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Maja sieht, wie Göran das Gespräch mit dem deutschen Polizisten beendet und das Handy in die Tasche seiner Uniform steckt.

»Was hast du da?«, fragt er.

»Scheint ein Tagebuch zu sein, allerdings in Bildern.« Maja hält ihm einen DIN-A4-Collegeblock entgegen. Vorn auf dem Einband prangt in unbeholfener Schrift »Ronja, das Trollkind«. Er blättert die Seiten auf, die voll krakeliger Filzstiftzeichnungen sind.

»Was heißt ›Trollkind‹?«, fragt Göran. »Ich kann kein Deutsch.«

»Trollbarn, glaube ich. Sieh mal, da hat das Mädchen einen großen dicken Troll gemalt. Und das soll bestimmt das Haus darstellen, in dem wir gerade sind. Es ist umringt von Trollen. Ob das etwas bedeutet?«

»Kann sein. Vielleicht ist es bloß Fantasie. Wir nehmen das Ding mit. Jemand, der Ahnung davon hat, soll es sich ansehen.« Er gibt Maja den Block zurück, und sie steckt ihn in einen papiernen Beweismittelbeutel.

»Der Typ von Skanpol, mit dem du eben telefoniert hast – könnte der nicht herkommen und uns helfen?«, fragt Maja.

»Wieso?«

»Ist dieses Skanpol nicht genau für solche Angelegenheiten da?«

»Kann sein.«

Maja guckt ihren Kollegen an. »Ich hatte ebenfalls eine kurze Nacht, Göran. Wäre schön, wenn du deine schlechte Laune nicht an mir auslässt.«

Göran wendet sich ab und geht nach nebenan ins Schlafzimmer. Hinter seinem Rücken rollt Maja mit den Augen, bevor sie ihre Suche im Wohnzimmer des kleinen Häuschens fortsetzt und sich bis in die Küche vorarbeitet. Auf der Anrichte liegt ein Handy. Ein Oldschool-Gerät mit Tasten. Wer benutzt denn heutzutage noch so was? Sie lässt es erst mal liegen und öffnet die Schränke, nimmt alles genau in Augenschein. Sogar in die Müslipackungen schaut sie rein.

»Hoppla«, sagt sie und fischt einen Gegenstand heraus.

»Ich hab was!« Göran tritt aus dem Schlafzimmer und wedelt mit zwei roten Reisepässen und zwei Kinderausweisen. »Die IDs und zwei Geldbörsen. Eine lag im Zimmer der Eltern, die andere bei der Jugendlichen.«

»Und ich hab zwei Handys. Das eine war seltsamerweise im Müsli versteckt.« Sie hält ein Smartphone hoch.

»Wirklich? Das ist ungewöhnlich.« Göran nimmt ihr das Telefon ab und guckt auf die pinkfarbene Hülle mit einem Einhorn darauf. »Gehört bestimmt der älteren Tochter. Jedenfalls müssen da die Techniker ran, es ist ausgeschaltet.«

»Vielleicht ist nur der Akku leer.« Maja schiebt Göran das andere Telefon hin.

»Ist das ein Seniorenhandy?«, fragt er und untersucht das kleine schwarze Gerät. Maja zuckt mit den Schultern, während ihr Vorgesetzter darauf herumdrückt, aber das Handy scheint eine Tastensperre zu haben, die nur mit einem Code aufgehoben werden kann. Göran legt es zu den anderen Fundstücken und blättert in den Pässen. Laut liest er die Namen vor: »Jochen Nowak, Christina Nowak und die Kinder Eva-Lotta und Ronja. Bingobongo, würde ich sagen!«

Bingobongo? Gott, wo hat er denn das her? Maja öffnet eine der Geldbörsen. Sie gehört Christina Nowak. Leider befindet sich darin nichts, was einen Hinweis darauf gibt, wo Frau Nowak stecken könnte.

»Mann, was für ein Chaos«, sagt Göran mit Blick auf das Wohnzimmer.

