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ОглавлениеMaja bleibt vor der nächsten Haustür stehen und blickt in Jokkes glühendes Gesicht. Die Sache mit Walfrid ist ihm sichtlich peinlich, dabei konnte ja keiner ahnen, dass Frau Erikssons Ehemann Albert bereits vor sieben Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist und Walfrid ihr geliebter Schoßhund war. Maja ist auch aufgefallen, dass von Albert kein einziges Bild im Wohnzimmer hing.
Jeder, wie er meint, denkt sie und klingelt. Kurz darauf öffnet ihnen eine gestresst aussehende Mutter mit zwei kleinen Kindern, die ihr am Rockzipfel hängen.
Maja erklärt, wer sie sind, und die Mutter lässt sie eintreten. Sie nimmt sie mit in die Küche, wo sie gerade dabei ist, zu kochen. Die beiden Kinder beobachten die Polizisten mit gewisser Skepsis.
»Muss Mama ins Gefängnis?«, fragt der Junge. Er ist etwa fünf Jahre alt und seine kleinere Schwester schätzt Maja auf drei. Er wirkt überhitzt und hat glänzende Augen, seine feinen blonden Haare kleben ihm an der Stirn. Wahrscheinlich hat er wild im Haus herumgetobt, bevor sie geklingelt haben.
Maja merkt, dass die Mutter bei dem Wort »Gefängnis« das Gesicht verzieht und den Mund aufmacht, um den Jungen zu ermahnen, aber Maja kommt ihr zuvor. »Nein, wir wollen deine Mama nur etwas fragen.«
»Was denn?«
Maja weist auf die Kinder. »Können Sie die Kleinen vielleicht einen Moment rausschicken? Was ich zu sagen habe, ist nichts für sie.«
Die Mutter hebt entnervt die Arme. »Wie soll das gehen? Sie sehen doch, dass ich alle Hände voll zu tun habe. Außerdem würden die beiden sowieso nicht draußen bleiben. Sie können ruhig offen sprechen.«
Maja ist zwar anderer Meinung, aber da ihr nichts anderes übrig bleibt, fährt sie fort, wählt ihre Worte jedoch sorgfältig aus.
»Wer ist denn Frau Nowak?«, fragt der Junge, nachdem Maja seiner Mutter die Frage gestellt hat, ob sie ihr begegnet ist.
Maja ignoriert den Knirps und wartet auf eine Antwort.
»Sie meinen die Deutsche. Die ist mir ein paarmal über den Weg gelaufen. Im Laden hauptsächlich.«
»Und wie sah sie aus?«
»Schlimm. Sie trug einen knöchellangen grauen Rock und eine blaue Strickjacke. Voll altmodisch. Und ihre Haare waren auch ganz strähnig, als wäre sie lange nicht mehr beim Frisör gewesen.«
»Ist Ihnen noch etwas aufgefa…?«
»Schießt du mit der Pistole?«, ruft der Knirps und zeigt auf Majas Waffe.
»Ja. Aber das ist nichts für Kinder«, entgegnet sie geduldig.
»Ich will auch mal schießen. Peng, peng, peng!« Laut rufend rennt der Junge durch die Küche und zielt mit dem Zeigefinger auf Maja und Jokke. »Peng, peng. Ich erschieße die Polizei.«
»Jan. Hör auf!«
»Peng. Peeeng. Du bist toooot!«
»Jan!«
Der Junge interessiert sich nicht dafür, was seine Mutter sagt, und tobt weiter herum. Schließlich ergreift Jokke die Initiative und beugt sich zu dem kleinen Rabauken hinab. »Soll ich dir zeigen, wie man einen Dieb festnimmt?«
Jan ist schlagartig still und blickt erwartungsvoll zu Jokke auf. Der fasst das Kind bei der Hand und geht in Richtung Verandatür. »Draußen, im Garten«, sagt er mit einem Augenzwinkern zu Maja und der Mutter und ist verschwunden. Das kleine Mädchen rennt mit nackten Füßen hinterher.
