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Viele Entwicklungen laufen parallel

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Entwicklung ist ein ganzheitlicher Prozess. Es lassen sich folgende Bereiche unterscheiden: motorische Entwicklung (Grobmotorik und Feinmotorik), Sprachentwicklung, Wahrnehmung sowie soziale und geistige (kognitive) Entwicklung. Die jeweiligen Entwicklungsschritte lassen sich zwar auf künstliche Weise getrennt voneinander betrachten. Im Entwicklungsalltag jedoch gehen sie Hand in Hand, wie das folgende Beispiel deutlich macht:

Die zehn Monate alte Sarah krabbelt (Grobmotorik) im Wohnzimmer auf den gleichaltrigen Lars zu (soziale Entwicklung: auf andere zugehen) und setzt sich hin (Grobmotorik). Die beiden heben vorsichtig die Strohhalme auf (Feinmotorik), die Sarahs Mutter ihnen zum Spielen gegeben hat. Nach einiger Zeit krabbelt das Mädchen in die Küche (lebenspraktisches Lernen: Ich kann krabbelnd meinen Platz ändern und der Mama in den anderen Raum folgen). Auf dem Weg dorthin entdeckt sie den Raum immer wieder neu (die Wahrnehmung wird geschult). Am Ziel angekommen öffnet Sarah die unterste Schublade, die für sie »reserviert« ist: Mit dem Inhalt der Schublade darf sie spielen. Im Hinblick auf Sarahs geistige Entwicklung bedeutet dies, dass sie die Schlussfolgerung gezogen hat: Wenn ich die bunte Schüssel haben will, muss ich in die Küche krabbeln (kognitive Entwicklung: wenn – dann).

Es geht stetig voran

Ab dem Zeitpunkt der Geburt – und natürlich auch schon vorher – vollbringen die Kleinsten enorme Entwicklungsleistungen. Jeder Moment in ihrem noch jungen Leben bedeutet einen weiteren Entwicklungs- und Lernschritt.

Das Neugeborene liegt noch asymmetrisch und in Beugehaltung auf dem Bauch. Lediglich den Kopf kann es unter großer Anstrengung zur Seite drehen. Auf dem Rücken liegt es ebenfalls noch nicht gerade. Seine Hände sind zu Fäusten geballt und bei lauten Geräuschen oder ruckartigen Bewegungen reagiert es mit dem Moro-Reflex (>). Nach nur zwölf Monaten krabbelt dasselbe Menschlein flink durch die Wohnung; die Hälfte der Einjährigen macht sogar schon die ersten Schritte oder spricht Ein-Wort-Sätze wie »Papa« und »Mama«. Das Kind findet mühelos einen Gegenstand, der in seinem Beisein unter einem von drei Bechern versteckt wurde. Und geschickt sammelt es Krümel vom Boden auf. Stellen Sie sich nun noch einen Dreijährigen vor, der breitbeinig von einer Treppe herunterspringt, mit dem Laufrad fährt, bunt malen kann und Drei-Wort-Sätze mit fast richtiger Grammatik spricht. Was für eine Entwicklung!

Babys, die heute geboren werden, werden voraussichtlich etwa 80 Jahre alt. Bis dahin werden sie noch vieles lernen und sich ständig weiterentwickeln. Doch so schnell wie in den ersten drei Lebensjahren wird es nie wieder gehen. Besonders das erste Jahr sowie die Sprachentwicklung bei den Ein- bis Dreijährigen lässt sich in puncto Geschwindigkeit kaum toppen.

Zeitfenster und kritische Phasen

Die Forschungsergebnisse der Entwicklungspsychologie – und hier insbesondere aus der modernen Hirnforschung – zeigen, dass der Mensch sein Leben lang lernt. Es gibt nur sehr wenige Entwicklungszeitfenster, die sich irgendwann völlig schließen und so verhindern, dass sich eine Fähigkeit ausbildet, die man nicht rechtzeitig erlernt hat. Diese kritischen Phasen beschränken sich noch dazu eher auf das Organwachstum. Wenn ein Baby zum Beispiel in seinen ersten sechs Lebensmonaten keine visuellen Reize erhält, wird sich sein Sehvermögen kaum normal entwickeln. In diesem Fall schließt sich ein Zeitfenster.

Für Eltern bedeutet die Erkenntnis vom lebenslangen Lernen eine große Entlastung. Schließlich standen nicht wenige jahrelang unter Stress, um nur ja keinen richtigen Zeitpunkt zu verpassen. Was jedoch wichtig ist: Es gibt sensible Phasen, in denen das Kind eine Fähigkeit oder Verhaltensweise besonders leicht erlernt. In diesem Zeitraum ist es für bestimmte Reize aus der Umwelt empfänglich und auch sehr interessiert daran. Wenn ein Zweijähriger zum hundersten Mal am Tag die Frage stellt »Is des …«, befindet er sich gerade in der sensiblen Phase der Erweiterung des Wortschatzes und des »Weltbegreifens«. Ihr Kind will Ihnen nicht auf die Nerven gehen, auch wenn die ständige Fragerei mitunter anstrengend sein kann. Es braucht Sie als Entwicklungsbegleitung jetzt besonders dringend.

Entwicklungsaufgaben

In den letzten Jahren hat sich ein neuer Begriff immer mehr durchgesetzt: Entwicklungsaufgaben. Viele Eltern mag dies zunächst verwirren, denkt man doch bei »Aufgaben« nur allzu schnell an die Schulaufgaben – und das nicht immer mit gutem Gefühl.

Tatsächlich bezeichnen die Entwicklungsaufgaben jedoch Entwicklungsthemen, die ein Kind in den ersten Lebensjahren zu bewältigen hat. In den ersten drei Monaten muss es zum Beispiel lernen, den Schlaf-wach-Rhythmus zu entwickeln und Nahrung zu sich zu nehmen. Später kommen Abstillen und/oder die Entwöhnung von der Flasche dazu. Auch eine Bindung zu einer oder mehreren Personen aufzubauen ist ein zentrales Thema – ebenso wie zu lernen, sich abzunabeln oder die Umwelt zu erkunden. Das Laufen und Sprechen zu lernen, eine erste räumliche Vorstellungskraft zu erwerben (zum Beispiel beim Turmbauen) und die eigenen Körperausscheidungen zu kontrollieren (Sauberkeitserziehung) sind weitere Bereiche und lebenswichtige Themen für Kinder unter drei Jahren. Zu guter Letzt schafft die Ich-Entwicklung (Autonomie) gegen Ende des dritten Lebensjahres eine Basis für die weiteren Entwicklungsaufgaben im nächsten Lebensabschnitt (vier bis sechs Jahre). In einer anregenden Umgebung und mit der Unterstützung liebevoller Menschen meistern Kinder die Entwicklungsaufgaben durch Neugier, Lernfreude, Selbstgestaltung und spontane Tätigkeit.

INFO

Fremdsprache, Musik und Spitzensport

Experten wissen, dass es kaum möglich ist, eine Fremdsprache ohne Akzent zu sprechen, wenn man sie erst im Alter von über zehn Jahren erlernt. Auch für das Erlernen eines Musikinstruments oder einer Sportart scheint es ein ideales Zeitfenster zu geben: Wer erst mit zwölf Jahren Klavierspielen oder Skifahren lernt, wird kaum ein zweiter Mozart oder Olympiasieger. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht gut Klavier spielen kann oder Spaß beim Sport hat. Und ist das nicht viel wichtiger?

Die ersten 3 Jahre meines Kindes

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