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Bewegung und Beharrung in Institutionen

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Dieses Beispiel zeigt, wie in einer Institution Strukturen fortbestehen, die ihren Sinn eingebüßt haben. Wir verstehen solche Beharrungskräfte besser, wenn wir uns ein menschliches Grundbedürfnis klarmachen: Sicherheit zu gewinnen und Angst zu vermeiden. Da die menschliche Kultur unsere innere Struktur formt, reagieren wir mit heftigen Ängsten, wenn wir die Kontrolle über kulturelle Veränderungen verlieren. Schon immer haben Demagogen (heute: populistische Politiker) mit solchen Ängsten gespielt und versprochen, dass sie ihre Anhänger gleichzeitig vor dem verwirrenden, störenden Neuen schützen und von den Einschränkungen und Defiziten der Gegenwart befreien würden.

Der Antisemitismus beispielsweise wurzelt in den Ängsten vor einer „Überfremdung“, die pseudobiologisch als Angst vor fremdem, bösen Blut formuliert wird, das die gesunden Wurzeln des eigenen Volkes verdirbt. Wer einer anderen Religion oder Sprachgemeinschaft angehört, ist nur dann interessant, wenn ich selbst bestimmen kann, wie nahe er mir und ich ihm komme. Wenn er in meinen Bereich eindringt, fühle ich mich bedroht – ich kann ihn nicht einschätzen, er macht mein Leben unübersichtlich und weckt Ängste. Je mehr Fremdes eindringt, je labiler die Verlässlichkeit der eigenen Werte erlebt wird, desto angespannter ist die Situation. Die Gefahr, gewaltbereit primitiven Vorurteilen zu folgen, nimmt zu.

Wenn wir dieses Modell auf die persönliche Auseinandersetzung mit Institutionen übertragen, erkennen wir auch, wie wichtig es ist, den eigenen Platz zwischen Beharrung und Bewegung zu erkennen. Wenn ich beispielsweise als Sozialpädagoge meinen ersten Arbeitsplatz in einem Jugendamt finde, in dem mein Vorgesetzter ebenfalls Sozialpädagoge ist und ich in einem Team mit Verwaltungskräften, einem Psychologen und einem Juristen arbeite, dann komme ich in eine Einrichtung, die mit mir und mit der ich umgehen kann. Da allen die Tätigkeit, Ausbildung und Rolle eines Sozialpädagogen vertraut ist, entstehen auch wenig Unsicherheit und latente Angst.

Der erste Sozialpädagoge in einem Gymnasium, das diese Stelle auf Anweisung des Kultusministeriums einführen musste, muss sich auf Unsicherheit und Angst in der Institution vorbereiten. Dort gab es bisher nur zwei große Gruppen, die Lehrer und die Schüler. Die Lehrer sind einerseits hierarchisch, anderseits nach Fachgruppen organisiert – schließlich kann nur ein Biologe die Arbeit eines Biologielehrers bewerten, nicht ein Altphilologe, auch wenn dieser Studiendirektor ist. Der Sozialpädagoge hat in diesem System zunächst keinen Platz, er ist allein.

Er soll mit schwierigen Schülern arbeiten, Elterngespräche führe, Drogenmissbrauch und Gewalt vorbeugen. Offiziell wir sein Kommen gefeiert, latent, sozusagen im Unbewussten der Institution stört er, weil er Unsicherheit erzeugt. Auf ihn richten sich Erlösererwartungen, in denen sich Entwertungswünsche verbergen können: Wenn er nicht diesen Störer durch ein einziges Gespräch zum braven Pennäler macht, was ist dann seine Spezialausbildung wert?

Jede große Gruppe wird versuchen, ihn sich entweder anzugleichen oder ihn auszustoßen. Wenn er geduldig den Beschwerden der Schüler über einen unfähigen Lehrer zuhört, gilt er als Verbündeter der Störenfriede; wenn er einen Schüler mit dessen dissozialen Einstellungen konfrontiert, beschimpft ihn dieser als Handlanger des Direktorats. Es wird dem Sozialpädagogen erschwert, die Konturen seiner beruflichen Rolle zu finden, weil es in seiner institutionellen Umgebung keinen Halt für ihn gibt. Er muss selbst herausfinden, was sein professioneller Platz ist, wie er seine Arbeit organisieren kann, mit welchen Eltern, Lehrern und Schülern er kooperieren kann.

Das hat keineswegs nur Nachteile; es öffnet auch Freiräume, die dort nicht existieren, wo – wie im Jugendamt – die Aufgabe in einem Team festgelegt, organisiert und überwacht wird. Teams halten, stützen und ergänzen, aber sie engen auch ein; Einzelkämpfer sind einsam, aber sie haben Freiräume und können selbst Führung übernehmen.

Im Bauch des Wals

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