Die Mutter seufzt und schüttet Nudeln ins kochende Wasser. Dampf quillt heraus und lässt die Hitze in der Küche ansteigen.
Maja nimmt die Mütze ab und wischt sich über die Stirn. »Also ist Ihnen nichts Besonderes an der Familie aufgefallen?«
»Nö. Nicht, dass ich wüsste. Hab mich aber auch nicht viel um die gekümmert. Hab wirklich anderes zu tun.« Sie macht eine Geste in Richtung Herd, während von draußen das vergnügte Quieken des Jungen durchs Fenster dringt. Maja kann sehen, wie er versucht, Jokkes langen Armen zu entwischen.
»Gab es irgendwelche Anfeindungen gegenüber den Nowaks? Weil sie das Haus gekauft haben?«, greift Maja den Faden auf, der zu der nächsten Frage mit dem Drohbrief führen soll. »Sind irgendwelche Leute aus dem Ort sauer deswegen?«
»Nö. Nicht, dass ich wüsste.« Wiederholt die Mutter ihren nicht allzu großen Wortschatz. »Hier sind eigentlich alle recht friedlich.«
Maja zeigt ihr das Foto von dem Brief. »Das sieht mir aber nicht danach aus. Kennen Sie den?«
In diesem Moment kocht das Nudelwasser über, und es zischt. Hektisch greift die Mutter nach einem Lappen in der Spüle. Beim Wegwischen des Wassers verbrennt sie sich die Finger und flucht. Danach pfeffert sie den Lappen ins Waschbecken.
Maja stellt ihre Frage erneut. »Kennen Sie den Brief?«
»Nein, verdammt! Ich hab das Ding nie gesehen«, schimpft die Mutter.
Maja lässt ihre Augen zu dem niedrigen Tisch wandern, der im angrenzenden Wohnzimmer steht. Darauf liegen Zeitungsschnipsel, Klebestift und Schere.
»Das ist nicht Ihr Ernst, oder?« Die Mutter ist ihrem Blick gefolgt. »Das ist der Bastelkram meiner Kinder.«
»Darf ich eine Probe mitnehmen – von den Schnipseln und dem Kleber?«
»Nein. Und jetzt raus!«
Maja hebt beide Hände. »Schon gut. War ja nur eine Frage. Einen schönen Tag noch. Ich finde selber nach draußen.« Sie stapft an der Frau vorbei und durch die offene Verandatür hinaus in den Garten, wo Jokke den Knirps gerade gepackt hat und durchkitzelt. Mit hochrotem Kopf windet sich dieser und kreischt vor Vergnügen. Das Mädchen steht daneben und gluckst glücklich. Vielleicht freut sie sich, dass es ihrem nervigen Bruder endlich mal an den Kragen geht.
»Joakim?«, ruft Maja, und ihr Kollege richtet sich auf. In seinen Augen leuchtet es mindestens ebenso vergnügt wie in denen des Jungen, der sich wie irre kichernd an sein Bein hängt. »Abmarsch!«
»Bin schon da.« Jokke schüttelt den Jungen freundschaftlich ab und ermahnt ihn, brav zu sein, sonst käme er zurück und würde ihn zur Strafe 100 Jahre lang durchkitzeln.
Kurz darauf stehen sie an der Straße und Jokke zupft seine Uniform zurecht.
»Gut gemacht«, lobt Maja ihn. »Das mit dem Jungen, meine ich. Hast ein Händchen für Kinder.«
»Danke. Ich kann mich eben gut in sie hineinversetzen.«
Maja muss schmunzeln. »Und was hältst du von der Frau?«
»Ich glaube, wir sollten ihren Ehemann überprüfen. So, wie ihr Sohn auf uns reagiert hat, scheint der Bursche mal gesessen zu haben.«
»Joakim«, sagt Maja begeistert. »Chapeau!«
Ihr Kollege runzelt die Stirn. »Schappo?«
»Ach, vergiss es.« Maja geht auf das nächste Haus zu.