Читать книгу Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue - Anne-Laure Daux-Combaudon - Страница 10
2 ‚Kürze‘ und kurze Formen in Christian Friedrich Hempels Erleichterte Hoch-Teutsche Sprach-Lehre […] (1754)
ОглавлениеDer Autor bezieht sich explizit auf alle zeitgenössisch wichtigen Grammatiken und Lexikologen, wobei er Positionen von z.B. Schottelius (1663), Bödiker (1690), Bödiker / Wippel (1746), Gottsched (1748), Aichinger (1754) zitiert und diskutiert. Er ist jedoch oft ausführlicher und gibt mehr Beispiele an. Die in Hinblick auf kurze Formen verwendeten Termini sind Ellipsis oder Verbeis(z)ung, Weglassung, Auslassung und Contraction, wobei jedoch angemerkt werden muss, dass die Unterschiede verschwommen bleiben und Ellipsis bzw. Verbeiszung und Auslassung als Hyperonyme zu fungieren scheinen.
Im Folgenden sollen nun in diesem Werk genannte kurze Formen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit ihren Funktionen, Daseinsgründen und Wirkungen untersucht werden. Diese Formen entsprechen Ausdrücken, in denen in bestimmten – modern gesprochen – phonologischen, semantischen oder morphosyntaktischen Kontexten Elemente übergangen / ausgelassen / „verbissen“ werden, und dies – auf dem Hintergrund der oben erwähnten sprachpolitischen und sprachkritischen Perspektive und der Topoi Klarheit und Bestimmtheit – manchmal zu Recht, aber meistens, laut Autor, zu Unrecht.
Allgemein sind erlaubt Ausdrücke, in denen laut Hempel, ein Subjekt, und, de facto, meist auch das konjugierte Verb ausgelassen werden und die, laut Autor, sprachübergreifend als Standardformeln existieren, z.B.:
(1) Guten Morgen
(2) Ihr Diener (Hempel 1754: 1248–1249)
Kommunikativ angemessen, laut Hempel „gebräuchlich“, sind auch Auslassungen von einem Modalverb (plus Subjekt), wenn sie Zeichen eines „starken Affects“ sind, z.B.:
(3) Was? Ich (soll) auf den trojanischen Feldern sterben?
Auch bestimmte grammatische Konfigurationen können aus morphosyntaktischen und ontologischen Gründen zur Annahme von Auslassungen führen. So nimmt Hempel eine elliptische Konstruktion bei substantivierten Adjektiven an, z.B.
(4) meine Schöne (ebd.: 778)
da ein substantiviertes Adjektiv eine nicht bezeichnete Substanz impliziert.
Meistens jedoch kritisiert Hempel kurze Formen, und dies u.a. mit dem Hinweis auf einen Verlust von Deutlichkeit, einem, wie gesehen, zeitgenössisch zentralen Topos. Problematisch sei in diesem Sinn z.B., wenn Adjektive in „Redensarten“ ausgelassen werden:
(5) er hat keine Erziehung, d.i. keine gute (ebd.: 736)
Problematisch sei auch die – in der zeitgenössischen Dichtung tatsächlich häufig vorkommenden – Auslassung des konjugierten Hilfsverbs, da dadurch die Information zu Tempus und Genus des Verbs verloren gehe, z.B.:
(6) Da ich vernommen (ebd.: 991)
Deutlichkeit geht Hempels Erachtens auch verloren bei der „Contraction“ von Silben, z.B.:
(7) rein – raus; rauf, runter (ebd.: 1239)
Neben dem Verlust von Deutlichkeit, der z.B. in (5) um so weniger einsichtig ist, als Mitte des 18. Jhs. polylexikale „Redensarten“ schon in sprachtheoretischen Schriften behandelt werden, ist ein weiteres Argument gegen ‚Kürze‘ ein Verstoß gegen die „Analogie der Sprache“. Die Normvorstellung ist hier, dass die Regeln einer Sprache möglichst durchgängig gelten, sodass Ausnahmen von Regeln Ansatzpunkte für Kritik sind. Auf diesem Hintergrund fordert Hempel, die Konjunktion daß nach Verben der Wahrnehmung und des Sagens nie auszulassen, da sie nicht bei allen Verben möglich ist, z.B. nicht bei riechen, verschweigen (vgl. ebd.: 1021).