»Sieht aus wie ›Wohnen auf der Baustelle‹ mit dem frischen Durchbruch zur Küche. Die Nowaks wollten den Raum wohl erweitern.« Maja dreht sich um sich selbst. »Was ist hier bloß passiert?«

»Dem Typen sind die Sicherungen durchgebrannt, und er hat seine Familie umgebracht, das ist passiert.«

»Wo ist dann die Leiche der Frau? Außerdem fehlen hier jegliche Spuren eines Kampfes. Etwas, das darauf hindeutet, dass Christina Nowak sich gegen ihren Mann zur Wehr gesetzt hat.«

»Vielleicht hat er sie ja hinterrücks erschlagen und entsorgt.« Göran zupft an seinen Latexhandschuhen.

Maja seufzt. »Die arme kleine Ronja.«

»Du meinst das Mongo-Kind?«

»Mensch, Göran! Jetzt mach aber mal halblang.« Manchmal ist ihr Kollege echt ein Idiot.

»Schon gut. Zumindest hat sie den Unfall überlebt. Schade, dass wir sie bisher nicht befragen konnten. Der Arzt sagt, das Mädchen muss noch einige Zeit im künstlichen Koma bleiben.«

Maja packt die Geldbörsen und die Telefone in Beweismitteltüten und sieht ihren Chef eindringlich an. »Wir müssen die Mutter finden.«

Göran will etwas sagen, doch draußen poltern plötzlich Schritte auf der Treppe, und kurz darauf wird die Tür aufgestoßen. Polizeiassistent Joakim Larsson stürmt herein. Sein roter Haarschopf und sein jungenhaftes Gesicht stehen im Kontrast zu seiner dunkelblauen Uniform. Er wirkt wie 20, denkt Maja. Dabei ist er mit Mitte 30 nur ein paar Jahre jünger als sie.

»Göran, ich habe was gefunden. In der Scheune!« Joakim grinst stolz.

»Was denn, Jokke? Etwa die Frau?«, raunzt Göran den Polizeiassistenten an, der weiterhin grinst. »Nun sag schon. Die Show kannst du dir sparen.«

Danke, Göran, denkt Maja genervt und wartet darauf, dass ihr neuer Kollege Joakim endlich auspackt.

Dessen Grinsen ist verschwunden. »Also, d-da sind … Knochen in der Scheune, ja, und … Blut.«

»Blut und Knochen? Mann, und das sagst du erst jetzt? Hoffentlich hast du alles so gelassen, wie du es vorgefunden hast. Scheiße!«

»Äh, ich hab nichts angefasst … bis auf die Knochen … vielleicht.«

»Blödmann.« Göran stößt Jokke zur Seite und läuft nach draußen. Maja folgt ihm. Hinter ihnen stolpert der neue Kollege über den Rasen und muss seine Båtmössa festhalten, damit ihm die Mütze nicht herunterrutscht.

Die Scheune ist größer als das Wohnhaus. Ihre groben Bretterwände sind ebenfalls mit roter Farbe gestrichen, die allerdings in größeren Flocken abblättert. Unter dem Giebel hängen mehrere Schwalbennester, in denen reger Flugverkehr herrscht. Pfeifend zischt eine Schwalbe über Maja hinweg und stößt in den blauen Himmel empor.

»Ich hab nichts angefasst, wirklich. Nur die Knochen. Und die sind a…«

»Schnauze!« Göran tritt durch das offene Tor ins dämmrige Innere. Auf dem Boden sind Reifenspuren zu erkennen, vermutlich haben die Nowaks ihren Volvo hier geparkt. Altes Heu liegt herum, und verrostete Gartengeräte stehen an den Wänden. Hacke, Axt, Säge, Sense. In einer Ecke sind frische Bretter gestapelt, ein Haufen Holzverschnitt wartet darauf, im Kamin verbrannt zu werden. Auf einer schiefen Kommode daneben stehen fünf Eimer Farbe. Falunrot und Weiß.

»Wo ist es?«, fragt Göran.

Jokke schleicht mit eingezogenem Kopf an ihm vorbei. »Dort ist das Blut.« Er zeigt auf einen tellergroßen Fleck auf dem Boden.

Göran und Maja beugen sich hinab.

»Hm.« Göran tippt mit seinem behandschuhten Finger in die eingetrocknete Lache. »Das ist kein Blut.«

»Nicht?«

»Nein, du Idiot!«

Joakim reißt erstaunt die Augen auf.

