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In dem karg dekorierten Lokal von »Melkers Pizza« herrscht eine feindselige Atmosphäre. Nicht nur, dass alle im Dorf eine eigene Meinung zu den Geschehnissen rund um die Nowaks zu haben scheinen, es wirkt auch so, als sei allein die Anwesenheit der Polizei ein Reizthema. Dabei wollen Maja und Jokke lediglich schnell zu Mittag essen, bevor sie ihre Befragungen fortsetzen. Aber in dem Moment, als sie bei dem Mann hinterm Tresen – seines Zeichens Melker Bolinder persönlich – zweimal Pizza Tonno bestellen, betritt eine Gruppe Waldarbeiter das Restaurant und fängt beim Anblick ihrer Uniformen sofort an, herumzustänkern.

Maja lässt sich nicht beirren und stellt den Waldarbeitern trotzdem ihre Fragen. Dabei zeigt sie ihnen das Foto von Tina Nowak, was die Stimmung nicht unbedingt verbessert. Immerhin sehen die fünf Motorsägenkünstler sich das Bild an, und tatsächlich meint einer von ihnen, Tina gesehen zu haben.

»Und Sie sind sicher, dass es diese Frau war, die bei Herrn Dahlberg im Auto saß?«, hakt Maja vorsichtshalber noch einmal nach. Aus dem Augenwinkel beobachtet sie, wie im Hintergrund eine blonde Frau zum Handy greift.

»Absolut sicher. Dahlberg ist mit ihr in seinem Pick-up in Richtung Emmaboda gefahren. Hab mir nix dabei gedacht, da sie ja Nachbarn sind und so«, antwortet der fetteste der Kerle.

»Wann war das?«

»Am Dienstagvormittag.«

»Mann, Fredde, willst du der Politesse deine ganze Lebensgeschichte erzählen?«, schnauzt einer der anderen Männer. »Ich will endlich was essen. Hab Kohldampf.«

»Ich bin aber noch nicht fertig mit meinen Fragen.« Maja bleibt hartnäckig. Die Kerle jagen ihr keine Angst ein.

»Scheiße, ich will jetzt meine Mittagspause machen und zwar ohne, dass mir die Bullen auf die Eier gehen.«

»Sind Sie Stammgäste?«, fragt Maja gelassen.

»Und ob«, entgegnet der ungehobeltste von den fünf Typen, es ist dieser Fredde. »Wir sind jeden Tag bei Melker. Nicht wahr?«

Der große Mann hinter dem Tresen nickt schüchtern.

»Wir arbeiten im Wald. Das ist verdammt hart. Und wenn wir hierherkommen, wollen wir gutes Essen und unsere Ruhe. Aber ständig sind da diese Scheißtouris mit ihren schreienden Bälgern. Da vergeht einem der Appetit, wenn man diese behinderten Bratzen angucken muss. Völlig degeneriert sind die. Sollten echt zu Hause bleiben.«

»Genau, warum bleiben die nicht zu Hause mit ihren hässlichen Kindern?«, fällt einer der anderen Kerle mit ein. Er trägt ein Heavy-Metal-Shirt mit abgerissenen Ärmeln und hat seine Sonnenbrille auf die rasierte Glatze geschoben.

»Obwohl – diese eine Kleine sah ziemlich scharf aus. War geschminkt wie eine Nutte.« Der Fette grinst anzüglich und tritt so dicht an Maja heran, dass sie nicht nur die geplatzten Äderchen auf seiner Nase sehen, sondern obendrein noch seinen Schweiß riechen kann.

»Sie kennen also die Familie Nowak?«, fragt sie.

