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ОглавлениеMaja drückt auf die Klingel am Eingang des gelb verklinkerten Hauses, das direkt an der Hauptstraße steht. Von hier aus sind es etwa 300 Meter bis zur Pizzeria und zum Supermarkt. Weit sind sie mit ihren Umfragen nicht gekommen. Und viel Neues haben sie auch nicht erfahren.
Hinter der Tür tut sich nichts, und Maja klingelt erneut. Es ist Donnerstag, einige Leute sind bestimmt bei der Arbeit. Neben ihr schwitzt Jokke vor sich hin. Immer wieder fährt er sich über die Stirn, und selbst seine langen blonden Wimpern wirken verklebt vom Schweiß. Er ist bestimmt ebenso froh, nicht durch den Wald laufen zu müssen, wie sie.
»Niemand zu Hause«, sagt er, und Maja nickt. Dabei ist sie sich sicher, dass jemand da ist. Sie hat zuvor eine vage Bewegung in einem der Fenster bemerkt. Doch offensichtlich will der Bewohner nicht mit ihnen sprechen.
»Gehen wir weiter«, sagt sie.
Jokke notiert sich die Hausnummer und den Namen und folgt ihr zum benachbarten Grundstück. Das Haus ist mit grauen Eternitplatten verschalt, der Vorgarten leidlich gepflegt. Ehe Maja klingeln kann, öffnet sich auch schon die Tür.
»Ja?« Eine ältere Dame schaut sie mit großen Augen an. Darin lauert Neugier. Maja seufzt. Das wird eine der längeren Befragungen werden.
»Guten Tag, Lövgren und Larsson von der Polizei Karlskrona«, stellt sie sich vor. »Wir hätten ein paar Fragen an Sie. Dürften wir zu Ihnen reinkommen, Frau …?«
»Eriksson. Agnes Eriksson. Natürlich. Bitte.« Die alte Dame lässt sie eintreten und führt sie ins Wohnzimmer, wo sie auf eine grüne Sofagarnitur weist. Dabei klirren die goldenen Armkettchen um ihre dürren Handgelenke. »Bitte, setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe gerade einen in der Küche stehen.«
Maja, die weiß, dass es keinen Zweck hat abzulehnen, nickt. Wenig später erscheint die Frau mit drei Tassen und einer Perkolatorkanne und stellt alles auf dem Tisch ab. Dazu ein Milchkännchen, eine Zuckerdose und Kekse. Schweigend gießt sie ein und reicht Maja und Joakim die Tassen, dann setzt sie sich ihnen gegenüber in den Sessel und faltet die Hände auf ihrem Schoß. Es ist ihr anzusehen, wie die Neugier an ihr zerrt.
Um der Höflichkeit Genüge zu tun, nimmt Maja einen Schluck. Jokke hat bereits den Notizblock gezückt und sein Stift schwebt über dem Papier.
»Wir sind hier wegen …«
»Des Unfalls, stimmt’s?«, platzt es aus der Frau heraus. »Das ist wirklich furchtbar.«
»Ähm ja, richtig. Aber vielmehr wollen wir etwas über die betroffene Familie wissen. Die Nowaks aus Deutschland. Es geht um die Frau, Christina, wir suchen sie.« Maja zeigt der alten Dame das Foto. »Sind Sie ihr schon mal begegnet? Und wenn ja, wann und wo war das?«
»Ähmmm, das war beim Einkaufen, drüben im Supermarkt. Da waren die öfter. Das letzte Mal hab ich sie gesehen, das war …«, sie scheint zu überlegen, »am Dienstag, glaube ich.«
»Also vorgestern?«
»Nein. Vor einer Woche. Da war sie einkaufen mit ihrem behinderten Kind. So ein Mongoloid oder wie die heißen. Jedenfalls hat das Mädchen ununterbrochen für Ärger gesorgt. Die Frau war genervt und sah ziemlich fertig aus. Aber das wäre ich auch mit solch einem Kind. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich bewundere jeden, der ein behindertes Kind großzieht. Ich selbst habe vier Kinder zur Welt gebracht. Also normale, und das war schon nicht leicht. Aber muss das heute noch sein? Ich meine, das mit der Behinderung. Früher hat man ja nichts dagegen tun können, aber bei dem heutigen Stand der Medizin lässt sich das doch verhindern. Wie kann man sich nur bewusst damit belasten?«
»Für manche sind das genauso Menschen, die ein Recht auf Leben haben, wie Sie und ich«, sagt Maja in leicht tadelndem Ton. »Und für viele Familien ist das keine so große Belastung, wie man vielleicht glauben mag.«
Die alte Dame winkt ab. »Na ja, ich weiß jedenfalls, was ich gesehen habe.«
»Sind Sie auch Herrn Nowak begegnet?«, fragt Maja.
