Читать книгу Kalte Nacht - Anne Nordby - Страница 22
18
ОглавлениеSkagen wendet sich an Göran Berg: »Machen Sie ein Foto und halten Sie den Beutel auf, okay?« Er gibt diese Anweisung ganz natürlich und ohne Triumph in seiner Stimme, und der Ermittlungsleiter leistet ihr erstaunlicherweise ohne zu murren Folge.
Skagen zupft das Corpus Delicti mit dem Stock vom Zweig und lässt es in den Beutel fallen. Es ist ein Kondom.
»Wirkt, als sei es gebraucht. Kann nicht lange her sein, das Sperma ist noch flüssig. Lassen Sie die DNA mit der von Jochen Nowak abgleichen.«
»Äh, ja klar.« Göran wirkt einen Augenblick lang unsicher. Doch dann rückt er seine Sonnenbrille zurecht und gibt Skagen mit einem coolen Nicken zu verstehen, dass er ihm folgen soll. Vor den anderen Polizisten, die rund um den Bus im Gras sitzen und sich ausruhen, stellt er sich breitbeinig auf und schwenkt den braunen Beutel. »Wir haben gerade ein gebrauchtes Kondom gefunden.«
Wir, denkt Skagen amüsiert und hört Görans Appell an seine Leute zu, bei dem er sie auffordert, in der folgenden Suche die Augen noch besser aufzuhalten. Vielleicht würden in der Gegend weitere von diesen Dingern rumfliegen.
Ein Brummen der Zustimmung geht durch die Reihen, und Göran wendet sich an Skagen. »So! Aber bevor wir zwei weitermachen, klären wir jetzt erst mal Ihre Zuständigkeit, Herr Kollege. Ihren hübschen Skanpol-Ausweis kenne ich ja bereits, aber was ist mit dem Rest?«
Skagen zuckt bei diesen Worten mit den Schultern. Er hat erwartet, dass Berg deswegen nachhaken könnte. Allerdings hat er gehofft, dass er es bleiben ließe. Zumindest für heute. Es ist eindeutig eine Retourkutsche für das Kondom. Irgendwie scheint der Schwede seinen Fund persönlich zu nehmen. Durchdringend blickt Göran ihn an, und auch die anderen Polizisten mustern ihn neugierig. Skagen wird heiß. Er will gerade den Mund öffnen, um eine Erklärung abzugeben, da kommt Göran ihm zuvor.
»Sie sind Kriminalkommissar, nicht wahr?«, fragt er.
»Das ist korrekt.«
Göran scheint zu überlegen. »Ich kenne den akkuraten Vergleich zu den deutschen Rängen nicht, aber das lässt Sie vermutlich über mir stehen. Da ich jedoch die Ermittlung leite, sind Sie mir untergeordnet, richtig?«
Skagen nickt. Dass es dem schwedischen Kollegen allein um die Ränge geht, überrascht ihn. Mit möglichst neutralem Tonfall erklärt er, dass eine solche Konstellation in der internationalen Zusammenarbeit oft vorkäme und er daher sehr gerne Görans Anweisungen befolgen würde.
Der Ermittlungsleiter nickt zufrieden, und Skagen ist froh, dass er die Sache damit auf sich beruhen lässt. Unauffällig atmet er durch. Das ist gerade noch mal gut gegangen. Trotzdem ist es riskant, was er hier treibt. Er sollte es besser nicht darauf anlegen. Wenn Göran herausbekäme, dass er ohne offizielle Entsendung mitermittelt, und es an Skanpol meldete, würde Jette ihm die Hölle heißmachen.
Während Skagen überlegt, welche Ausrede er Göran am Abend auftischen könnte, um aus der Sache möglichst schadlos rauszukommen, ruft dieser die zweite Runde der Suche aus und weist die Kollegen anhand der Karte in den neuen Quadranten ein. Diesmal würden sie in das unbesiedelte Waldgebiet östlich des Hauses vordringen. In parallelen Reihen und bewaffnet mit ihren Stäben schwärmen die Polizisten aus.
»Ein Mantrailerhund wäre hilfreich«, schlägt Skagen vor. »Steht Ihnen einer zur Verfügung?« Er blickt Göran an.
»Nicht in Karlskrona. Den müssten wir in Malmö anfordern. Ich rufe gleich mal an. Wenn wir die Frau heute nicht finden, können wir den morgen vielleicht einsetzen. Vorausgesetzt, wir kriegen einen.« Göran holt sein Handy hervor. »Und was haben Sie jetzt vor?«
»Ich werde den nächstgelegenen Nachbarn befragen, falls das okay für Sie ist.«
Göran streckt seinen Daumen hoch und beginnt mit jemandem am Telefon zu sprechen.
Skagen will den Weg zu Fuß zurücklegen, denn weit ist es nicht. Während er der staubigen Auffahrt bis zur asphaltierten Straße folgt, taucht vor seinem inneren Auge der rote Volvo der Nowaks auf, wie er von hier aus zu seiner letzten Fahrt aufbricht. Der Wagen biegt auf die Straße ein und fährt in Richtung Hultsjö, wo er die Hauptstraße in Richtung Süden nimmt und dann … Weiter kommt Skagen mit seinen Gedanken nicht, denn ihm fehlen zu viele Puzzleteile. Er sollte sich die Unfallstelle ansehen, vielleicht bekäme er dadurch ein Gefühl dafür, was an dem unglückseligen Abend vor zwei Tagen geschehen ist.