»Hä, Nowak?«

»Ja, Sie sprachen eben von dem behinderten Kind einer Touristenfamilie. Das waren die Nowaks aus Deutschland. Können Sie uns etwas über sie erzählen? Ich meine, abgesehen davon, dass Sie sich durch das Kind gestört gefühlt haben und die Frau angeblich bei diesem Herrn Dahlberg im Auto gesessen haben soll?«

»Du bist wohl ’ne ganz Schlaue, was?«

»Nein, eher durchschnittlich intelligent. Und wie steht’s mit Ihnen?« Maja spürt, dass der Kerl ihr am liebsten das Wort »Fotze« ins Gesicht spucken würde, doch er beherrscht sich. Mit zuckenden Kiefermuskeln blickt er auf sie herab. Neben ihr platziert Jokke sachte eine Hand auf dem Griff seiner Waffe.

»Willst du mich erschießen, du Pimpf?«, faucht der Dicke ihn an.

»Nein, nur entspannt meine Hand ablegen. Bitte, meine Kollegin hat Ihnen eine Frage gestellt, und wie ich sie kenne, wartet sie auf eine Antwort.«

Respekt, denkt Maja und hält dem Blick des dicken Ekelpakets stand.

»Ich weiß nix über die«, sagt der Mann. »Wieso auch. Hab mit solchen Leuten nix zu tun.«

»Wohnen Sie in Hultsjö?«

»Ja. Und?«

»Ihr Name?«

»Was geht Sie das an?«

»Erst mal nichts, da haben Sie vollkommen recht. Aber ich habe das Gefühl, dass Sie uns gleich noch mehr beleidigen werden. Also sorge ich bloß für eine eventuelle Anzeige gegen Sie vor.«

»Du blöde F…« Gerade rechtzeitig bricht der Dicke ab und starrt sie hasserfüllt an.

»Ich wiederhole meine Frage. Diesmal an alle. Ist irgendjemand von Ihnen in letzter Zeit dieser Frau begegnet?« Sie hält das Foto von Tina Nowak hoch. »Sie ist die Mutter des behinderten Kindes. Besonders der Dienstag interessiert uns. Das war der Tag des Unfalls, über den Sie ja alle bereits bestens Bescheid wissen. Jeder Hinweis ist für uns wichtig, und sei er noch so klein. Also?«

Der Dicke stößt den Glatzköpfigen in die Seite. »Los, wir essen woanders. Hier hängen mir zu viele Uniformen rum. Nichts für ungut, Melker. Wir kommen morgen wieder, wenn sich das Geschmeiß verzogen hat. Abmarsch, Leute.« Er zwängt sich an Maja vorbei zur Tür.

»Ich hätte immer noch gerne Ihren Namen gewusst«, ruft sie ihm hinterher. »Sie sind schließlich ein Zeuge.«

»Und Sie sind Polizistin, finden Sie es selbst raus.« Damit rauschen der Widerling und seine Gang ab.

Nachdem die Typen in ihren Geländewagen gestiegen und mit dröhnendem Motor davongefahren sind, ist die Luft schon etwas weniger erfüllt von ätzendem Machogehabe.

Maja atmet tief durch, dreht sich zu Melker um und zieht fragend eine Braue hoch.

»Der Typ heißt Fredde oder besser Frederik John. Er arbeitet zusammen mit den vier anderen in Staffanssons Wald.«

»Also sind das Kollegen von … Wie heißt der Typ, der den Unfall gemeldet hat? Ach ja, Pål Svensson.«

»Nein«, sagt Melker. »Palle arbeitet für Ture Dahlberg.«

»Dahlberg. Ach so. Hast du das, Joakim?«

Jokke tippt sich mit dem Stift an die Stirn. »Klar.«

Maja betrachtet die anderen Gäste, die blonde Frau hat schon wieder ihr Handy am Ohr und spricht leise hinein. »Und was ist mit Ihnen?« Maja tritt auf sie zu. Mit am Tisch sitzen drei weitere Personen. Eine Frau und zwei ältere Jungen. Schnell packt die Blonde das Smartphone weg und versucht, unbeteiligt zu wirken. Ziemlich sicher hat sie vorhin den Buschfunk bedient. Maja hält ihr das Foto vor die Nase und fragt, ob sie Tina Nowak begegnet sei. Zuerst schüttelt die Frau den Kopf, doch dann nickt sie.