»Ja, der ist ständig durch den Ort gefahren. Immer hin und her. Das konnte ich vom Garten aus gut beobachten. Ich sehe ja jeden, der vorbeikommt.«
»Und die ältere Tochter? War die auch oft im Ort unterwegs?«
»Diese kleine Dirne?« Frau Eriksson stößt missbilligend Luft aus. »Und ob. Hab sie dabei beobachtet, wie sie mit den Jungen kokettiert hat. Schamloses kleines Ding. Hat mit denen vor ›Melkers Pizza‹ rumgelungert und wie ein Schlot geraucht. So etwas hätten meine Kinder niemals gedurft. Furchtbar.«
Maja verkneift sich eine weitere Zurechtweisung. Bei der Alten sind Hopfen und Malz verloren, und fast tun ihr deren Kinder leid, obwohl sie sie gar nicht kennt.
»Wissen Sie, ob es in Hultsjö jemanden gibt, der näheren Kontakt zu den Nowaks hatte?«
»Mit denen? Nein, mit Leuten von außerhalb wollen wir nichts zu tun haben.«
Mit Leuten von außerhalb, denkt Maja abfällig. Sag doch gleich, dass du Ausländer meinst. »Und warum?«, fragt sie, um ein wenig in der Wunde zu bohren.
»Na, weil die alles aufkaufen und kaum Häuser für die Einheimischen übrig lassen. Eine Schande ist das!«
»Ich glaube, die meisten Häuser, die von Auswärtigen gekauft werden, wollen die Einheimischen gar nicht mehr haben. Ist das nicht so? Das sind Gebäude, die lange leer gestanden haben und verfallen, weil die jungen Einheimischen in die Stadt ziehen und die Alten sich nicht mehr darum kümmern wollen oder können.«
»Kann sein. Ich hoffe zumindest, dass meine Kinder mein Haus nicht an Ausländer verkaufen, wenn ich einmal nicht mehr bin.«
Maja beißt die Zähne aufeinander, damit ihr nicht doch ein böser Kommentar rausrutscht. Stattdessen erkundigt sie sich, wie viele Ausländer in Hultsjö bereits Häuser gekauft haben.
»Zu viele, hab ich doch gesagt. Aber wenn Sie es genau wissen wollen, fragen Sie Ludvig Staffansson, er ist der Vorsitzende des Ortsvereins.«
Staffansson schon wieder. Der Name scheint in Hultsjö allgegenwärtig zu sein. Maja muss an die ältere Frau im Frisörsalon denken. Ein Ausbund an Herzlichkeit.
Maja zeigt Frau Eriksson das Foto von dem Drohbrief auf ihrem Handy. »Ist der von Ihnen?«
Als die Frau kapiert, was Maja meint, stößt sie einen empörten Laut aus. »Wie bitte? Ich soll das gewesen sein? Was denken Sie von mir? Das ist ja unerhört!«
Ohne ihre Verachtung zu zeigen, gibt Maja Jokke ein Zeichen, und sie stehen auf. »Haben Sie vielen Dank für die Informationen, Frau Eriksson. Wir müssen weiter.« Nur widerwillig steckt sie der alten Dame ihre Karte zu und wendet sich zum Gehen.
»Ach, übrigens. Was ist eigentlich mit Ihrem Mann, Frau Eriksson? Hat der vielleicht etwas gesehen?«, hört sie Jokke in ihrem Rücken fragen. »Er wohnt doch auch hier, oder nicht? Auf Ihrem Türschild steht ›Agnes und Walfrid‹.«
Frau Eriksson wirkt mit einem Mal betrübt. Ihr Blick huscht zu der Wand hinter Jokke, an der Dutzende von gerahmten Bildern hängen. Auf dem größten in der Mitte prangt eine Trauerbanderole.
»Das ist Walfrid«, sagt sie. »Leider ist mein Schatz vor einem halben Jahr gestorben.«
Maja muss sich zwingen, nicht überrascht zu gucken. Auf den Fotos ist ein kleiner weißer Hund abgebildet.