Am Schild »Ärkilsgård« lenkt er seine Schritte auf den Feldweg, der zu dem Hof führt, dabei klatscht er eine Mücke auf seinem Unterarm tot. Diese Plagegeister sind wirklich überall. Nach einer Weile weicht der Wald zurück und macht Platz für eine von einer niedrigen Steinmauer umfangenen Weide, auf der Islandpferde und Ziegen grasen. Hundert Meter weiter entdeckt Skagen auf einer Rodung drei nagelneue baugleiche Ferienhäuser. Sie blicken auf einen kleinen See, der einladend kühl schimmert. Vor zwei Häusern stehen Autos mit deutschen Kennzeichen, unten am Steg spielen lachende Kinder. Herr Dahlberg verdient also nicht nur mit der Landwirtschaft sein Geld, sondern auch mit Tourismus. Clever.
Skagen folgt dem Weg und gelangt schließlich zu einem Gutshaus. Aber anders als vermutet, ist es von eher schlichtem Baustil. Allein die Lage lässt es idyllisch wirken.
Gegenüber dem Wohnhaus befindet sich eine langgestreckte Scheune, vor deren Tor ein Traktor parkt. Auf dem Rasen daneben reihen sich diverse kleinere Gebäude aneinander. Von mehreren Gäststugas bis hin zu einem Pavillon ist alles vertreten.
Schmunzelnd öffnet Skagen das Tor zum sorgfältig gepflegten Vorgarten, in dem die schönsten Blumen blühen. Bei dem Wetter müssen diese sicherlich zweimal am Tag gegossen werden, wenn nicht gar häufiger. Eine Heidenarbeit. Er steigt die Stufen zum Eingang hinauf und sucht nach einer Klingel, aber es gibt lediglich einen altmodischen Klopfer. Er greift den Ring und will ihn fallen lassen, da wird die Tür aufgerissen und eine ältere Frau blickt ihn erschrocken an.
»Huch!«, ruft sie und legt eine Hand auf ihre Brust. Ihre Haare sind knallrot, genau wie ihre Lippen. Modischer Schmuck in Form von geometrischen Figuren baumelt an ihren Ohren. »Wer sind Sie?«
»Tom Skagen von der Polizei, Sondereinheit Skanpol.« Er zeigt seinen Ausweis vor. Während die Frau das Dokument aufmerksam studiert, erklärt er, dass er Herrn Dahlberg im Ort getroffen und dieser ihm gesagt hätte, er könne gern vorbeikommen.
»Das sieht Ture ähnlich«, entgegnet die Frau und gibt Skagen den Ausweis zurück. Sie äugt auf den Parkstreifen vor ihrem Gartenzaun. »Entschuldigen Sie, aber mein Mann ist noch gar nicht zurück, und ich hab es furchtbar eilig. Ich muss dringend in den Ort. Können Sie vielleicht später …?«
Im Hintergrund ertönt das Geräusch von Reifen auf Schotter und Skagen dreht sich um. Der rote Pick-up hält vor dem Tor, die Wagentür geht auf und Herr Dahlberg steigt aus, hinter ihm springt der Hund aus dem Auto und läuft schwanzwedelnd auf Skagen zu. Neugierig beschnuppert Nelly sein Hosenbein, während er das dicke Fell des Elchhundes streichelt. Als Nelly genug hat, läuft sie schnurstracks ins Haus, von wo man es einen Augenblick später laut schlabbern hört.
»Ah, der Herr von der Polizei«, ruft Dahlberg erfreut aus und streckt ihm seine raue Pranke entgegen. Er drückt so fest zu, wie Skagen es von einem Landwirt erwartet. »Willkommen auf dem Ärkilshof. Das ist übrigens der Name meines Ururgroßvaters. Unsere Familie ist sehr standorttreu, müssen Sie wissen. Na, dann treten Sie ein und trinken Sie etwas mit uns. Es ist viel zu heiß. Puh!« Er wedelt mit der Mütze vor seinem Gesicht. »Lisa, bist du so lieb und setzt einen Kaffee für uns auf?«
»Ähm, Ture?« Frau Dahlberg zupft ihren Mann am Ärmel, dabei wandert ihr Blick vielsagend zwischen ihm und Skagen hin und her.
»Was ist denn, Lisa? Rück raus damit. Unser Gast kann es ruhig hören.«
»Wenn du meinst«, erwidert sie wenig überzeugt. In ihre Miene hat sich Misstrauen geschlichen. »Im Dorf erzählen sie herum, dass du mit Frau Nowak gesehen wurdest. Malin hat mich eben angerufen. Sie sagt, jemand habe beobachtet, wie du mit Frau Nowak im Auto durch den Ort gefahren bist. Am Tag des Unfalls!«