»Das ist Farbe, vermischt mit …«, Göran hält sich den Finger unter die Nase, »keine Ahnung. Wie Öl riecht es nicht. Vielleicht stammt es von einem Fahrzeug, das in der Scheune gestanden hat. Einem Traktor oder dem Volvo der Familie. War ja ein älteres Modell.«

»Oh.« Mehr kommt nicht von Joakim, der knallrot anläuft.

Maja sagt nichts. Das Farb-Irgendwas-Gemisch wirkt tatsächlich wie Blut. Sie hätte auch darauf reinfallen können. Allerdings hätte sie es sich zuerst genauer angesehen, ehe sie darüber Meldung gemacht hätte. Sie schaut sich um. Über ihnen befindet sich ein offener Heuboden. Rechter Hand führt eine klapprige Leiter bis unters Dach. »Warst du dort oben?«, fragt sie Jokke.

Der Polizeiassistent schüttelt den Kopf.

Ohne Umschweife klettert Maja die morschen Sprossen hinauf. Oben erwarten sie uralte Heureste, Taubenkot und Spinnweben. Die Luft ist drückend und stickig, und irgendwo summt ein Insekt. Durch ein paar Löcher im Wellblech fallen Lanzen aus Licht.

»Hier ist nichts«, ruft sie ihren Kollegen unten zu. Der falsche Blutfleck prangt genau zwischen Göran und Joakim auf dem Boden. Sie dreht sich um und will die Leiter hinabsteigen, da entdeckt sie etwas auf dem Boden. »Da liegt ein Messer.«

»Ein Messer?«

»Ja. Ein altes Schnitzmesser. Damit hat jemand Buchstaben in einen der Dachbalken geritzt. Wirkt alles frisch. Ein L, ein Pluszeichen und ein … schiefes I. Ich lasse alles, wie es ist, für die Spurensicherung.« Mit ihrem Handy macht Maja einige Fotos und klettert nach unten, wo sie Göran die Aufnahmen zeigt.

Nachdem er sie betrachtet hat, wendet er sich an Jokke: »Und wo sind die Knochen?«

Jokke führt sie zu der klapprigen Kommode und weist in das dunkle Viereck hinter den geöffneten Türen. Ein weißes Bündel liegt darin. »Erst hab ich gedacht, es ist ein Haufen Äste, den jemand in ein Laken gewickelt hat, aber dann …«

Göran schiebt sich an Jokke vorbei. Mit spitzen Fingern nimmt er einen der größeren »Äste« aus dem Bündel. Es ist ein menschlicher Oberschenkelknochen.

»Das Laken scheint neu zu sein, der Knochen ist definitiv alt«, stellt Maja fest.

»Sag ich doch«, entgegnet Jokke zaghaft. »Ob die was mit dem Fall zu tun haben?«

»Not sure. Die waren irgendwo vergraben oder so, da klebt trockene Erde dran.« Göran legt den Knochen zurück in das Bündel und untersucht vorsichtig den Rest der Gebeine. »Kein Schädel.« Er richtet sich auf. »Puh, die Jungs von der Spurensicherung beneide ich nicht. Die erwartet jede Menge Arbeit.«

Maja wackelt mit dem Handy. »Und deshalb rufe ich jetzt auch diesen Typen von Skanpol an. Seine Unterstützung können wir gut brauchen. Wie heißt der noch mal?«

»Skagen.«

»Nein! Etwa Tom Skagen?«

»Ja.«

»Das gibt’s nicht.« Maja schnalzt mit der Zunge.

»Was ist?«, fragt Göran mit gerunzelter Stirn.

»Wenn es der Tom Skagen ist, an den ich denke, dann war seine Schwester damals eine Schulfreundin von mir. Tom war zwei Klassen über mir. Mein Gott, was für ein Zufall.«

»Der ist in Karlskrona aufgewachsen? Warum hat er mir vorhin nichts davon gesagt?«

»Vielleicht, weil du ihn nicht hast zu Wort kommen lassen?« Maja wirft ihrem Vorgesetzten einen spöttischen Blick zu. Der quittiert das mit einem Augenrollen und diktiert ihr schließlich die Durchwahl von Skagen.

Kalte Nacht

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