»Was jetzt? Haben Sie sie gesehen oder nicht?«

»Ja, natürlich.«

»Bei Herrn Dahlberg im Auto?«

»Nein. Im Ort, beim Einkaufen. Ist länger her. Stimmt das denn?«

»Stimmt was?«

»Dass ihr Mann sie geschlagen hat? Und dass es vielleicht Selbstmord war?«

»Nein, das sind alles unbegründete Anschuldigungen«, hält Maja missbilligend dagegen, obwohl sie weiß, dass es vergebene Liebesmüh ist. »Und solange nichts erwiesen ist, bitte ich Sie, von solchen Spekulationen Abstand zu nehmen.«

»Aber Agnes Eriksson hat das erzählt.«

Na super, denkt Maja. Die Gerüchteküche ist also im vollen Gang. Mal sehen, was sie bis heute Abend noch alles zu hören bekämen.

»Die Tochter soll ja ein Flittchen gewesen sein«, fährt die blonde Frau fort. »Da hatte Fredde vorhin vollkommen recht. Die ist herumstolziert, als gehe sie anschaffen.«

»Aha. Sind die anderen am Tisch derselben Meinung?« Maja guckt die zwei Jugendlichen und die Frau an. Alle zucken synchron mit den Schultern. Doch einer der Jungen macht den Eindruck, als wisse er mehr.

»Du willst was sagen, oder?«

Alle sehen ihn an und schlagartig wird er rot. »Ja … also die ältere Tochter. Die … hat mich angesprochen vorm Supermarkt. Vor ungefähr anderthalb Wochen. Aber ich wollte nichts von ihr, ehrlich.«

Die Frau mit dem Handy, die seine Mutter zu sein scheint, gibt ihm einen Klaps auf den Arm. »Davon hast du mir nichts erzählt, Oscar.«

Der Junge wischt sich verlegen den Pony aus dem Gesicht. »War ja nicht wichtig.«

»Was hat sie von dir gewollt?«, hakt Maja nach.

»Sie … ähm … sie hat mich nach einer Zigarette gefragt.«

»Aber du rauchst doch gar nicht. Oder etwa doch? Oscaaar?«

Schuldbewusst senkt der Junge den Blick und schweigt.

»Komm mal mit«, sagt Maja zu ihm. Sie will, dass er frei und ohne die Kontrolle seiner Mutter reden kann.

»Nein, er bleibt hier!«, kommandiert diese schroff. »Er wird jetzt auch nichts mehr sagen. Das muss er nicht. Er ist ja wohl nicht angeklagt.«

»Nein, das ist er nicht. Allerdings wäre es uns eine große Hilfe, mehr über die Familie Nowak zu erfahren.«

»Mein Sohn hatte nichts mit diesen Leuten zu schaffen. Klar?« Die Frau hebt eine Hand. »Melker, wir wollen zahlen, bringst du uns die Rechnung?«

Der Inhaber nickt und tippt ein paar Zahlen in die Kasse ein.

Als die vier Gäste gegangen sind, seufzt Maja laut auf. Sie würde die Leute im Ort alle einzeln abpassen müssen, um etwas aus ihnen herauszubekommen. Solange sie in Gruppen aufträten, würde sie keine ehrliche Antwort von ihnen erhalten.

»Herr Bolinder«, wendet sie sich an den Mann hinter dem Tresen. Der schiebt gerade zwei Pizzen in den glühenden Ofen und wischt sich mit einem Handtuch die Stirn ab. »Ich weiß, wir haben gestern bereits mit Ihnen gesprochen, doch mit den neuen Informationen, die uns inzwischen vorliegen, würde ich Ihnen gerne erneut einige Fragen stellen.« Sie deutet auf das Fenster, durch das man den Parkplatz vor dem Restaurant sehen kann. »Von hier aus ist zwar nicht alles sichtbar, aber wir haben gehört, dass die ältere Tochter Lola hier mit den Jungen aus dem Ort gesessen und geraucht haben soll. Stimmt das?«

»Puh, kann sein.«

»Geht das auch genauer? Wer von den Jungen war dabei, und hat einer von ihnen den Anschein erweckt, Lola etwas näher zu stehen?« Maja setzt ihren Nette-Polizistin-Blick auf. Sie weiß, dass sie mit Melker Bolinder vielleicht das heißeste Eisen von Hultsjö schmiedet. Denn er ist jeden Tag in seinem Restaurant, wo die Leute gedankenlos über alles reden. Außerdem stammt er aus dem Nachbarort Saleboda. Deshalb ist es für ihn einfacher, über Hultsjö zu sprechen.