Ebenfalls nicht dem Sprachsystem entsprechend und darüber hinaus dissonant sind laut Hempel Auslassungen von Flexionsmarkierungen
(8) ich halt(e) […] geh(e)n, steh(e)n etc. (ebd.: 475)
und „Contractionen“, besonders von dem Pronomen es mit Verben, Konjunktionen oder Pronomina:
(9) ich habs, weils warm ist, wos, sos (ebd.)
Auch die Verwendung von Partizipien wird natürlich diskutiert und grundsätzlich als Mittel der sprachlichen Kürze und „Zierlichkeit“ vorgestellt, aber Hempel warnt vor allem mit den schon oben skizzierten Argumenten vor einem nicht sprachgerechten, aber auch nicht sachgerechten Gebrauch, der auch aus der beim Volk fehlenden Unterscheidung zwischen aktivischem und passivischem Sinn entstehe (ebd.: 1052). So führt er u.a. als Missbrauch Ausdrücke an wie kraft des tragenden Amtes anstelle Kraft des Amtes, das von jemandem getragen wird, und wohlruhende Nacht, da die Nacht ja nicht ruhe (ebd.: 1053).
Wortbildung behandelt Hempel ebenfalls ausführlich, wobei auch er das „unendliche Potential“ des Deutschen lobt, sich aber daneben kritisch gegenüber Bildungen äußert, die er als „Wort=Gespenster[…]“ bezeichnet, z.B. Stürzebecher, das als Synonym zu Trunkenbold verwendet werde, „da doch der Becher ja nicht stürzet, sondern gestürzet wird“ (ebd.: 155).
Sowohl der Missbrauch von Partizipien als auch von Wortbildung führt seines Erachtens zu sprachlicher „Härte“, womit zusätzlich zu der gerade illustrierten mangelhaften, inkohärenten Aneinanderreihung von Begriffen auch fehlende Euphonie gemeint ist.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Hempel eine große Varietät kurzer Formen im Deutschen identifiziert, für die er im Allgemeinen explizit, auf jeden Fall aber implizit, die Möglichkeit einer längeren Variante angibt. Die Akzeptanz der kürzeren Formen gründet sich vor allem auf eine gewisse Häufigkeit ihres Vorkommens. Die meisten kurzen Formen werden jedoch kritisiert. Die Argumente sind ihre fehlende Deutlichkeit und Bestimmtheit, ihre dem Sprachsystem nicht gerechte Form, Dissonanz, semantische Inkohärenz („Härte“) und ihr Ursprung in der gesprochen Sprache des „Pöbels“. Modern könnte man von einer hyperkorrektiven Haltung gegenüber der Muttersprache sprechen, erklären lässt sich diese natürlich aus der Motivation, das Sprachverhalten deutscher Sprecher / Schreiber zu „verbessern“, um die Sprache politisch und literarisch aufzuwerten.
Ich wende mich nun der zweibändigen Grammatik (1836–1839) des Schweizer Germanisten Max Wilhelm Götzinger (1799–1856) zu. Dieses Werk entsteht in einem Kontext, in dem die Fundamente der deutschen Schulgrammatik schon gefestigt, die historische und historisch-vergleichende Grammatik institutionalisiert sind und das Deutsche anderen europäischen Sprachen als ebenbürtig angesehen wird. Der Kontext der Sprachuntersuchung erlaubt also prinzipiell ein weniger sprachnormatives Vorgehen als wir es bei Hempel beobachtet haben.