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Altsteinzeitliche Kulturen

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Die altsteinzeitlichen Kulturen der Jäger und Sammler (wie die der oben erwähnten Buschmänner) haben manche „modernen“ Qualitäten: demokratische Herrschaftsprinzipien, Konfliktlösungen nicht mit Gewalt, sondern durch räumliche Trennung, Kindererziehung ohne Prügel (vgl. Lee & De Vore 1969, Schmidbauer 1973). Das liegt daran, dass die Paläolithiker es sich leisten konnten, kindliches und triebhaftes Verhalten lebenslang zu tolerieren. Es war überflüssig, Institutionen zu entwickeln, welche eine innere Disziplin und Leistungsorientierung aufbauen. Die Natur war hart genug gegen jeden Faulen und Nachlässigen.

Ein ausgewogenes Verhältnis zur Leistung und sozialen Ordnung war durch die Lebensumstände gegeben. Aufeinander abgestimmt, erzwangen die eigenen Bedürfnisse und die begrenzten Ressourcen einen zyklischen Wechsel von Ruhe und Anstrengung. In den traditionalistischen, agrarischen Gesellschaften, in denen es schon Vorräte an Nahrung gibt und das Saatgut aufgespart werden muss, dürfen die Menschen nicht so kindlich bleiben. Sie müssen eine innere Hemmung entwickeln, um nicht das zu tun, was auf der steinzeitlichen Kulturstufe selbstverständlich ist: zu essen, was da ist, und dann weiterzusehen. Ein Bauer würde dadurch sein Saatgut, ein Hirte seine Herde gefährden.

„Das Ohr des Schülers sitzt auf seinem Rücken. Er hört nur, wenn man ihn schlägt“, lautet ein altägyptischer Text. „Zerschlage seine Rippen, solange er noch klein ist“, heißt die verwandte Botschaft der Bibel (im Buch Jesus Sirach). Äußere Drohungen sind notwendig, um eine nicht mehr durch die eigenen Bedürfnisse, sondern durch agrarisch-feudale Zwänge motivierte Arbeitsleistung zu erbringen. Der Jäger und Sammler muss keine inneren Konsumbarrieren haben, weil er auch kein Saatgetreide hat, das er nicht aufessen darf. Deshalb ließen sich Jäger und Sammler auch so selten als Plantagenarbeiter verwenden. Sie starben unter den Arbeitszwängen oder ergriffen die Flucht in den Busch. An ihrer Stelle wurden die bereits agrarisch geprägten Afrikaner in die Neue Welt eingeführt (Lévi-Strauss 1958).

Die Institutionen der Jäger und Sammler sind einfach, flexibel und dynamisch. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen, aber viele Geschichten, die helfen, den Kindern die Umwelt zu erklären und die komplexen territorialen Verhältnisse zu ordnen, die eher auf ein harmonisches Ineinandergreifen unterschiedlicher Clans (Sippen) hinauslaufen als auf die Verteidigung eines abgegrenzten Gebiets. Es gibt keine großen sozialen Organisationen, einfach deshalb, weil große Gruppen nur kurze Zeit an Orten versammelt werden können, wo es viel Nahrung gibt, und wieder zerfallen müssen, sobald die Ressourcen dort erschöpft sind. Flexible, kleine Gruppen und eine flexible Verteilung der Aufgaben werden den Bedürfnissen dieser Kulturstufe am ehesten gerecht. Es gibt Männer, die Jagdzüge anführen, es gibt besonders angesehene, erfahrene, intelligente Frauen, aber es gibt keinen Häuptling, der mehr Macht hat, als sie ihm die flüchtige Zustimmung von Verwandten und Freunden zubilligt, welche jederzeit aus dieser Gruppe in eine andere Gruppe wechseln können, zu anderen Jagdführern.

Im Bauch des Wals

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