»Na ja«, sagt Melker verlegen. »Ich habe nicht wirklich darauf geachtet, es waren fünf oder sechs, dieser Oscar und Victor Staffansson waren jedenfalls Teil der Gruppe.«

Schon wieder ein Staffansson. Von denen wimmelt es hier, denkt Maja. »Und womit haben die Jungs sich die Zeit vertrieben?«

»Was sie halt immer so tun. Rauchen, trinken, herumalbern.«

»Mit Mädels flirten?«

»Ja, das auch. Die sind alle um die kleine Deutsche herumscharwenzelt. Dieser Oscar war ganz vorn mit dabei. Was er vorhin zu Ihnen gesagt hat, stimmt übrigens nicht. Ich habe gesehen, wie er dem Mädchen einen Arm um die Schultern gelegt und versucht hat, es zu küssen.«

»Und?«

»Sie hat sich weggedreht. Aber eher so, als spiele sie mit ihm. Es sah aus, als hätte sie die alle im Griff.«

Maja nickt. »Gibt es noch einen anderen Platz, wo wir die Jugendlichen antreffen können?«

»Eigentlich nur hier im Restaurant.« Melker grinst. »Ihre ersten Dates haben sie nämlich alle bei mir. Man kann sehen, wie ernst der Beziehungsstatus ist, je nachdem, wie oft sie mit einem der Mädchen kommen. Das ist ziemlich witzig. Aber meistens sind sie einfach nur draußen auf dem Parkplatz und hängen ab.«

»War einer der Jungen mal mit Lola hier?«

»Nein. Die kam immer nur mit ihrer Familie.«

»Was halten Sie von den Touristen? Ich habe das Gefühl, dass die in Hultsjö nicht gerade willkommen sind.«

»Och, ich finde die eigentlich ganz gut. Bringen im Sommer zusätzliches Geld. Meist sind es ja Familien, zu viert oder fünft hauen die mächtig rein. Ist eben praktischer als jeden Tag zu kochen. Und ihnen scheint es gut zu schmecken, zumindest kommen sie immer wieder.« Erneut lächelt er. Auf sein Restaurant scheint Melker Bolinder mächtig stolz zu sein.

Maja bedankt sich bei ihm und nimmt die beiden Pizzakartons entgegen. Sie verlassen das Restaurant und setzen sich auf die Picknickbank. Maja klappt den Deckel ihres Kartons auf, und bei dem leckeren Geruch der Thunfischpizza läuft ihr das Wasser im Mund zusammen. »Na dann, guten Hunger.«

»Danke, ebenso«, sagt Jokke kauend und zwinkert ihr zu.

Während sie essen, beobachten sie die Leute, die im Restaurant ein und aus gehen. Viele holen sich ihre Pizza zum Mitnehmen. Maja zählt fast ein Dutzend Autos, die halten und wieder fahren, meistens mit schwedischen Kennzeichen. Der Laden läuft tatsächlich sehr gut. Für ein so kleines Kaff ist eine Pizzeria wie diese ein Highlight – und ein Ort, an dem viele Informationen zusammenlaufen … oder sich verbreiten. Noch etwas fällt Maja auf: Jedes Mal, wenn die Leute die beiden Polizisten auf der Picknickbank entdecken, sehen sie schnell weg.

»Als ob die was zu verbergen haben«, sagt sie und leckt sich die Finger ab.

Jokke bedenkt sie mit einem fragenden Blick. »Was glaubst du denn? Das ist ein Dorf, da haben alle Dreck am Stecken.«

Kalte Nacht

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