betont. Beispielsweise heißt es bei Schottelius (1663, I: 26), dass dank der „Doppelungen“ „die Teutsche Sprache […] die allerkürzeste und doch die allerwortreichste“ sei, und bei Kramer (1680), der zusätzlich Ableitungsmöglichkeiten nennt:
Gleichwie nun die Italiänisch= oder Toscanische Sprach / wann sie mit unserer Teutschen solte verglichen werden / was die Ableitung belangt / sehr dürfftig ist / also ist sie / samt ihren beyden Schwestern / der Französischen und Spanischen / die Doppelung betreffend / bettel=arm; […] (Kramer 1680: 158–159)
Dagegen ‚besitze‘ die „Teutsche […] Helden=Sprache unerschöpfliche […] Stamm=Wörter=Schätze“ und „auch unausgründliche Herleit= und Doppelungs=Reichthümer / in dero Hervorbringung sie dann gar gelenckig und fix ist“; und die hier zum Vergleich herangezogenen romanischen Sprachen müssen laut Kramer „weit herumschweiffende Umwege suchen / wann sie unsere nachdencklichste Macht=Wörter nur einiger massen andeuten wollen / dieweil ihnen selbige auszudeuten ohne das unmöglich ist.“ Die semantische Dichte, die komplexe Wörter aufgrund ihrer Kürze ermöglichen, wird hier also direkt mit einem starken kommunikativen Wirkungseffekt verbunden und umständlichen, weitschweifigen und damit stilistisch und kommunikativ weniger wertvollen Paraphrasierungen entgegengesetzt.
Mit der vermehrten Verwendung in der Literatursprache von Partizipialgruppen, die allgemein, mit Verweis auf das lateinische und griechische Modell, als Mittel zum kurzen, prägnanten Ausdruck angesehen werden, intensiviert sich ab den 1730er Jahren die zweite in unserem Kontext aufschlussreiche Diskussion. Es herrscht zwar Einigkeit darüber, dass das Deutsche über weniger Partizipialformen als die zeitgenössischen Referenzsprachen – also besonders Latein, Französisch – verfügt, aber es ist umstritten, welche es eigentlich gibt, welche erlaubt sind – zeitgenössisch spricht man von „zierlich“ – und welche zu vermeiden oder eventuell zu fördern sind. Während die so genannten Anti-Participianer u.a. im Gebrauch von satzeröffnenden Partizipialgruppen und Gerundien einen ‚barbarischen‘ Verstoß gegen den deutschen Sprachgeist sehen, unterstützen die Participianer die genannten Verwendungen und den weiteren Ausbau partizipialer Strukturen im deutschen Sprachsystem. Die Diskussion ist höchst kontrovers, obwohl „Kürze“ im Ausdruck nicht nur als Ideal der Rhetorik, sondern besonders auch als Gegenentwurf zur Kanzlei- und literarischen Barocksprache durchgängig positiv bewertet wird (vgl. Polenz 1994: 271–274 und Spitzl-Dupic 2018).
Dieser Hintergrund erleichtert das Verständnis der Behandlung kurzer Formen in dem Text von Christian Friedrich Hempel (?–1757), einer 1754 veröffentlichten Grammatik von ca. 1.400 Seiten.